An der Stelle vielen Dank an Mark Z., der so nett war, die Geschichte zu vertonen. Solltet ihr also keine Lust zu lesen haben, hört gerne seiner Stimme zu und lehnt euch zurück :)
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Meine Kehle war trocken, als ich vor der Tür stand. Im Hintergrund hörte ich einen Vogel kreischen. Ob nach einer Partnerin oder lediglich, um mir eine Gänsehaut zu verpassen um die Stimmung noch düsterster klingen zu lassen, wusste ich nicht.
Doch ich wusste, was mir bevorstand, ohne dass ein Tier dies noch schlimmer werden ließ. Trotz dessen, dass ich nicht viel Wasser getrunken hatte sowie mein Frühstück ausgelassen habe, zog sich mein Magen zusammen und der Hunger schwand. Er machte dem Platz, was ich schon mein ganzes Leben hatte. Vielmehr als Hunger war es Angst, die sich nun in meinem Körper breit machte, meinen Würgereiz verstärkte, die Bauchschmerzen bis ins Unerträgliche steigen ließ. Die Frucht trieb meinen Puls hoch, der Blutdruck kochte mich innerlich und Schweiß stand auf meiner Stirn, so sehr donnerte mein Herz gegen die Brust. Doch dieser Moment war schnell vorbei. So schnell, dass ich ihn fast vergesse hätte.
Denn aus Furcht und Angst wurde etwas Anderes. Ruhe. Stille. Mein Puls war immer noch sicher über zweihundert, doch ich spürte diese kurzweilige Gefühlswelle nicht mehr. Nicht, als ich in das Gesicht sah, das nun vor mir stand und ein freundliches Lächeln auf dem Gesicht hatte. Die blonden kurzgeschorenen Haare und die harten Züge verrieten den Militärdienst, wenn man durch die sauber gebügelte Uniform nicht so oder so darauf gekommen wäre. Mir kurzem Nicken und einer etwas umständlichen Begrüßung, die nicht wie sonst so leicht von den Lippen kam, ging ich in das Herrenhaus der Familie Gertbauer. Das Anwesen an sich war sehr groß, doch vielmehr schockte mich die Person, die einst mein bester Freund gewesen war und nun als ein Offizier vor mir stand. Es waren gerade mal sieben Jahre her, in denen ich ihn nicht gesehen habe. Dennoch, etwas hatte sich verändert. Und diese Veränderung machte es uns beiden künftig unmöglich, wieder erleichtert über Privates zu sprechen oder uns unsere Sorgen auszutauschen.
„Kommt rein, mein Freund! Wir haben ein tolles Gastmahl für dich zubereitet!“
Es wurde eine Schallplatte aufgelegt, doch der Raum voller Musik erhellte die Stimmung dennoch nur minderwertig. Alexander dagegen behielt das stetige Lächeln bei, das ihm scheinbar antrainiert wurde. Er marschierte in den Speisesaal und bot mir den Platz neben seinem an. Zu seiner rechten Sitz saß bereits eine junge Dame, die sich mit Klara vorstellte. Seine Ehefrau. Fräulein Gertbauer, die bald das Erstgeborne zur Welt bringen würde und den Erben der Familie damit festlegte. Die Familie lebte sehr traditionell. Anders als ich, ohne Partnerin, ohne Kinder, ohne Familie. Nicht mehr. Nicht, seit sie mir genommen wurden.
Als sich die Dame bewegte, sah ich etwas Rotes aufblitzen. Das Symbol, dass viel Freiheit, mehr Brüderlichkeit und größere Gemeinschaft bedeutete. Die Spitzen gruben sich in den dunkelgrünen Stoff der dünnen Jacke, als sich Klara vorbeugte und mir einen Tee anbot. Ich nickte ein wenig zu skeptisch und abweisend. Alexander bemerkte es zu schnell, bevor ich meine Miene wieder kontrollieren konnte.
„Alles in Ordnung, Peter?“, fragte er mit einem Lächeln, doch die Betonung der Wörter ließen schließen, dass er meine Unruhe bereits bemerkt hatte, als die Tür geöffnet wurde. Meine trockene Kehle kam mir wieder in den Sinn, als ich die Tasse mit dem heißen Dampf ergriff und einen Schluck nahm. Die Hitze stieg mir zwar in den Kopf, jedoch vertrieb es weder meine Schmerzen im Körper noch die seelischen Wunden. Die Uniform vor mir glich der, die von den Männern getragen wurde, die meine Eltern abtransportiert hatten. Vor drei Monaten. Seither keine Spur, keinen Brief, kein Wort. Ich wusste, dass die Verhaftung nicht legitim gewesen war, wusste aber auch, weshalb Mutter und Vater gefangen genommen wurden. Wegen meiner Wurzeln.
