„Und du bi-..“, stottere ich und sehe in die blauen Augen, die irgendwie einen grünen Stich aufweisen. Ganz genau kann ich es in dem Wirr aus Farben nicht sagen, doch die Kolorierung seiner Augen steht so oder so außer Frage. Nicht einmal die Haare hätte ich mit der Ikone in Verbindung gebracht. Ikone oder doch eher ein Ebenbild einer gesamten Religion? Eine Berühmtheit auf jeden Fall.
Kopfschüttelnd mache ich auf meine Verwirrtheit aufmerksam, doch der Mann mir gegenüber scheint diese Reaktion häufig bei seinen Gesprächspartnern hervorzurufen, wenn er sein wahres Ich offenbart. Oder sagt er jedem, wer er wirklich ist?
„Ja“, erzählt er nickend und dabei wippen die kurzen braunen Locken. Sie stehen weder wirr vom Kopf ab noch sind sie wirklich gestylt. Mehr scheint jede Strähne selbst ihren Willen zu haben und doch zu wissen, wie sie sich bewegen muss, um dem Mann, der sich mir als Jesus vorstellt, einen gewissen Charme zu bieten. Im Gesamten ist er, wie er im Buche steht. Schlank, aber nicht knochig. Muskulös, aber nicht sportlich. Sehnig, aber nicht zu drahtig. Die Haut ist sonnengeküsst, aber dennoch mit einem blassen Teint versehen. Auch die Gesichtszüge verschwimmen zwischen kantig und rund. Doch immer noch habe ich nichts erwidert und hebe die Hand zum Abwinken.
„Du glaubst mir nicht“, stellt Jesus fest und redet im akzentfreien Deutsch weiter. „Das kenne ich zu..“ Er bricht ab, als er mich erneut kopfschüttelnd sieht.
„Nein“, sage ich kurz und stöhne auf. Wieso immer diese langen Sätze?
„Ich hab-e-e ….ich glaube-e dir, aber i-ich ka-ann nicht gut re-eden“, stottere ich erneut und sehe, wie sich Überraschung auf seinem Gesicht zeigt. Es ist auch zu deutlich wahrnehmbar, wie mein Mund sich zuckend verzieht, wenn die Wörter wieder nicht so aus dem Mund sprudeln, wie ich es gerne hätte. Spott erwarte ich keinen, nicht bei Gottes angeblichem Sohn. Aber ein Zwiespalt macht sich in dem schönen Gesicht breit. Ich sehe es deutlich. Ist es der Grat zwischen Ablehnung und zwanghafter Toleranz, weil er eben DER Jesus ist?
„Was –i-i-st..?“
Ich kann so oder so keinem wirklich was erzählen. Und wenn, dauert das eine geschlagene Stunde. Mich meiden die Menschen deshalb, Witze über Stotternde kenne ich genug. Aus diesem Grund glaube ich Jesus auch, dass er meint, der richtige Gottessohn zu sein. Denn er ist der Einzige, der mich ausreden lässt. Als er allerdings in die Ferne über den Campus schaut und die Studenten betrachtet und wieder zu mir blickt, kann ich nicht recht sagen, was in ihm vorgeht. Gerade diese Unsicherheit, nicht zu wissen, was in meinem Gegenüber vor sich geht, macht mich innerlich unruhig und meine Sätze haken mehr ab als gewöhnlich.
„Ich kenne es, dass man mir sofort glaubt, aber im Normalfall gehen sofort die Leute auf Knie oder verbeugen sich. Ich kann das abhaben und verstehen. Ich meine, ich weile ja schon eine Ewigkeit da oben. Alle paar Jahrtausende komme ich auf die Erde und schaue nach dem Rechten. Das ist ein Pakt zwischen mir und Du-weißt-schon-wem. Quasi jedes Jubiläum.“ Jesus lächelt matt, senkt sofort den Blick. „Du dagegen..“, er schaut schnell auf und ich kann wieder das Gefühlscocktail in seinen Zügen erkennen.
Der warme Wind spielt wieder mit den Haaren, während das weiche Verziehen seiner Mundwinkel für eine Sekunde seine schwere Müdigkeit preisgibt. Die Augen wirken dunkler, fast schon schwarz. Doch der Braunhaarige fängt sich sofort wieder. „Du bist anders.“
Vielleicht versteht Jesus diese Fähigkeit unter Menschen nicht, dass man nicht alles Absonderliche wirklich spannend findet. Ich tanze ja selbst aus den Reihen, weshalb mir seine Erscheinung weder sonderlich spannend noch unglaublich faszinierend vorkommt.
„Ich f-inde d-dich“, doch bevor mein Satz zu Ende ist, nimmt er schnell meine Hand und reibt die weiche Haut. Er atmet tief ein und sofort erfüllt ein warmer Sog mich. Die Welt um mich herum liegt einen goldenen Schleier um sich, die Wärme der Sonne berührt meine Haut, während Blumendüfte meine Nase erfassen. Tränen der puren Befriedigung und Glückseligkeit kullern mir plötzlich über die Wangen. Mein Verstand braucht zwei Sekunden, bis ich seinen Hintergedanken erfassen kann.
„Nein, lass es“, sage ich und will meine Hand wegziehen. Jesus dagegen hält sie eisern fest. „Ich möchte das nicht.“
Falten auf seiner Stirn machten klar, dass er seit dem letzten Jahrtausend einiges verpasst hat.
Sofort lässt er mich los, als der Widerwille in meinem Blick allzu deutlich wird.
„D-anke.“
„Wieso?“, fragt er und schaut wieder unsicher durch die Reihen voller Studenten. Er sieht sie alle. Viel zu junge Begabte, alte Professoren, Pflanzenliebhaber, Fleischesser, Politikinteressierte und selbst die Bücherwürmer und Schwänzer. Doch er sieht nicht die Entwicklung der Menschen. Die Stärke des Individuums, die Toleranz. Er sieht nicht mich, als seine Farbmischung auf meine langweiligen Braunen treffen.
Ich muss grinsen, ziehe ihn an der Hand von der Bank.
„Komm, ein E-eis, wäre jetzt- ni-cht schlecht, oder?“