Hier stand ich nun. Bekleidet mit einem Lederharnisch, einem Waffenrock aus schwerem Stoff und einem spärlichen Brustpanzer, der nur direkte Treffer mit der Faust abwehren würde. Doch vielmehr beunruhigte mich das Schwert, das sich in meiner Linken befand. Fast schon triefend vor Schweiß müsste es mir eigentlich aus der Hand gleiten und auf den staubtrockenen Boden fallen. Doch die starre Faust um den Schwertgriff ist das einzige Zeichen, das ich mir nun zeigen wollte. Das einzige Anzeichen meiner Angst und gleichzeitiger Entschlossenheit.
„Linus“, flüsterte ich, doch meine Gegenüber starrte mir nur entgegen, als wäre ich ein Feind, der nun ausgemerzt werden müsste. Ein störender Pickel auf dem Gesicht. So hatte er mich zuletzt genannt. Linus antwortete mir nicht. Nicht mehr. Seine letzten Worte glichen keinem Abschied, mehr einem Versprechen. Dabei war es doch meine Schuld, dass wir beide nun gegenüberstanden. Er mit seinem Speer und rundem Schild und ich mit einem rostigen Schwert mitsamt viereckigem schwerem Schutz am rechten Arm.
Kurz durchzuckten mich Bilder unserer Ankunft in Rom. Irgendwie, wieso auch immer, waren wir im antiken Rom gelandet. Magie sollte es eigentlich nicht geben und die Technik war niemals so weit, dass man einfach so aus dem 21. Jahrhundert katapultiert wurde. Doch wie auch immer mein Karma hier zugeschlagen hatte, es hatte ordentlich getroffen.
Rom behandelte Fremde zwar mit Neugier, aber auch mit Vorsicht. Und während Linus dank seiner Lateinfähigkeiten in der Oberstufe glänzen konnte, ein wenig mit dem Cäsar gesprochen hatte und sich so seine Gunst gewinnen konnte, bestand mein Schicksal daraus, die Zellenwände von innen anzusehen. Ich wurde befragt, doch wie sollte ich denn antworten? Die Bilder im Kopf waren nun mit meinem Blut getränkt. Daher verdrängte ich deren altertümlichen Vernehmungsmethoden strickt und erhob mich.
Die Sommerhitze erzeugte Schweiß auf meiner Haut, die meinen dunklen Teint zum Glitzern brachte. Ich vermutete stark, dass Araber den Römern nicht wirklich bekannt waren. Doch meine Muttersprache konnte mir hier nicht helfen, Englisch verstand keiner hier und mein Deutsch würde mir nur Feindseligkeit entgegenbringen. Die paar Geschichtsstunden in der Schule erinnerten mich an die Feindschaft zwischen Alemannen und den Römern. Das erzeugte in mir eine Gänsehaut, würde ich sagen, ich würde von den Alemannen stammen. Da wäre mir mein Tod sicher gewesen.
Während die schwarzen lockigen Strähnen auf der Haut klebten, sahen meine tiefdunklen Augen in die Blauen. Der Blonde vor mir sah aus wie Linus. Doch der starre Blick und der grimmig verzogene Mund deuteten auf eine Ideologie hin, die ihm wohl eingetrichtert worden war. Für so leichtgläubig hatte ich Linus nie gehalten, doch egal, was ich sagte, er würde nicht reagieren.
„Ich will das hier nicht“, flüsterte ich dennoch weiter. War es reine Naivität, damit aus dieser Lage herauszukommen? Oder lediglich Hoffnung, Linus spielte nur ein schlechtes Spiel? Egal, an was ich mich klammerte, es verhalf mir, einen klaren Kopf zu bewahren und alle Mittel auszuschöpfen. Die mir in den Sinn kamen.
