Ein paar Minuten vielleicht noch, dann konnte er endlich ins Wochenende starten. Philip stieß seine angehaltene Luft aus und betrachtete den strahlend blauen Himmel aus dem zehnten Stockwerk. Über der Stadt hatte sich die Sommerstimmung bereits ausgebreitet. Entweder waren die Straßen voll, weil die Urlauber aus der Stadt flüchteten oder man hatte Touristen, die die Großstadt unsicher machen wollten. Philip dagegen stand in locker sitzendem Anzug vor der Glasfront und hörte von hier oben bereit ungeduldiges Gehupe und knirschende Zähne. Leise lächelnd beneidete er keinen der Menschen, die hinter dem Steuer saßen oder in überfüllten Zügen standen.
Er brauchte nur eines: Ruhe und ein kühles Bier.
Das Räuspern hinter ihm riss ihn aus seiner Ruhe. Hinter ihm stand eine Mittzwanzigerin in adrettem Kostüm und musterte den Unternehmer mit strenger Miene.
„Wie ich sehe, sind Sie schon bereit“, kam es grimmig von der Sekretärin. Selbst wenn die Frau gute Laune nicht gepachtet zu haben schien, nickte sie ihm höflich zu und entfernte sich schnell. Philip sah der Dame noch lange nach, bevor er in das nun offene Büro.
Anders als die Urlauber, die sehnsüchtig nach Meer und Strand schrien, murmelte sich Bernd bei heruntergezogenen Vorhängen in dem dunklen Raum ein und hoffte, keinen einzigen Sonnenstrahl in den Raum gelangen zu lassen. Stickige Luft hüllte Philip ein, als er sich auf den einzig freien Stuhl setzte und wartete, bis sich Bernd herabließ, mit ihm zu plaudern. Die Klimaanlage schien stetig zu arbeiten, doch Frische konnte kaum die Rede sein.
„Philip“, begrüßte Bernd ihn und räusperte sich. In Feinrippunterwäsche und Kühlgetränk bewaffnet schien der alte Mann mit dem Stuhl verwachsen. Nur jahrelang antrainierte Fähigkeiten sorgten dafür, dass sich Philip nicht sofort aus dem Raum entfernte oder gar einen Muskel verzog. Er verdiente zu gut und hatte eine viel zu gute Stelle zu verlieren.
„Bernd“, entgegnete Philip und lehnte lässig auf dem Stuhl. Die Finger verschränkt wartete er auf die Hiobsbotschaft, die ihm das Wochenende versauen könnte.
„Ich habe einen Auftrag für dich“, begann der Winterliebende Bernd, deutete auf eine auf dem Tische liegende Mappe, die Philip sogleich an dich nahm. Er öffnete den Deckel und zog die Augenbrauen hoch.
„Ein Todeskreuz?“, fragte er und betrachtete das Deckblatt. Ein verzierter schwarzer Kompass mit vier Himmelsrichtungen hob sich von dem weißen Papier ab. Die sechszehn Spitzen zeigten in die entsprechende Richtung von Nord bis Süd. Philips Hand fuhr über die Erhebung von Ostnordost. Anders als die anderen Spitzen konnte der Mann nur diese Richtung auf dem Blatt spüren, als habe diese Richtung eine besondere Bedeutung.
„Das ist das Zeichen einer Verbrecherbande namens Ostnordost. Ein dämlicher Name, wie ich finde, aber gut. Wir haben Informationen, dass der Kopf der Bande unter anderem Schmu treibt mit deutschen Druckereiunternehmen. Ich denke, du weißt, auf was das hinausläuft.“
Philip nickte einmal und verabschiedete sich im Geiste von dem ruhigen Wochenende. Er musste ermitteln, spionieren und vielleicht auch andere Dinge tun.
Aber zuerst musste er aus diesem Raum heraus.