„Könntest du endlich mal einen Zahn auflegen!“, rief es aus der Küche hinauf in mein Zimmer. Ich verdrehte die Augen, kramte nach dem nötigen Zeug, das ich für den wöchentlichen Besuch bei meiner Tante benötigte und stampfte mit teils energischem, teils nervösem Schritt die Treppe hinunter.
„Da bist du ja“, rief meine Mutter, die vor dem Backofen stand und noch hektisch nach dem Puderzucker suchte. Sie vergaß immer, wo sie ihr Zeug hinstellte.
„Oben links“, sagte ich ihr beim Vorbeigehen und meine Mutter öffnete die Schranktür. Immer mit murmelnden Worten zwischen den Lippen in ihrer Landessprache griff sie nach der Verpackung und lies den Puderzucker wie Schnee auf den frisch gebackenen Apfelkuchen rieseln. Man könnte es mit dem Wetter draußen vergleichen, jedoch würde das auch heißen, dass wir in einer halben Stunde spätestens im Auto sitzen sollten. Es war glatt, also würden wir länger zur Tante brauchen. Ich sah demonstrativ auf die Uhr und lehnte den vollgepackten Rucksack an die Küchentheke. Mit einem vollen Wasserglas setzte ich mich auf den hohen Stuhl und nippte daran.
„Wir sollten dann“, erinnerte ich sie. Mit hektischem Ausdruck im Gesicht, sodass ihr von Natur aus den wilden langen Locken im Gesicht umherflatterten, sah sie mich an. „Ich sagte doch, es ist allem im grünen Reich!“ Ich musste schmunzeln, verstand jedoch, was Mutter mir sagte.
„Es heißt „im grünen Bereich“, korrigierte ich sie und sah mein Gesicht im Wasser spiegeln.
„Jaja!“, murrte sie und murmelte wieder vor sich hin. Als meine Mutter nach Deutschland gekommen war, war ich noch nicht geboren worden. Meine Eltern haben sich gut in diesem Land eingelebt, das ich nun als meine Heimat bezeichnete. Was ich jedoch nicht verstand, war die Aussprache meiner Mutter. Die verwechselten immer gewisse Begrifflichkeiten, wodurch Sprüche, die man eben mal so sagt, einen komischen oder gar verstörten Sinn ergaben.
„Wo ist eigentlich dieser Lukas?“, fragte sie nebenbei, während sie den Kuchen weiterhin verzierte.
„Der ist nicht gut für Tochter!“, murrte Vater, der an der Küchenecke seine morgendliche russische Zeitung las. Ich unterdrückte ein weiteres Augenrollen. „Lukas ist sicher gleich hier.“ Meine feste Beziehung seit nun zwei Jahren wurde immer noch von meinem Vater misstrauisch beäugt. Er glaubte nicht, dass ich eine Beziehung mit sechszehn führen könnte und ebenfalls wisse ich auch nicht, was gut für mich sei.
Meine Mutter dagegen trällerte den üblichen Satz, den sie immer sagte.
„Mein Bauchsagen, dass der junge Mann ein guter Papa für unsere Kleinen wird!“ Ich klatschte meine flache Hand gegen die Stirn. Bitte nicht schon wieder. „Mama, ich sagte doch, ich will keine Kinder.“
Meine Mutter dagegen hörte mir wieder nicht zu und kramte nach den Preiselbeeren, die sie wohl auf den Kuchen packen wollte.
An der Tür klingelte es. Ich sprang auf und wollte vor meinem Vater an der Tür ankommen. Ich schaffte es und warf mich voller Vorfreude auf meinen Freund. Er gab mir einen Kuss und wir beide gingen zusammen in die Küche. Höflich wie immer grüßte Lukas die beiden. Papa murmelte ein paar Worte, die als „Hallo“ durchgingen. Doch an diese mürrische Ansprache war Lukas bereits gewöhnt. Was der junge Mann jedoch jedes Mal zu vergessen scheint, war meine Mutter, der Wirbelwind.
„Aaach, der junge Mann. Groß bist du geworden.“ Es müssten keine zwei Wochen her sein, als meine Eltern ihn gesehen haben. Da kann man nicht so schnell wachsen. Doch diesen Kommentar unterdrückte ich.
„Ich freuen mich, wenn Viktoria und du endlich Eltern werden!“, gab meine Mutter zu verstehen.
Und ich konnte den Countdown abzählen, dass nun gleich wieder ein Streit entfachen wird. In drei, zwei, eins.
„Hör auf, ihn zu bevormunden!“, meckerte mein Vater und klappte die Zeitung zu.
„Ich schmiere kein Honig ums Gesicht!“, konterte sie.
„Doch tust du. Viktoria...“ Während mein Vater wieder eine Rede hielt, zog ich Lukas zur Küchentheke und bot ihm ein Glas Wasser an. Er nahm es dankend entgegen. Es wurde lauter, während ich versuchte, meinen Freund aus der Schusslinie zu drängen. Nebenher fluchte ich.
„Ich fress´ gleich nen Besen…“, murmelte ich, was meine Mutter wiederum falsch verstand.
„Das ist nicht gut für den Magen!“, kommentierte sie. Lukas müsste sich ins Fäustchen lachen, so komisch müsste es sein einer Person zuzuhören, die Redewendungen nicht nur falsch verstand, sondern sie auch noch komplett falsch aussprach.
„Schon gut“, sagte er zu mir und küsste mich auf den Scheitel. „Ich komme damit klar.“
Ich drehte mich um, zog meinen Freund demonstrativ aus der Küche in mein Zimmer im oberen Stockwerk. Auf dem Bett sitzend sah ich auf die Uhr. Zehn Minuten müssten reichen, damit man ein bisschen Zeit für sich hatte.