Die Ketten rasselten unablässig, während er sich mit den Fingern der linken Hand hinter dem Ohr kratzte. Das Klappern der Eisenschellen um den Handgelenken störte ihn nicht so sehr wie diese kleinen Krabbelviecher, die sich in seinen mittlerweile viel zu langen Haaren angesammelt hatten. Er stöhnte über die Erleichterung, als das Jucken zu einem sachten Kribbeln verebbte. Leider wusste er zu gut, dass es gleich wieder einsetzen würde. Er hatte eben nicht geduscht. Schon lange nicht mehr.
Malik legte den Kopf gegen die Steinwand und schaute in die dunkle Zelle. Wenn er sich richtig erinnerte, waren es vier Schritte bis zur Zellentür. Von dort aus konnte er die zwei Fackeln an der gegenüberliegenden Steinwand erkennen. Wie weit die einzig leuchtenden Quellen voneinander entfernt waren, wusste er nicht. Die zweite Fackeln konnte er gerade so erkennen, wenn er sich in die linke Ecke kauerte, den Kopf gegen die Stäbe presste und die Schulter zwischen den Hohlräumen einklemmte. Genauso auch den Gang, wohin dieser auch immer führte. Er hatte die letzte Zelle abbekommen. Am hintersten Ende.
Malik schüttelte sich, um sich ein wenig das Gefühl zu geben, um..Malik stutzte. Achja, für was eigentlich? Wieder stöhnte er leise, legte sich mit dem Rücken auf den Boden und schaute auf die Decke. Die Beine stellte er breitbeinig, das rechte Knie an der Wand gelehnt. Heute beschloss Malik, gegen die rechte Wand zu lehnen, immerhin was anderes als die andere Ecke. Wie abwechslungsreich.
Der Mann betrachtete die Decke, den darüberwachsenden Moos und lauschte den leisen Tropfen des Regenwassers, die von der Decke fielen.
“Plopp”, machte Malik, als er einen Tropfen neben sich hörte. Fast zeitgleich, wie das Wasser auf den Stein traf, ploppte er mit der Zunge. Er wartete, dann traf wieder eines auf den Boden.
Er kicherte, als das stetige Kratzen seine Kehle emporkroch und er husten musste. Der Laut einer kranken Person, die eine Mahlzeit oder wenigstens etwas Wasser brauchte, hallte als einziges Geräusch durch den Zellentrakt. Sicher war er nicht der erste, der hier durch kleine Kriechtiere und dem von der Decke tropfenden modrigem Wasser eine kleine Zusatzmahlzeit ergatterte. Und sicher war er auch nicht der letzte, der hier wegen verschimmelter Nahrung, die man ihm als Essen verkaufen wollte, letztendlich den Tod finden würde.
Die Einsamkeit machte Malik wenig aus. Immerhin hatte er ja seine Freunde. Der Mann hob den Kopf, schaute sich umher und presste die Lider zusammen, bis er den Gefangenen der gegenüberliegenden Zelle genauer anvisieren konnte. Es war schwierig mit dem Schwindelgefühl, doch die weißen matten Züge des Schädels erkannte Malik nach ein paar Sekunden. Der Rest des Skeletts hing an Ketten.
“Hallo, mein Guter”, säuselte er und kicherte wieder. Es kam keine Antwort.
“So schweigsam heute?”, kam die Frage. Doch Maliks Kommunikationsversuch blieb einseitig. Noch lachte der Mann kurz auf, dann zogen sich die Mundwinkel nach unten. Er schmollte nicht, wieso denn auch? Er konnte einem Toten nicht böse sein, tot zu sein.
“Mach dir nichts draus, mein Guter. Wir haben alle solche Tage.”
Der Hall seiner Stimme sorgte wenigstens dafür, dass Malik nicht gänzlich den Verstand verlor. Oder standen Selbstgespräche bereits auf der Liste vom Verrücktwerden? Nein, nein, verrückt war Malik noch nicht. Er kaute sich immerhin noch nicht die Haut von den Knochen, um den Fesseln entkommen zu können. Das hatte der Typ aus der Zelle nebenan probiert. Und geschmeckt hatte es nicht, so wie der gekeucht hatte. Es hatte ihm nur einen äußerst schmerzhaften Tod beschert. Und der Kerl war wirklich verrückt gewesen.
Die Hände hinter dem Kopf verschränkt blickte Malik an die Decke und fing an, die Tropfen zu zählen, mit den Augen die Fugen entlang zu gleiten und sich vorzustellen, er würde wie in einem Labyrinth hin und her rennen, etwas suchen und sich auf ein Abenteuer begeben. Er würde vielleicht einen Schatz jagen, während ihn Kreaturen verfolgten und er würde aus dem Irrgarten entkommen. So vertrieb er sich die Zeit. Mit Fantasieren.
“So, mein Guter”, säuselte er zu dem stummen Nachbarn. “Was finden wir denn? Eine Schatzkiste? Oder lieber eine Bibliothek mit Antiquitäten und wertvollen Büchern? Oh, ich weiß, eine in Not geratenen Jungfrau in weißen Gewändern. Das wäre doch was.” Genüsslich schloss Malik die Augen und hörte beinahe die Schritte, die die eingesperrte Jungfrau auf ihn zumachte, wie sie weinend an seine Brust lehnte und sich die Tränen an seinem Oberteil abwischte. Sich in ihn verliebte und er…
“Wach auf, du Mistkerl!”, rief jemand zornig und Malik keuchte auf, als ein Schwall Wasser sein Gesicht erreicht. Malik bibberte bereits, als er bemerkte, wie kalt das Wasser war. Sofort rollte er zur Seite, die Fesseln hinderten ihn, sich richtig aufzurichten, als er aufstehen wollte. Die Muskeln zitterten, das Leibchen an seinem Körper war nass und klebte an der Haut. Er fror erbärmlich.
Als sich die Augen aufrichteten, erkannte Malik einen seiner Wächter, der ihm das verschimmelte Essen in die Zelle warf. Doch er war diesmal nicht allein gekommen. Hinter ihm standen drei weitere Gestalten. Eine Kleine, eine Weitere mit Zöpfen und einer, den Malik auch als Wächter vermutete.
Er schaute auf, als die Kleine ihn ansprach. “Malik, wir sind gekommen, um über dich zu urteilen.” Sie trat in das matte Licht, Malik erkannte sie nicht. Die gewellten blonden Haare waren zu einem strengen Dutt gebunden, das Schwert am Rücken und an der Seite sollten wohl bedrohlich wirken. Die eiskalten blauen Augen dagegen wirken ernst. Sie waren ein Kontrast zu der samtroten Kleidung, die ihr wie angegossen passte.
Doch der ängstlichen Schimmer konnte man nicht vor Malik verstecken.
Er stellte den Kopf schräg, grinste breit.
“Oh, da sind wir ja schon zwei.”