Kim dankte ihrem Bruder, dass er übers Wochenende die Mutter zu sich nahm. Sie gab beiden einen Kuss und verabschiedete sich. „Ich wünsche euch viel Spaß. Mama, lass es dir gut gehen, ja? Tschüss!“
Käthe schleppte das Gepäck ins Auto. Durch die vielen Bücher und die Musikinstrumente sah es ganz danach aus, als würden sie für längere Zeit verreisen. „Olga wird sich freuen, wenn wir schon Freitag abends kommen.“
Kim deutete grinsend auf die Bücher, „Na ja, wenn du nur lernen möchtest, dann sicherlich nicht.“
Käthe zwinkerte ihrer Freundin zu. „Ich bin eben eine Streberin.“
Moni hatte die Mädchen darum gebeten, nach Montan zu fahren, um auf dem Hof zu helfen. Rita und Georg waren ja immer noch in der Klinik und Olga wirkte beim letzten Telefonat traurig und irgendwie hilflos.
Auf der Autofahrt telefonierte Käthe mit ihrer Schwester. „Lina, wann kommst du mal wieder zu uns?“ „Ach weisch, i hab doch gar koi Zeit mehr. Seit i de Schtefan hab.“ Lina kicherte vergnügt. „Aber Mama hat gsa, dass sie mi bald bsuche kommt. Sie hat Hoimweh nach dene Kloine.“ „Mensch Lina, kannst du nicht endlich diesen lästigen Dialekt ablegen? Ist ja fruchtbar!“ Die Schwestern lachten, erzählten sich von ihren Erlebnissen der letzten Tage und beendeten schließlich das Gespräch. „Hab de lieb, Käthe!“ „Ich dich auch Süße, bis bald!“
An ihre Freundin Kim gewandt meinte Käthe glücklich: „Nie im Leben hätte ich gedacht, dass ich mich mit meiner Schwester einmal so gut verstehen würde. Ich hab sie wirklich lieb“. Kim strahlte sie an und warf ihr einen Kuss mit der Hand zu.
„Und wann machst du endlich deinen Führerschein? Du weißt, Georg hat dir das Geld bereits überwiesen.“ „Ja, ja ist ja gut. Ich habe mich doch schon angemeldet. Der theoretische Unterricht ist immer donnerstags, gib mir bitte einen Tritt in den Hintern.“ Käthe grinste und dachte darüber nach, wann sie ihre letzte Zigarette geraucht hatte. Sie fühlte sich dermaßen glücklich, konnte es selbst kaum glauben, dass sie es geschafft hatte, sich von dieser Sucht zu befreien. Und zwar einfach so, ganz ohne fremde Hilfe.
***
Uta, Conny und Andy saßen gemütlich zusammen, trafen weitere Vorbereitungen für Monis Besuch und besprachen sich bezüglich der Öffnungszeiten an den Wochenenden. Inzwischen waren es drei große Ordner, in denen Unterlagen, Ideen und Formulare für das Strickcafé untergebracht waren. Die Eröffnung sollte am ersten November sein. Passend zur kalten Jahreszeit, erhofften sich die Frauen einen umsatzstarken Monat. In den Wintermonaten war Stricken, Häkeln und Handarbeiten allgemein sehr beliebt bei Alt und Jung. Die beauftragten Handwerker gaben grünes Licht, dass sie bis dahin auf jeden Fall mit der Ausführung aller Arbeiten fertig wären.
Tom und Roli kamen mit den Einkäufen für das kleine Fest morgen Abend zurück. „Was sagt eigentlich Uwe zu der Aktion und dem Projekt?“ Tom kratzte sich am Kopf, als er diese Frage leise in den Raum stellte. Uta gab die Antwort, „Er ist überhaupt nicht begeistert, logischerweise.“ Die Freundinnen murmelten unverständliche Wörter.
„Nun, ihr müsst schon einsehen, dass ein Chefarzt wenig freie Zeit hat. Wie soll da eine Fernbeziehung klappen? Das ist eine große Herausforderung für ein Paar. Ich mag den Uwe sehr. Er ist ein wunderbarer Mensch und klasse Typ.“
„Also Tom, du kennst ihn ja kaum,“ warf ihm seine Frau vor. „Doch meine Gute, glaub mir, ich kenne ihn. Zumindest kann ich mich sehr gut in seine Lage versetzen.
***
Arm in Arm schlenderten Moni und Uwe Samstag morgens gemütlich durch die Station K1. Sie statteten der lieben Rita einen kurzen Besuch ab und Uwe übergab seinem Vater einige Dokumente, mit der Bitte sich diese durchzusehen. Spätestens am kommenden Dienstag würde sein Vater mit seiner Freundin zurück nach Montan fahren. Rita sehnte sich sehr nach dem Hof und den Tieren.
