Leise, ganz leise, huschten die Füße mit schwarzen Socken auf dem Teppichboden Richtung Ziel. Jeder Schritt schien so gefährlich wie der letzte und doch rasselte der Atem viel zu Laut in seinen Ohren. Zwar versuchte Zack, so leise wie möglich zu sein, doch niemals hätte er gedacht, dass seine Mission so schwierig sein würde.
Dabei war es doch nicht einmal seine Mission. Er musste das nicht tun. Und doch wollte er es. Diese doofe Neugier immer wieder!
Ein tiefes Luftholen zu seiner Linken und Zack schrak auf. Mist, wachte sie etwa auf? Hoffentlich nicht. Nein, sie durfte nicht…Er zuckte erneut zusammen, als sie sich bewegte. Das pinke Oberteil lugte unter der Bettdecke hervor, während Tina sich umdrehte und sich zu strecken schien. Ganz genau konnte man es in dieser Dunkelheit nicht erkennen, schließlich hatte seine ältere Schwester die Rollläden unten, sodass kein Licht zwischen den Schlitzen dringen konnte.
Während das Bett gefährlich knarrte und die Atemzüge unregelmäßiger wurden, hielt Zack die Luft an und machte sich instinktiv kleiner. Schnell huschten die Augen zum Fenster, oder vielmehr, was darunter stand. Der große Schreibtisch bot für den Elfjährigen Vielerlei, das es sich lohnt, näher in Augenschein zu nehmen. Doch nur ein Objekt war das seiner Begierde. Das Buch des Lebens. Ihres Lebens. Tinas Tagebuch. Ehrfürchtig machte Zack eine Sekunde Pause, bevor er weiterschlich.
Es lag oben auf, ganz einfach zu stehlen. Und doch waren diese fünf Meter voller Spielzeug vom Hund und Mädchensachen einfach…sie waren Hürden, Hindernisse, unüberwindbare Gegenstände. Es glich dem Besteigen eines Berges neben einem schlafenden Bären.
Wenn das Bett doch nur nicht so nah am Schreibtisch wäre.
Fest entschlossen setzte Zack den linken Fuß an eine freie Stelle am Boden, dann den rechten auf einen Kleiderhaufen. Als er seine Beine immer wieder viel zu langsam hob, fiel er fast aus dem Gleichgewicht und drohte zu stürzen. Dank seiner schnellen Reflexe griff er gerade so noch die Stuhllehne und drückte sie nach unten, sodass der Stuhl nicht mit ihm umfiel. Gerade so schaffte Zack es, sich zu halten und ungelenk wieder aufzustehen, als er erschöpft die Luft ausstieß. Und während seine Hand nach dem Tagebuch griff, schaffte es der Oberschenkel, den Collegeblock auf den Boden zu schmeißen.
Angespannt wie eine Bogensehne sah der Junge zu, wie die losen Blätter am Boden verteilt lagen oder teils wie leiser Schnee nach unten flatterten. Das Gewirr aus Hausausgaben und Kritzeleien ignorierte er, als sich Tina wieder bewegte. Oh nein! Doch zum Glück schien sie sich wieder beruhigt zu haben, aber nun starrte Zack direkt in das Gesicht seiner schlafenden Schwester. Würde er wieder so unvorsichtig sein wie gerade eben, so würde sie ihn auf frischer Tat ertappen. Flink wie ein Wiesel schnappte sich der Kleine das Buch und huschte gekonnt denselben Weg hinaus. Die Tür ließ er angelehnt, falls Tina durch das Zuziehen aufwachen würde.
Zwei Zimmer weiter saß nun Zack vollkommen zufrieden auf seinem Bett und versuchte, das kleine Schloss aufzubrechen. Ungelenk und grob machte sich der kleine Bruder zugange, aber es brach auseinander.
„So, und nun weiß ich endlich, wer dein Schwarm ist!“ Frech grinsend öffnete Zack die erste Seite und blätterte gelangweilt auf das gestrige Datum. Doch je mehr er blätterte, desto weniger beschriftete Seiten fand er. Während auf der ersten noch Erlebnisse ihres Alltags gelistet waren, so fand Zack nach und nach nur unzusammenhängende Sätze, bis irgendwann nur noch Seiten voller: blabla oder anderen komischen Wörtern aneinandergereiht waren. Auf der letzten las er laut vor:
„HAHA!“
Und fast hörte er die Zimmertür bei seiner Schwester zuziehen und sie zwei Zimmer weiter laut lachen.