Deine Mutter hat Geburtstag, schrieb er mir in dem Moment, als der letzte Bissen Pommes im Magen landete. Völlig überfüllt und vollkommen glücklich lehnte ich mich gegen die quietschende Stuhllehne und betrachtete die Nachricht. Mein Finger wischte über das Display, als ich das letzte Datum der Konversation sah.
„Du hast mit deinem Vater vor acht Jahren das letzte Mal Kontakt aufgenommen und jetzt schreibt er dir?“ May lehnte sich über den Tisch und betrachtete stirnrunzelnd mein Handy. Stumm nickte ich nur und las Wort für Wort, als könnte darin eine verborgene Botschaft stecken.
Achselzuckend schnappte sich May das Handy aus meinem lockeren Griff und starrte den Text an, als würde sie selbst es auch nicht glauben. Meine beste Freundin runzelte wie auch ich erneut die Stirn und stöhnte gediegen.
„Ich weiß ja nicht...“, murmelte sie erneut und stocherte in ihrem Essen herum. Während mein Burger bereits verdauet wurde, hatte sie ihren Veggieburger zerpflückt wie ein Hund sein Spielzeug. Als Burger kaum noch zu erkennen kaute May auf ihrer Gabel herum, auf dem ein Stück Tomate geruht hatte.
„Ich kann mir nicht vorstellen, wieso dir jemand sowas schreibt.“
„Vor allem ist Mama tot und hätte erst kommende Woche“, gab ich ebenfalls zu Bedenken und betrachtete ihre Pommes. Irgendwie hatte ich noch Hunger, griff nach der fettigen Stück Kartoffel und setzte erneut an: „Ich habe den Strauß Lilien bereits beim Gärtner bestellt und Vater hat sich nie blicken lassen.“
„Trottel“, pflichtete May bei und sah mit verkniffenen Augen zu, wie ich ihr Essen weg mampfte. Mit einem unschuldigen Augenaufschlag grinste ich erneut, klaute wieder Essen.
„Vielleicht meint er seine neue Frau. Du weißt, schon, wegen der er euch hat sitzen lassen“, fuhr May fort.
„Ist er denn nicht schon wieder geschieden?“ Mein Handy brummte erneut, diesmal nur die Ankündigung über eine E-Mail. Alle Geburtstage, die mir wichtig waren, hatte ich im Kopf, mein Terminkalender war leer. Niemals würde ich wieder mit ihm reden, hatte ich mir geschworen. Doch unglaubliche Neugier beflügelte mich, ihn einfach anzurufen.
„Woher hat er eigentlich deine neue Nummer?“ Mit hochgezogenen Augenbrauen betrachtete May mich, als wollte sie mich für meine Dummheit, meinem verhassten Vater meine Nummer gegeben zu haben, schelten.
„Plot Twist“, brummte ich und schaute aus dem Fenster. Die geschäftige Straße vor mir voller Autos, Busse, einkaufswilligen Personen und einem Dunstschleier wegen des Regens gaben mir ein Bild von Chaos. Dieses Durcheinander spiegelte sich in meinem inneren wider. „Meine biologische Mutter ist nicht meine Mutter, sondern jemand vollkommen anderes, und das will er mir jetzt beichten.“
May ging nicht auf meinen Versuch, witzig zu sein, ein.
„Wenn du ihn anrufst, wirst du es wieder bereuen. Tust du es nicht, stirbst du vor Neugier“, beendete May die Diskussion und schlürfte an ihrem Drink. Selbst schmunzelte ich über diese schroffe Art, die mich aus so manchen Situationen herausgeholt hatte. Aber Recht behielt sie.
Das lange Tuten der Leitung ließ mich schier wahnsinnig werden. Die Nerven gespannt wie eine Bogensehne betrachtete ich aus dem Fenster meiner Wohnung die vorbeifahrenden Fahrzeuge.
Ein Klicken erklang, dann ein schlurfendes Geräusch. Fluchen in einer mir unbekannten Sprache. Nervös fingerte ich an meinem Schal herum, setzte mich auf das Sofa und atmete langsam aus und ein.
„Hallo?“, krächzte jemand in den Hörer.
„Bernhard?“, fragte ich zögerlich und erntete so etwas wie ein Nießen.
„Wer soll´n das sein?“ Mein Herz polterte.
„Ich bin die Tochter von..“, versuchte ich es erneut, doch wurde unterbrochen.
„Verschwinde!“
Und dann Stille. Vollkommene Leere bereitete sich in meinem Kopf aus, als das Kratzen an der Tür einsetzte.