Ihre Haare fühlten sich so weich zwischen meinen Fingern an. Sanft fielen sie wie geflossenes Gold auf ihre Schulter zurück, als ich meine Hand hob und die letzten Strähnen durch meine Finger gleiten ließ. Die Berührung wirkte so willkürlich, so besitzergreifend, so sinnlich. Ihr Atem stockte, das konnte ich fühlen. Hören.
„Meine liebe Nela“, flüsterte ich. Hauchte die Worte an ihr Ohr, obwohl wir beide einige Zentimeter Abstand zueinander hatten. Und selbst wenn sie die Worte im Wortlaut nicht verstand, so war die Bedeutung des Moments schwerwiegender. Keiner würde missverstehen, was ich nun tat. Was ich im Begriff war zu tun, glich einem Meilenstein. Ich erwählte sie. Jede Stelle meines Körpers wollte Nela, sehnte sich nach ihren zarten Fingern, die die Harfe spielten wie keine Zweite. Ihre melodische Stimme war genauso himmlisch wie ihr Instrument, das sie gerade gespielt hatte. Und das enganliegende Kleid an ihrem zartbesaiteten Körper brachte mich um den Verstand. Die leise Geräuschkulisse in der Hamburger Elbphilharmonie hallte in dem gewölbten Gebäude, während die Wände die bedeutsamen Momente verschlang. Als ihre Augen, diese blauen weiten Ozeane, mich ansahen, lockerten sich die Schultern.
„Hallo Alex“, sagte sie. Nela sprach mit mir.
Und sofort blinzelte ich, versteifte meine Finger um das Sektglas und dachte gleich, es brach auseinander. Der leuchtende Moment war vorbei und ich checkte erst zu spät, dass sie wirklich vor mir stand. Dabei hatte ich mir die hinterste Ecke ausgesucht, um nicht aufzufallen.
„Hallo“, begrüßte ich sie und rückte ein wenig ab. Hoffentlich spiegelte sich die Schmach nicht in meinem Gesicht, da ich mir die Sekunden zuvor völlig eingebildet hatte. Sie war auf mich zugekommen, das hatte ich noch bemerkt. Doch mein Verstand spielte mir einen Traum vor, der niemals Realität werden würde.
„Gut siehst du aus“, lobte die Musikerin mich und legte den Kopf schräg. Ihre glatten Haare fielen von der rechten Schulter und eröffneten mir ihr Nacken. Sofort atmete ich flacher, um den Duft von Magnolien und Vanille nicht zu riechen. Mein Körper reagierte von ganz allein, doch ich hielt meine Miene verschlossen. So dumm, wie ich mich verhielt, könnte ich mir auch einen Partyhut aufsetzen, doch die kalte Schulter zeigen war mir eine bessere Option als den stammelten Trottel zu spielen.
„Danke, du auch“, sagte ich nur steif und suchte nach Rettung. Keiner beachtete uns. Wir waren allein in der Menge, verloren. Ich auf eine andere Weise wie sie.
„Du wolltest mit mir sprechen“, fing sie erneut die Konversation an. Ich nickte nur. Für einen Arsch hielt sie mich so oder so. „Aber nicht hier.“
„Tut mir leid, in einer halben Stunde spielen wir noch ein Stück und….“
Ich unterbrach sie: „Keine Sorge, es dauert nicht lang. Ich...brauche keine zwei Minuten.“ Jetzt könnte ich noch einen Rückzieher machen, doch mein Körper übernahm die Kontrolle und trat zum nächsten Ausgang. Sofort zog der frische Wind an meinen Haaren und sie fror. Zitternd standen wir beide nun einsam in der kalten Sommernacht und sahen der Werft beim Arbeiten zu. Der Mond stand hoch, leuchtete ihr die Elbe in einer Pracht, wie sie eine war. Nela sah kurz umher, dann zu mir. Das Glas hatte ich irgendwohin gestellt und sah sie noch einen Moment lang an.
„Kannst du schneller machen? Mir wird kalt.“ Bibbernd rieb sie sich die Oberarme. Oh, wie ich ihr am liebsten das Kleid vom Leib reißen würde und ihr in der Nacht der Nächte meinen Namen stöhnen lassen würde. Heute war die Nacht der Nächte. Und meine Wahl war getroffen. Und auch wenn Menschen es anders handhabten, anders erwählten, taten wir es anders. Meine Seelengefährtin stand vor mir, nur wusste sie davon noch nichts. Der Trieb in mir könnte nicht anders, sie zu einem Teil von mir zu machen. Wenn nicht heute, würde es wieder fünf Jahre dauern, bis die Nacht mir es erlauben konnte. Mein inneres wildes Wesen trieb sich an die Oberfläche, je länger ich hier stand. Ich wollte sie so sehr.
Doch sie mich nicht.
Sie wollte mich nie. Sie wollte einen anderen. Wollte Kinder mir ihm. Der Ring um ihren Zeigefinger leuchtete sanft in dem Mondschein.
„Ich wollte dir gratulieren. Ich meine...dein Spiel und dein Solo waren zauberhaft.“ Meine Stimme war grausam hart und rau.
Nela lächelte sanft und schaute aus, als würde ich sie verarschen wollen. „Deshalb die Geheimniskrämerei?“ Sie lachte auf und es erklang wie Glöckchen in meinen Ohren. „Danke.“ Das sanfte Lächeln verzauberte meine Seele. Ihre Lippen waren wie ein Rausch, ihr Geruch umgarnte meine Sinne, mein Trieb wurde größer.
„Es tut mir leid“, murmelte ich nur. Und trat auf sie zu.