Herr Moser lag wach in seinem Bett auf der Intensivstation und freute sich über den Besuch. „Guten Morgen,“ seine Stimme klang noch schwach, „Der Herr Chefarzt persönlich? Das ist mir eine Ehre. Oh, was ist mit ihrem Auge? Sind Sie gegen eine Tür gelaufen?“ Uwe lächelte dem freundlichen Mann zu, während er sachte sein Auge berührte. „Ähm ja, so ungefähr. Ich wünsche Ihnen auch einen guten Morgen Herr Moser. Ich freue mich sehr, Sie so quietschfidel zu sehen. Haben Sie Schmerzen?“ „Nein, ich bin nur müde, kann aber nicht schlafen.“ Uwe überprüfte seine Vitalwerte, die Infusionen und den Urinbeutel. Ganz genau untersuchte er den dicken Verband. Aus der Drainage floss nur ein klein wenig Wundsekret. Er war absolut zufrieden, nahm die Hand von seinem Patienten und drückte sie sachte. „So wie es aussieht, können Sie schon morgen in ein Krankenzimmer verlegt werden und Besuch empfangen. Bald geht es Ihnen wieder richtig gut Herr Moser!“
„Und.. was ist dem Tumor?“ „Den haben wir vollständig entfernt, keine Sorge!“ „Oh Gott sei Dank. Sie sind der beste Hirnchirurg in Europa habe ich gehört. Deswegen bin ich ja auch von weit angereist.“ Uwe lachte laut. „Ach ja? Vielen Dank, das freut mich sehr, ich gebe immer mein Bestes.“ Uwe verabschiedete sich höflich, versprach später noch einmal nach ihm zu sehen.
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In aller Herrgottsfrüh brachte Uta ihre drei Fellnasen zu Andy. Dort wartete bereits Conny auf sie. In der Hand hielt sie einen gefüllten Picknick-Korb. „Schau nur, ich habe uns Kaffee, belegte Brötchen und süße Schneckennudeln eingepackt. Noch dazu ein kleines Geschenk für unsere liebe Moni. Brandneue Wolle!“ Die Freundinnen nahmen sich in den Arm. „Ist das toll, mit eurer Hilfe schaffe ich das!“, schluchzte Uta. Sie hatte noch gerötete Augen vom Vortag.
Denn da war sie zu Klara gefahren, damit auch dieser Teil der Familie Bescheid wusste. Dort erfuhr Uta, dass es Adolf sehr schlecht ging. Klara war nur am Weinen, sie traute sich daher kaum, von Moni zu erzählen. Zum Schluss nahmen sich die Frauen tröstend in die Arme und sprachen sich Mut zu, „Wird schon alles wieder gut.“
Den ersten Teil der Fahrt verbrachte Uta mit geschlossenen Augen. Später erzählte Conny von der Idee des geplanten Strickcafes, bei dem sich auch Moni beteiligen wollte. „Wirklich? Davon weiß ich ja noch gar nichts,“ Uta war sichtlich überrascht. „Na klar, es war schon immer Monis Wunsch, das wusstest du nicht? Jetzt hat sie auch endlich die finanziellen Mittel dafür.“
Uta schürzte die Lippen und dachte angestrengt nach. Sie war sich sicher, von diesem Vorhaben noch nie gehört zu haben.
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Lina verfrachtete die Kids sowie das Gepäck ins Auto. „Ist die Omi wieder krank?“ Lina antwortete nickend. „Hat sie Aua gemacht und blutet?“ „Noi, es isch net so schlimm,“ versuchte sie die Kleinen zu beruhigen. „Omi isch nur arg traurich.“ „Ach so. Kann sie mit uns spielen?“ Lina zuckte mit den Schultern, dann fuhr sie los. Sie war immer noch sehr froh über das kleine Auto ihrer Mama, denn es war wunderbar geeignet für eine Stadt wie München. Die Fahrt nach Innsbruck stellte ebenfalls kein Problem dar. Den Zwergen hatte sie unterwegs Pommes und Hamburger versprochen, so herrschte gute Laune im Wagen. Gerne hätte Lina ihren neuen Freund Simon mitgenommen, doch dieser zeigte sich noch zurückhaltend. „Ne, ich glaube das ist noch zu früh, auch wegen den Kindern.“ Den Betreuern und Bewohnern vom Mirabellenhof war es eigentlich nicht erlaubt, eine Beziehung zu führen. Deshalb behielten die beiden ihre Romanze für sich. „S wär halt schee gwää für mi, amol net aloi zu sei.“ Trotz München hielt Lina rigoros ihrem lustigen ausgeprägten schwäbischen Dialekt die Treue.
