Die Sonne strahlte ihre Freude aus wie jeden milden Sommertag. Wolken zogen durch den Himmel wie fließend Wasser, sodass As das durchstechende Blau mit dem Fluss seiner Heimat verband. Im Hintergrund plätscherte das Wasser friedlich, Vögel sangen ihr Lied und As schloss die Augen.
In den langen Gewändern war ihm warm, doch es war angenehm. Elegante matte Farben zierten den schlanken Körper des Elfs. Schuhe trug er keine im Tempel des Nadrial. Es wäre nicht nur verpönt, sondern eine Schande, würde der der Prinz zu diesen Festtagen den Ahnen solche Dreistigkeit an den Tag legen. Die Füße bildeten das Zentrum zur Erde. Die nackten Sohlen verbanden sich mit der Energie der Natur. As spürte jeden Grashalm, der ihn kitzelte. Und jedes Körnchen Erde, das in seine Haut piekte. Mit jedem Atemzug verband er sich mehr mit seiner Umgebung.
Das Rauschen wurde dumpfer, sein Herzschlag wurde ruhiger. Die Zehen bewegend erinnerte sich As an den Singsang, den er für diesen Tag einstudiert hatte. Als eventueller Nachfolger des Elements der Altelfen, einem Schmuckstück ohnegleichen, würde er damit nicht nur eine Bürde auferlegt bekommen, sondern damit auch das Schicksal der Elfen entscheiden können.
As sang lauter. Die Wände des Tempels waren zu weit weg, als dass ein Echo ihm antworten würde. Die Hände erhoben, sang er die letzten Zeilen und vertiefte sich in der Vibration seiner Kehle.
Nun hatte er Nadrial geehrt. Den ersten Erwählten. Die eigentliche Prüfung stand ihm noch bevor. Als As die Augen öffnete und die offenen Tore vor sich erkannte, zögerte er kurz. Als Prinz hatte er diese eine Aufgabe und somit blieb ihm auch keine andere Wahl. Den schlechten Gedanken und Sorgen gab er keine Zeit, als Wolkendecke seinen Verstand zu verdunkeln. Stattdessen trat As trat entschlossenen Schrittes vor und hörte, wie die Diener in verbeugter Stellung die Holztore schlossen.
Er stand vor der Bahre des letzten Erwählten. Geschmückt mit bunten Blumen und Girlanden hatte man dem Elf seine letzte Ehre erwiesen. Würde As nicht hier stehen, hätte man die Seele des Erwählten frei gegeben, doch das Element brauchte seinen Nachfolger. Und dies konnte nur geschehen, wenn der letzte Erwählte für immer die Augen schloss und das Element seinen neuen Träger erwählt hatte. As kam näher, die Augen stur auf die gefalteten Hände des Toten gerichtet. Dessen Haut war ebenso glatt und weich wie die des lebenden Elfen, doch die matten Lichtverhältnisse in dem kleinen Raum sorgten dafür, dass As Zitteranfälle bekam. Die Luft wurde dünner. Schweiß stand ihm auf der Stirn. Schließlich konnte er nicht anders, als vor der Bahre stehen zu bleiben und das Gesicht anzuschauen.
Sein Vater sah aus, als würde er mit offenen Augen schlafen. Der Glanz der schwarzen Iriden würde nie mehr scheinen und die sanften Gesichtszüge würde nie mehr Gefühle ausdrücken können. Der letzte König der Altelfen lag vor ihm. Und der Prinz der Altelfen stand ratlos vor dem alten König.
Man hatte As vorbereitet. Man hatte ihn trainiert. Die einzige Aufgabe für As bestand nur, das Element als neuen Wächter zu dienen, damit das Volk der Altelfen weiter existieren konnte. Seinem Vater hatte es nicht nur Würde verliehen, sondern Macht und Ruhm. Er war ein gerechter Herrscher gewesen.
As konnte wegen seiner gespengelten Hautfarbe von hell und dunkel nicht Herrscher werden. Außerdem erlaubte man ihm nicht, in der Rangfolge der Königlichen irgendeinen Platz anzunehmen. Doch er musste seinem Volk von Nutzen sein und sein Vater war der letzte Auserwählte gewesen. Wenn As der neue Träger werden würde, so konnte er endlich den Respekt seiner Artgenossen verdienen.
Und was tat er? Betrauerte den König und stand vor ihm wie ein befehlsloser Diener.
„Vater“, murmelte As und schaute weg.
Nichts geschah. Kein ehrfürchtiges Flüstern in der Stille, kein Windrauschen zwischen den Balken und schon gar kein helles Leuchten aus dem toten Leib. Um nichts unversucht zu lassen, sang der Prinz ein Lied nach dem anderen, vollführte für den Ahnen kleine Tänze, zeichnete huldigende Gebete in die Luft und konzentrierte sich auf die Natur und sein elfisches Ich. Nichts passierte.
Irgendwann fluchte As innerlich. Er war also nicht der nächste Erwählte, ansonsten hätte sich das Element bereits gezeigt. Der aus schwarzem Sand hergestellte Glaskristall war Generationenübergreifend immer anders in Erscheinung getreten und hatte auch seinen eigenen Willen. Sein Vater hatte einen Ring gehabt, welcher beim Tod verschwunden war. Sein Großvater dagegen hatte ein Medaillon um den Hals getragen. Als würde die Suche nach einem Schmuckstück kein Glück bringen. Und nach ihm rufen und es zwingen konnte As nicht. Das Element spielte nach seinen eigenen Regeln.
As Schultern hingen herab, er sah auf seine Zehen schaute. Der große Zeh war schwarz, der kleine Zeh weiß. An dem anderen Fuß hielten sich die anderen Zehen in unterschiedlichen Hauttönen. Der Elf atmete ein, schloss die Augen. Es sollte wohl nicht sein. Damit er seinen Vater nicht verspottete nahm As dessen Hand und drückte sie leicht.
„Ich verehre Euch, Vater. Ich werde dem Volk keine Schande bereiten! Es wird auch mir gelingen, meinen Beitrag zu leisten!“ Das Versprechen, das sich As seit Kindesbeinen gegeben hat. Dann ließ er die Hand los. Sie fiel wie ein loses Holzscheit auf den Oberkörper zurück. As drehte sich um, bereit, mit dieser Schmach zu leben. Die Tränen bereits in den Augen, spürte er ein Stechen.
Dann fiel er um.