„Ja“, sagte ich nur und nahm einen weiteren Schluck. Eigentlich sollte dieses Treffen meine Rettung werden, doch ich wusste, je länger ich hier saß, desto eher würde sich eine unsichtbare Schlinge zubinden. Einer, aus dem ich bald nicht mehr entkommen würde.
„Weißt du, Peter. Wir sind ja schon lange befreundet“, fing Alexander an und trommelte mit den Fingern ungeduldig auf der weisen Serviette. Klara stand auf und ging wohl in die Küche. Oder sonst etwas. Ich ignorierte sie, denn ich konzentrierte mich auf die Worte, die nun kommen würden.
„Aber irgendwie weiß ich immer, dass du etwas verheimlichst. Entweder liegt es an unserer langen Freundschaft oder du bist einfach ein offenes Buch.“ Weiteres Fingertrommeln. Ein dumpfes Geräusch, das in meinen Ohren wie Alarmglocken schrillte. Ich atmete tiefer ein, doch meine Kehle war wie zugeschnürt. Ich musste hier weg. Doch Alexanders Blick verriet, dass er ich nicht gehen lassen würde. Stattdessen schlich sich Klara wieder rein und stellte einen Teller mit Braten, frischen Nudeln und hausgemachter Soße vor mir hin. Wie sollte ich denn etwas essen, wenn ich nicht mal was trinken kann? Es glich nunmehr einer Henkersmahlzeit, wenn sie nicht auch eine war. Einige Zeit verging, als sich nach einigen Bissen Alexander zu mir drehte. Ich bekam derweil immer noch nichts runter.
„Ich wusste, warum du mich kontaktiert hast, lieber Peter. Aber ich muss dir leider sagen…“ Es nahm die volle Gabel in den Mund und kaute, ließ mich warten. Ich könnte schreien, so angespannt wie ich war. „Aber ich habe keine neuen Informationen für dich. Gertrude Herrich und ihr Mann Edmund Herrich sind verschwunden.“ Die bekannte Stille breitete sich wieder aus.
„Sie sind verhaftet worden“, kommentierte ich und sah ihn streng an. Wenn die Ruhe kommt, folgt bekanntlich ein Sturm. Auf solch einen wappnete ich mich. Ich kannte ihn, den sonst so schrulligen und abenteuerlustigen Menschen neben mir. Doch Alexanders Verhalten glich einer Abfolge studierter Verhaltensmuster. Sowohl seine Worte, als auch seine Bewegungen waren zu abgehakt, viel zu diskret. Doch ich bemerkte das Stocken, dass direkt nach meinen Worten folgte. Obwohl es nur einen Augenblick gedauert hatte, kannte ich meinen ehemals besten Freund viel zu gut. Das Militär hatte ihn nicht so gebrochen, wie er gerade vorgab. Als ich die Einladung erhalten hatte, wusste ich bereits im Voraus, dass etwas im Busch war. Und so bestätigte jede einzelne weitere Sekunde des Mahls meine Vermutung. Es war eine Falle gewesen. Die sprichwörtliche Schlinge um meinen Hals zog sich allmählich zu, aus der ich mich nicht mehr befreien konnte.
„Peter“, sagte Alexander und stand plötzlich auf. Er hob das Weinglas an und prostete mir grundlos zu. „Ich weiß, dass du ein schlauer junger Mann bist. Und du weißt auch, warum wir deine Eltern verhaftet haben. Dennoch muss ich sagen, dass auch du hiermit im Verdacht stehst, das deutsche Volk verraten und Lügen verbreitet zu haben. Durch deine Wurzeln war davon auszugehen, dass das passieren würde. Aber ich hätte mir gewünscht, es wäre anders.“
Ich war atemlos. Ich dachte mir bereits, dass man mich schärfer beobachten würde. Aber verhaften?
„Warum, Alexander?“, fragte ich stockend, weil mir die Tränen in die Augen stiegen.
Er drehte sich um und ließ die Beamten mich abführen, die irgendwoher in den Raum stürmten und mich niederzwängten. Sie hatten sich auf die Lauer gelegt, während ich ahnungslos in die Falle getappt war. Alexander drehte sich um, sah mir nicht mehr mit einem Lächeln in die Augen. Stattdessen war sein Gesicht hart, als er das Glas in der einen Hand hatte, die Finger der rechten Hand das Symbol des Hakenkreuzes in die Hand nahm und grimmig auf mich nieder sah.
„Weil du ein Jude bist!“
Dann führten mich die Beamten ab, während ich meinen Frust, meine Wut und meine Trauer in die kalte Nacht hinausschrie.