Herr Rudel wartete mit Bruno am Auto. Uwe konnte es wieder einmal nicht verstehen, warum Moni darauf Wert legte, den Hund mitzunehmen. „Mein Engel, ist die lange Fahrt nicht viel zu stressig für ihn?“ „Aber er gehört zu unserer kleinen Familie, oder?“
Moni stellte den Korb mit dem Proviant zwischen die Sitze und stieg fröhlich ein. „Mein Engel, was hast du uns denn Schönes eingepackt?“ „Kaffee, Cola, Äpfel und Trüffel.“
„Geile Kombination,“ Uwe lachte seine Herzdame an.
Zögerlich begann Moni mit eben diesem Thema, welches ihr schon so lange auf dem Herzen lag: „Uwe Schatz, ich möchte dir etwas sagen. Wegen meiner Erinnerungen und dem Herzenswunsch. Du weißt, ich habe viel nachgedacht. Ich...“ Uwes Handy klingelte. Genervt zog sie eine Schnute. Uwe streichelte ihre Hand, nahm das Telefon aus seiner Tasche und zeigte ihr, dass es die Klinik war.
Klar, sein Spital war ein wichtiger Bestandteil in Uwes Leben. Sie ließ sich jedoch von ihrem Vorhaben nicht abbringen. Geduldig wartete sie, bis er das Gespräch beendet hatte, trank in der Zwischenzeit einen Kaffee. Wortlos gab sie ihm ebenfalls einen Becher und blinzelte ihm zu.
Mit einem traurigen Gesichtsausdruck steckte er das Telefon zurück, nahm einen Schluck Kaffee und wandte seinen Blick von Moni ab. „Mein Engel, du willst dich von mir trennen?“ Schnell schüttelte sie den Kopf, suchte nach seiner Hand. „Uwe Schatz, nein! Dafür bist du mir viel zu wichtig!“
Er zog seine Hand zurück, ballte sie zu einer Faust und hob diese vor den Mund. „Aber?“ Seine Stimme klang heiser.
„Schau her, durch den Unfall wurde ich einfach aus meinem Leben, meinem Alltag gerissen. Ich habe ja Gott sei Dank meine Verletzungen gut überstanden. Dank dir und deiner Klinik, mein Schatz.“ Sie küsste ihn auf die Stirn.
„Den Verlust von Herbert, den habe ich noch nicht ganz verkraftet. Da gibt es noch diese innerliche Unzufriedenheit, die mich nicht zur Ruhe kommen lässt.!“ Sie beobachtete Uwe, wie sich seine Augen mit Tränen füllten.
„Mein Engel, ich kann nicht mehr ohne dich sein, verstehst du das nicht? Es bricht mir das Herz.“
Moni streichelte seine Wange, „Schatz, ich brauche endlich Zeit. Zeit, die ich nie hatte, um in aller Ruhe Abschied zu nehmen.“
Jetzt wirkte Uwe verärgert. „Ach ja? Du eröffnest mit deinen Freundinnen ein Strickcafé, suchst dir eine Wohnung mit großem Garten, um Abschied zu nehmen? Willst du mich auf den Arm nehmen?“
„Seit vielen Jahren träumte ich davon, so ein Café zu eröffnen. Es liegt mir so sehr am Herzen. Mit deinem Geld kann ich das endlich tun. Am Liebsten hätte ich dich freilich bei mir.“ Moni lächelte ihn liebevoll an, gab ihm noch einem einen Kuss, den er aber wieder nicht erwiderte. Stattdessen gab er seinem Chauffeur per Handzeichen zu verstehen, dass er eine Pause wünschte.
Herr Rudel fuhr an eine Raststätte. Ohne Moni zu beachten stieg Uwe aus und stiefelte los. Der freundliche Chauffeur öffnete galant die Autotüre, um Moni zu helfen. Sie nickte ihm dankend zu, nahm Bruno aus dem Kofferraum und spazierte mit ihm auf dem schmalen Grünstreifen. Aus der Hundetasche holte sie die Wasserschüssel und einige Leckerlis. Sie setzte sich zu dem Hund auf den Boden, streichelte sein kuscheliges Fell und wartete. Herr Rudel stand ernst und stocksteif am Wagen.
Uwe kam aus dem Gebäude, blieb stehen und blickte sich suchend um. In seinen Händen hielt er zwei Eis am Stiel, damit gesellte er sich zu seiner Herzdame.
„Komm Schatz, wir laufen ein Stück.“
Hier, an einer schmutzigen, lauten Autobahnraststätte fanden die zwei endlich die Gelegenheit, sich auszusprechen.