Ungeduldig starrte Herr Rudel auf seine Uhr. Seit über einer Stunde stand er am Wagen und wusste nicht, was er von dieser Situation halten sollte. Mutig lief er zur Raststätte, ging zur Toilette und kaufte sich anschließend einen Kaffee.
Er spazierte zu dem Grünstreifen, wo er seine Herrschaften zuletzt gesehen hatte. Jetzt erkannte er sorgenvoll, dass von hier aus ein schmaler Pfad zu einer Wiese führte. Womöglich war den beiden etwas passiert? Obwohl, sie hatten ja diesen großen Hund dabei. Er lief einige hundert Meter weiter. Dann brüllte der Chauffeur, so laut er konnte: „Herr Ortner! Herr Ooortner!“
Da er keine Antwort erhielt, ging er wieder zurück zum Wagen. Sollte er ihn anrufen? Doch er sah beide Handys auf dem Rücksitz liegen. Jan Rudel setzte sich hinters Steuer, schaltete das Radio ein und wartete. Er sah auf die Uhr und gab ihnen noch eine halbe Stunde. Dann würde er die Polizei rufen.
„War das nicht die Stimme von Herrn Rudel?“
„Kann schon sein, mein Engel,“ Uwes Stimme klang sehr ernst. Liebevoll nahm er seine Moni in den Arm. „Er ist im Moment unwichtig. Was zählt, bist und wir zwei. Danke, dass du mir so geduldig zu gehört hast.“
„Schatz, ich muss das jetzt erst verdauen. Gleichzeitig freue ich mich, dass du mir dein Vertrauen geschenkt hast und mir endlich von deinen Sorgen und Problemen erzählt hast. Das tut mir alles unendlich leid. Ich werde immer für dich da sein, das verspreche ich dir!“ Vorsichtig wischte sie seine Tränen ab und küsste ihn.
Uwe schloss für einen kleinen Moment die Augen. „Danke mein Engel. Ich werde versuchen, deine Entscheidung bezüglich diesem Strickcafés zu akzeptieren und zu verstehen. Zwar habe ich keine Ahnung, wie so eine Beziehung funktionieren soll, aber warten wir es ab. Meine größte Angst ist es, dich zu verlieren. Ich brauche dich!“
Moni legte ihren Kopf an seine Brust. „Du verlierst mich nicht. Bitte glaub mir, ich möchte keinen anderen Mann! Ich liebe DICH! Wir besuchen uns gegenseitig, so oft es möglich ist, ja?“
Hand in Hand spazierten sie zum Parkplatz zurück. Bruno sprang kläffend hinterher. Erleichtert stürmte Herr Rudel aus dem Auto. „Ach wie schön Sie zu sehen. Herr Dr. Ortner, Frau Häberle, ich habe mir ernsthafte Sorgen gemacht.“
„Entschuldigen Sie bitte, das war nicht unsere Absicht,“ Uwe legte ihm dankend die Hand auf seine Schulter.
Trotz Uwes Traurigkeit wurde es ein schönes Wochenende. Sie fuhren zuerst zu Andy und Tom, wo alle Freundinnen bereits auf Moni warteten. Die beiden Männer setzten sich draußen auf die Hollywoodschaukel und unterhielten sich. Nach einem kurzweiligen Kaffeekränzchen übergab Tom den Schlüssel für das Apartment. „Ich hoffe, die Wohnung gefällt euch. Seid bitte um 18 Uhr zurück, da schmeiß ich den Grill an.“
Die Wohnung lag am Rande des Vorortes von Stuttgart, in dem sich auch das zukünftige Strickcafé befand. Uwe fragte geradeaus: „Das hier ist ja nicht unbedingt deine Heimat, oder?“
„Ja stimmt, du hast recht. Aber immerhin bin ich von hier aus eine halbe Stunde schneller in Innsbruck!“
Es handelte sich um eine elegante, geräumige und modern eingerichtete Ferienwohnung, die ihrem stolzen Preis gerecht wurde. Durch die riesigen Fenster-Schiebetüren erreichte man den gepflegten Garten, der aus einer neu gestalteten Terrasse mit schicken Rattan-Gartenmöbeln und einem englischer Rasen bestand. Drei große Ahornbäume sorgten für schattige Plätze. Bruno flitzte freudig kläffend auf dem Grundstück hin und her. Eine hohe Hecke aus Eiben und Kirschlorbeer-Sträucher bildete den Schutz vor neugierigen Blicken.