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„Hej, da hat sie dich aber ordentlich erwischt“, Eva untersuchte behutsam Uwes Verletzung. „Augentropfen, Schmerzmittel und ein kühlender Verband sollte fürs Erste reichen. Wenn du merkst, dass du Sehprobleme bekommst, oder sich deine Wange taub anfühlt, dann bitte sofort ab in die Augenklinik, versprochen?“ Uwe nickte, nahm seine Ärztin freundschaftlich in den Arm. „Natürlich, ich danke dir!“ Sie verpasste ihm eine schicke Augenklappe. Zusammen mit seiner Narbe und dem ungepflegten Bart sah er nun tatsächlich aus wie ein Pirat. So ausgestattet besuchte er seine Moni, in der Hoffnung, sein Anblick würde ihr ein Mini-Lächeln hervorlocken.
Uwe klopfte an die Tür und öffnete diese vorsichtig. Moni lag auf dem Rücken und starrte an die Decke, genau wie gestern. Auf dem Beistelltisch stand das Frühstückstablett, eine Kanne Kaffee, eine Flasche Wasser und die Schale mit frischem Obst. Alles schien unberührt. Er trat näher, „Mein Engel, wie geht es dir heute?“ Doch es gab keine Reaktion. Uwe setzte sich an die Bettkante, nahm Monis Hand. Leise redete er weiter: „Mein Liebling, ich bin bei dir.“ Sie blinzelte, drehte den Kopf ein klein wenig in seine Richtung. Doch ihr Blick fixierte die Wand hinter ihm. Sachte und liebevoll strich er über ihre Wange. „Mein Engel“... Da Moni immer noch keinerlei Reaktionen zeigte, machte sich der Chefarzt ernsthafte Sorgen. Er gab ihr einen zärtlichen Kuss auf die Hand, hörte nicht auf, sie zu streicheln.
„Warum?“ Ein heiseres Flüstern, mehr nicht. Uwe sah sie traurig an, schüttelte den Kopf, „Ich weiß es nicht, mein Schatz, ich weiß es nicht.“
Moni schien wieder zu schlafen, so ging er müde und sorgenvoll zu seinem Tagesablauf über. Nach der kleinen Visite übernahm Georg zwei wichtige Angehörigengespräche. In dieser Zeit erledigte Uwe den lästigen Verwaltungskram. Monis Kolleginnen waren ernsthaft besorgt, er sah es an ihren Gesichtern. Doch er nickte ihnen lediglich zu, ohne die üblichen Begrüßungsfloskel. Natürlich bemerkte er die Blicke bezüglich seiner Augenklappe. Niemand sprach ihn an, es herrschte eine unangenehme Stille.
Endlich brummte sein Handy, es war eine Nachricht von Thommy. Erleichtert wischte Uwe über das Display. Na, wo du treibst du dich rum?
Hallo Thommy, schön, dass du da bist. Ich komme in ein paar Minuten runter.
Doch vorher vergewisserte er sich, dass seine Moni gut versorgt war. Tatsächlich hob sie sogar die Hand zum Gruß. Erleichtert beugte er sich zu ihr, gab ihr einen Kuss auf die Stirn, „Mein Engel, ich liebe dich.“ Sie nickte, bekam sofort wässrige Augen. „Du bekommst gleich Besuch, dann bist du nicht mehr alleine.“ Er streichelte sie zärtlich. „Bitte“, das Sprechen fiel ihm schwer, „Bitte melde dich bei mir, wenn du mich brauchst.“ Wieder nickte sie, streckte sich nach ihm und schnell nahm er sie in seine Arme. Sie hielten sich ganz fest, dann fingen beide zu weinen an.
Das Klopfen an der Tür riss Uwe zurück in die traurige Realität. Der erste Besuch war angekommen. Monis Schwester Uta trug einen großen Blumenstrauß, Conny hielt den Korb mit Wolle und den Schneckennudeln in die Höhe. „Hallo, Moni, was machst du denn für Sachen.“ Uwe begrüßte die Frauen freundlich, wünschte ihnen einen schönen Nachmittag und meldete sich ab in seinen Feierabend. Er zeigte auf sein Telefon, „Aber ich bin jederzeit erreichbar!“