Mit zittrigen Händen öffnete Aleks den Briefkasten. Es war heute Montag, also musste er doch da sein! Er musste kurz die Augen schließen, öffnete sie trotzdem aus reiner Neugier. In dem Spalt seines Blickfelds lugte eine weise Spitze hervor.
„Juhu!“, freut sich der junge Mann und rannte hinauf in die Wohnung. In der Küche warf Aleks den Rucksack beiseite und schmiss die Jacke auf den Stuhl. Hastig wollte Aleks den Briefumschlag öffnen, doch stockte kurz. Was, wenn die Antwort nicht das wäre, was er erwartet? Was, wenn man ihn auslacht? Was, wenn er…?
Er schüttelte den Kopf, atmete mehrmals tief aus und ein und konzentrierte sich. Die tickende Wanduhr zusammen mit dem im Hintergrund laufenden Radio nervten ihn, doch er drehte den Brief um und las die Adresse. Es war seine Adresse. Der Brief war an ihn adressiert. Der Absender war die Uni. Es war sein Brief.
Mit angehaltenem Atem öffnete der Mann den Umschlag und überflog die ersten Zeilen. Die Stirn wurde gerunzelt, er kratze sich am Kopf, dann las er nochmal. Manche Wörter waren ihm unbekannt, hatte einige Umlaute oder deren Symbolik war eine andere, die er noch nicht verstand. Er musterte den Brief und drehte ihn um. Es war nicht mehr drauf als er bisher gelesen hatte.
„Probleme?“, nuschelte eine Person hinter ihm und Aleks fuhr zusammen. Er drehte sich um und sah seinen Mitbewohner, einen mittelgroßen Mitdreißiger, welcher gerade aus dem Bett zu kommen schien. In der Hand eine Tasse Kaffee, in der anderen ein Handy. Ohne Smartphone war Felix nie zu sehen und auch sein Äußeres hatte mehr etwas Chaotisches als was Edles. Aleks schaute an sich herunter und sah das Hemd, das er heute früh frisch angezogen hatte, dann die feine Hose. Nein, er war das komplette Gegenteil. Doch Felix hatte er irgendwie liebgewonnen.
Er nickte schnell, gab ihm den Brief und Felix las die Wörter. Felix Mimik verriet nichts, während er verschlafen das Blatt Papier betrachtete. Mit hochgezogenen Augenbrauen schaute er dann Aleks an.
„Und was hast du jetzt?“, fragte er mitten in das Porzellan. Nervös las Aleks die Aufschrift der Tasse „Bester Informatiker der Welt“ und weiter unten, klein geschrieben „Gelesen? Gut, exe.ausführen“ und daneben die Umrisse einer Echse. Diesen Witz hatte Aleks nie erstanden und auch heute nicht, trotz des Auslandsjahrs in Deutschland.
„Ich weiß nichts, was Universität will von mir.“, sagte er in dem besten Deutsch, was er erübrigen konnte. Er versuchte und bemühte sich, diese Sprache zu lernen. Selbst seine Landessprache war einfacher zu verstehen als Deutsch. Diese Grammatik und diesen Satzbau. Nicht umsonst studierte er Archäologie auf Englisch.
Felix starrte ihn an und gab sich geschlagen. Immer, wenn er helfen musste, schien er lustlos oder genervt. Doch dies war nur eine Fassade, damit er nicht belästigt wurde. Das wusste Aleks.
„Sie wollen sie sagen, dass deine Bewerbung eingegangen ist. Und…“ er las eine Zeile. „...da steht, wie sie deine Bewerbung finden.“ Aleks schlich näher heran und musterte die Zeilen, auf die Felix zeigte.
Wir freuen uns Ihnen mitteilen zu dürfen, dass wir Ihre Bewerbung erhalten haben. Wir werden Ihnen unsere Antworte demnächst mitteilen.
Hochachtungsvoll…
Aleks kniff die Augen zusammen.
„Was heißt das?“, fragte er und zeigte auf den Satz.
„Übersetzt so viel wie, sie werden dich nehmen, wenn sie deine Bewerbung gut finden. Das ist halt so ein Deutsch, dass man immer in Briefen verwendet.“ Felix drehte die Hand, um wohl alle formellen Briefe der Deutschen zu meinen. Aleks verstand das nicht, nickte aber.
„Wieso schreibt Uni diese nicht?“, fragte er sich mehr selbst als den Informatiker. Dieser verdrehte die Augen und nuschelte.
„Das sagt man halt so…keine Ahnung…das ist wie jemanden was durch die Blumen sagen…“, Felix redete sich raus, dass verstand Aleks. Was allerdings >durch die Blume< heißen soll, wusste er nicht. Aleks öffnete den Mund, um ihn zu fragen, doch Felix stand bereits auf und ignorierte den jungen Mann. Felix schlurfte in sein Zimmer und ließ den Austauchstudenten allein.
Irgendwie glücklich und dennoch verwirrt durch diese neuen deutschen Wörter sah Aleks den Brief auf den Tisch, nahm sich diesen und suchte nach den entsprechenden Wörtern in Übersetzermodus auf seinem Handy. Es würde lange dauern, bis er Deutsch perfekt verstand, aber er würde nicht aufgeben, ehe er den Masterstudiengang an der Universität hatte. Denn schließlich hatte dieser auch Kusse auf Deutsch. Und Aleks würde für seinen Traum, in Ausgrabungen die Antike zu durchforsten, niemals aufgeben.
Und dann las Aleks den Brief nochmal und schrieb sich die neuen Vokabeln auf ein Blatt Papier.