Uwe schaute sich staunend um. „Ich muss schon sagen, mein Engel. Du hast einen sehr guten Geschmack.“
„Ich weiß,“ frech zwinkerte sie ihm zu.
Das wenige Gepäck war schnell ausgeladen. Was fehlte, waren Getränke und ein paar Lebensmittel. Sie schickten Herrn Rudel zum Einkaufen und legten sich auf die gemütlichen Relaxliegen. Mutig fragte Moni ihren Schatz: "Ich würde diese Wohnung gerne für ein paar Monate mieten, wäre das in Ordnung?“
Er nickte, kratzte sich am Kopf. „Vielleicht kannst du sie ja auch kaufen?“
Moni nahm seine Hand, „Das ist ja toll! Danke, mein Schatz!“
Das Grillfest am Abend verlief sehr harmonisch. Entweder war Uwe an Monis Seite oder man sah ihn zusammen mit Tom, wie sie gestikulierend in ein ernstes Gespräch verwickelt waren. Moni beobachtete ihren Schatz dabei, wie er sich immer wieder ein Glas Sekt oder Wein einschenkte, ließ ihn aber gewähren. Nachdem was sie heute alles erfahren hatte, konnte sie ihm ein klein wenig Verständnis entgegenbringen. Verständnis dafür, dass er ab und zu sein Gehirn komplett ausschalten wollte. Einfach nur, um die Schatten der Vergangenheit zu vergessen.
Uwe war so freundlich und lud seinen Chauffeur ebenfalls zu dem kleinen Fest ein.
Dieser stand ein wenig abseits und freundete sich endlich mit Bruno an.
Moni und ihre Freundinnen sprachen immer wieder von ihren Ideen zum Strickcafé und lachten viel. Uta zeigte Moni einen Brief von Otto. Es ging ihm sehr schlecht, denn er wurde vor kurzen von zwei seiner Mit-Insassen schwer misshandelt. Er lag sogar einen Tag im Krankenhaus.
...Weißt du, sie haben mich auf dem Kicker, dabei habe ich den Kleinen sicherlich keine Schmerzen zugefügt. Bitte liebe Uta, verzeih mir. Ich liebe Dich!
Dein Otto
Moni spürte, wie es ihr den Magen umdrehte, „Das ist einfach nicht wahr, oder?“ Roli kam zu ihnen an den Tisch, nahm Utas Hand und fragte mitfühlend, „Hast du deiner Schwester diesen Brief gezeigt?“ Die Frauen nickten betroffen.
Tom rettete die Situation, indem er die Musik einschaltete und zu dem altbekannten Spiel Die Reise nach Jerusalem, einlud.
Es wurde sehr spät, bis Moni und Uwe endlich im Bett lagen. Uwe war ziemlich betrunken, er schlief sofort ein. Moni grübelte noch lange über ihr Leben und ihre Zukunft nach. Dann dachte sie an die Erzählungen von Uwe. Liebevoll streichelte sie ihren erfolgreichen, sensiblen Chefarzt. „Du armer Kerl!“
Sonntags fuhren sie endlich in Monis Heimatdorf. Dort statteten sie Klara und Adolf einen kurzen Besuch ab. Der gesundheitliche Zustand von Herberts Vater war für Uwe sehr bedenklich. „Klara, du musst ihn ins Krankenhaus einweisen. Schau mal, er hat an beiden Füßen offene Wunden.“ Klara nickte und weinte leise. „Ja, i weiß, mir hen nächschte Woche an Termin beim Dokder.“
Anschließend fuhr Herr Rudel Moni und Uwe auf den Friedhof. Sie hatten ein wunderschönes Blumenbukett bestellt und legten es gemeinsam nieder. Dann setzten sie sich auf die Bank neben Herberts Grab. Uwe streichelte Monis Hand, fragte vorsichtig: „Mein Engel, kommst du mit mir zurück?“
„Ja Schatz, ich bleibe so lange auf dem Hof, bis Rita wieder fit ist.“ Uwe drückte sanft ihre Hand und küsste sie.
Vor der Rückfahrt nach Innsbruck brachten sie den Schlüssel zu Tom, um ihn mit dem Kauf der Immobilie zu beauftragen. Andy überreichte Moni eine große Schüssel. „Hier bitteschön. Ich habe selber gemachte Maultäschle für euch.“ Moni fiel ihrer Freundin um den Hals, bedankte sich herzlich.