Ich fing an die Worte nieder zuschrieben, die in meine Kopf entstanden. Doch als ich zu aller erst meinen Stift in die Hand genommen habe und dann mich aktiv an den Schreibtisch setzen wollte, kamen mir noch andere Gedanken. Was, wenn ich Durst während meines neuen Hobbys bekommen sollte? Also stand ich auf, um meinen künftigem Bedürfnis Herr zu werden, und trank zuerst am Waschbecken einige Schlücke, bis ich mit vollem Wasserglas wieder ins Büro stapfte. Okay, jetzt fange ich aber an. Also wieder den Füller in die Hand, weil man ja durch einen Kugelschreiber viel zu schnell einen Krampf in der Hand bekommen würde, und die andere an den Kopf. Ich kratzte mir unwillkürlich den Nacken und überlegte angestrengt. Über was sollte ich eigentlich schreiben? Ich sah die Klatsch-Broschüre auf dem Boden an und blickte auf den angeblichen Ratgeber. Auf der Titelseite stand neben dem ganzen anderen Kram geschrieben:
Fühlen Sie sich wohler, durch ein neues Hobby.
In dem Artikel ging es um einen Mann, welcher durch Sport und anderem wirren Zeugs neue Lebensfreude gewonnen hatte. Unter anderem sollte man sich etwas vornehmen, dass man vorher nicht gemacht habe. Und nun saß ich hier in meinem kleinen Zimmer und schaute aus dem Fenster.
Gut. Ich atmete auf und brachte meine ersten Worte zu Papier.
Der Mann, welcher vor mir die Straße fegte, trug einen grünen Pullover.
Ich sah mir selbst zu, wie armselig der Beginn meiner abenteuerlichen Fantasy-Geschichte wurde. Doch ich arbeitete mich voran und malte mir aus, wie der Mann vor mir merkte, dass er etwas Besonderes war. Ein Magier vielleicht? Nein, ich schüttelte den Kopf und brach den begonnen Satz ab, wie er einfach anfing in die Höhe zu fliegen. Zunächst strich die Sätze bis zu der Beschreibung des Mannes durch und überlegte.
Dann schrieb ich weiter und setzte die Geschichte in einem anderen Genre vor. Horror. Ja, gruselig. Das war doch etwas. Schließlich mochte ich selbst gerne Gruselgeschichten. Also fing der Mann an, die Straße zu fegen und hörte ein komisches Geräusch. Ein Schrei, dann ein Knacken. Wie aufregend! Er würde erschrocken zusammenfahren und in Richtung der Ursache laufen.
Schnell stutze ich und hörte auf, die Feder über das Papier gleiten zu lassen. Das machte doch keinen Sinn. Würde man bei etwas, dass einen erschreckt, nicht eher weglaufen? Grade wenn man nur mit einem Besen bewaffnet war? Schnell holte mich die Realität ein und ich stöhnte auf. Ich sah wieder meinen Nachbarn an, wie er gelangweilt seiner Tätigkeit nachging. Er war single, daher wäre ein Drama doch sicher etwas, was die Leser begeistern würde.
Daher knüllte ich das vollgeschriebene und vollgekritzelte Dokument zusammen und warf es nach hinten. Ich begann also von vorn und schrieb:
Es war einmal ein einsamer Mann, welcher seinen grünen Pullover trug und traurig die Straße fegte. Es würde so gerne eine Frau haben, die ihn an seiner Seite helfen würde.
Klang das nicht irgendwie Klischeehaft und zu abgedroschen? Naja.
Daher freute er sich, als eine Neue in seiner Nachbarschaft eingezogen war. Sie war ein paar Jahre jünger, jedoch…
Ich hielt wieder inne, las die letzten Sätze und schüttelte unzufrieden den Kopf. Was für ein Kauderwelsch. Stöhnend stand ich auf und nahm das Smartphone zur Hand. Mit dem Wasserglas in der anderen stand ich anschließend am Fenster und trank daraus, während ich die sinnlosen Sprachnachrichten abhörte, die mich seit den nicht wirklich produktiven zwanzig Minuten erreicht hatten. An der letzten angekommen, gehörend zu meinem nervigen Arbeitskollegen, welchen ich eigentlich gar nicht leiden konnte und mir nur irgendwelche Informationen bezüglich der Arbeit geben wollte, brach ich diese ab und rollte die Augen. Wütend stellte ich das Glas ab und knurrte vor mich hin. Wieso wurde ich nur während meiner freien Tage gestört? Er könnte auch gleich zu mir nach Hause kommen und mich stören, während ich meinen wirklich wichtigen Tätigkeiten nachging. Mit Schnauben trampelte ich wieder zur Küche zurück, füllte das Glas erneut und ließ meiner Gedankengänge freien Lauf.
Wie würde denn er sich fühlen, wenn ich bei ihm ganz spontan zu ihm fahren würde? Er kam mir so oder so immer komisch und sehr distanziert vor, sodass ich nie wusste, was er eigentlich machte oder dachte. Vielleicht war er ja ein Geheimagent und musste eine Mission erfüllen? Oder etwa ein Superheld, der sich zu schade war, die Welt zu retten, weil ihm seine Büroarbeit wichtiger war? Oder ganz andere Richtung. Vielleicht war er ja auch König eines fernen Landes und war auf der Flucht und suchte Unterschlupf in Deutschland?
Moment, wie war ich an mein Büro gekommen? Fast schon automatisch ergriffen meine Finger den Füller und schrieben die Worte nieder, an die ich gerade dachte. Ich schrieb ahnungslos irgendwelche zusammenhängende Buchstaben und verband das mit Kreisen und Strichen, was ich am besten fand. Unzufriedenes oder Sinnloses strich ich durch und fing an, meine Gedanken aufs Papier zu bringen.
Einige Jahre später:
Ich suchte mir mein Lieblingsbuch raus und ging an die Kasse. Die Buchhandlung meines Vertrauens sammelte immer seltsame Werke, sodass während des Anstehens mein Blick über die Reihen von Romanen und Thrillern, Krimis und Kinderbücher glitt. An einem verfing ich mich und schaute näher hin. Schmunzelnd ging ich näher ran und nahm es ebenfalls aus dem Regal und legte es zu dem ersten dazu. Die Verkäuferin schaute mich skeptisch an, dann nickte sie.
„Ein komisches Buch, doch ich mag es irgendwie“, sagte sie mehr zu sich als zu mir. Doch ich packte das Buch schweigend ein, ging aus dem Laden und fuhr nach Hause. Auf dem Weg in der Bahn konnte ich nicht umhin, es wieder in die Hand zu nehmen und den Titel zu lesen.
Der Kollege, der alles ist
Ein Buch über Irrsinn, Wahnsinn und Idiotie