Die Arena, in der wir uns befanden, wurde mit einem Mal leiser. Fast, als wäre ein Fußballstadion mit einem Fingerschnipsen verstummt, sahen alle Römer, egal welcher sozialen Schicht, auf die Empore. Ich verstand, dass es sich um den Cäsar handeln musste. Sofort drehte sich Linus zu ihm, presste seine Faust auf den sauber polierten Brustpanzer und verneigte sich. Ich glaubte kaum, dass sich der sonst so starrköpfige Mann, den ich seit fünfzehn Jahren kannte, vor jemanden wie einem alten König verbeugte. Das Poltern, das als seine Reaktion bei Sicht des Cäsars erklang, hallte in meinen Ohren wider. Und während der ach so große Herrscher seine Rede mit lauten klaren Worten begann, versuchte ich es erneut und sprach Linus an.
„Linus, verdammt, was soll der Aufzug?“ Mir war klar, dass man mich feinselig behandelte. Ich konnte mir auch ausmalen, wieso. Aber warum stand mein bester Freund vor mir? Die Tatsache, dass wir beide uns bewaffnet in einem stark besuchten Kolosseum wiederfanden und sich unsere Erfahrung nicht mal ansatzweise glichen bei diesem Wiedertreffen nach Wochen, erzeugte in mir ein mulmiges Gefühl. Was war nur mit ihm geschehen?
„Gibst du dich als Retter dieser Welt aus und ich bin dein Feind?“ Ich erkannte, wie sehr sich seine Nasenflügel bewegten. Linus hasste jegliche Form von Regelbrüchen, deshalb wusste ich, dass er mich verstand. Man unterbrach den Herrscher nicht in seiner Rede, man hörte zu! Doch genau das tat ich nicht und war mir damit Linus Aufmerksamkeit sicher.
„Komm schon, ich bin weder ein Gladiator noch ein Kämpfer, noch irgendwer sonst. Ich will hier nur wieder weg. Ich find’s ja toll, dass der da oben nun dein Buddy ist, aber bitte. Ein Kampf auf Leben und Tod? Wirklich?“
Linus zuckte leicht zusammen, doch wand sein Blick nicht vom Cäsar ab. Was der Typ da oben schwafelte, interessierte mich nicht. Ich verstand es ja nicht einmal. Der war in seiner Rede vertieft, in seinem eigenen kleinen Luftschloss. Also nutzte ich die Gelegenheit und sprach weiter.
„Linus“, flüsterte ich nun diesmal ein wenig lauter. „Ich bin nicht dein Feind. Ich will niemandes Tod. Und vor allem nicht will ich deinen Leichnam in Händen halten.“
Mir drückte sofort ein Stein auf die Brust und eine Schnur zog meinen Hald zusammen. Dieses schwere Gefühl im Magen wurde stärker, als sich das Bild von einem toten Linus vor mir aufmachte. Auch wenn seine Rüstung besser aussah und vermutlich auch mehr aushielt, war ich doch der sportlichere von uns beiden. Ich bezweifelte, dass Linus in den Wochen sich derart verbessert hatte, also schätzte ich meine Chancen nicht schlecht. Und gleichzeitig schlug die Moral auf mich nieder und zermürbte meine klare Sicht. Wollte ich wirklich daran denken, wie gut ich Linus besiegen konnte?
Wir beide hatten seltsame und schlimme Erfahrungen machen müssen. Doch ich vermutete, dass physische Folter mein Leben in den letzten Tagen mehr in Mittleidenschaft gezogen hatte als Linus mit seiner neuen Freundschaft mit einem Cäsar.
Schließlich beendete der Herrscher seine Rede und zeigte auf uns beide. Hieß wohl, wir sollten anfangen. Deswegen stellte sich mein bester Freund vor mir auf. Seine Lippen spalteten sich, bis fremde Worte an mein Ohr drangen, die in mir eine Gänsehaut erzeugten. Nebenbei lief er in die Mitte der Arena, stellte sich mit geradem Rücken in die Sonne und stampfte mit dem Speerende in den Sand. Damit entfachte er ein Raunen in der Menge. Erneut stieß er ihn in den Boden, sodass Staub aufgewirbelt wurde. Die Menge wurde lauter, rief ihm zu, während mir Buhrufe zu Teil wurden. Ich stand immer noch mit dem Schwert in der Hand, sah ihn stumm an.
„Wenn du meist, mich besiegen zu können, dann beweise es. Aber wisse, leicht mache ich es dir nicht.“
Und dann erhob er die Speerspitze und richtete sie auf mich.