„Und was ist jetzt zwischen uns?“, fragte Mary mit belegter Stimme und griff nach dem Saum ihres Rocks. Weich schmiegte sich der Stoff zwischen ihre verkrampften Glieder und zerknitterte trotz ihrer Mühe, mit einem frisch gebügelten Kleid auf ihrem Date aufzutauchen. Wobei Date es nicht ganz traf.
Sie war hier mit ihm, Jeremy. Ihrem Freund. Oder Fast-Freund. Oder Spielgefährten. Oder etwas, das sie nicht greifen kann. Oder verstand.
Sein Schweigen drückte die sonnige Stimmung der hell erleuchteten Terrasse des kleinen Hinterhofcafes der Großstadt nach unten. Mary versuchte, nicht zu schreien und dieses Rauschen in ihren Ohren zu verdrängen. Das Rascheln der immergrünen Bäume um sie herum glich einer tosenden See, während die dicken Bäume erfrischender Weise Schatten spendeten. Trotzdem kroch die Kälte langsam ihren Rücken hinauf wie ein Wolf auf der Jagd. Versteckt in den Büschen, bereit zum Absprung, damit er sein Opfer erlegen konnte. Mary spürte, dass da noch mehr war. Noch so viel mehr.
Doch Jeremy schwieg.
Aus seiner Haltung konnte sie nur erahnen, was in ihm vorging. Er versuchte, keine wirkliche Mimik zu zeigen. Die herunterhängenden Schultern waren allerdings zu angespannt, die verschränkten Hände zuckten manchmal kurz bei ihren Fragen. Selbst seine übereinandergeschlagenen Beine sollten ihm Lässigkeit verleihen und doch sah man ihm von Weitem an, dass das hier so surreal für ihn war wie für sie.
Marys Blick glitt über ihren halb aufgegessenen Burger mit Pommes. Mittlerweile waren die frittierten Kartoffeln kalt und der Burgerpatty aus Frust auseinandergerupft. Es sollte ein schönes Mittagessen werden und nun machte er Schluss. Oder so etwas in der Art.
„Du hast nicht gesagt, dass du für immer gehst“, gab sie erneut Jeremy die Chance, sich zu erklären und schluckte die Zweifel und die Angst hinunter. Der Klos in ihrem Hals war bereits vor dem Treffen da gewesen. Nun wartete Mary nur noch auf die Tränen. „Du hast gesagt, du musst weg.“ Es hatte sich erst angehört wie eine wochenlange Schulung in einer weit entfernten Stadt. Als Unternehmer nicht ungewöhnlich. Nervös nestelte Mary an ihrem Kleid, sah dann durch die schwarzen Sonnenbrillengläser in seine nussbraunen Augen. „Du gehst nicht, weil du die Beziehung beenden willst. Es scheint mir mehr wie ein...Muss. Wie ein Zwang. Vielleicht auch, weil du zu der Entscheidung genötigt wurdest.“ Von seinem Arbeitgeber vielleicht?
Jeremy und sie kannten sich seit fünf Jahren. Er, ein gutaussehender Unternehmer. Sie, eine bekannte Modejournalistin. Durch Zufall getroffen, beide verliebten sich, lebten fortan zusammen in seiner Suite zwei Kilometer weiter. Er war selten da, doch wenn, schenkte er ihr seine gesamte Freizeit. Liebevoll und mit einer Hingabe pflegten beide die Beziehung wie einen keimenden Samen, ließen sie nach und nach erblühen, bis daraus eine wundervolle Frühlingsblüte geworden war. Nun drohte er sie mitsamt den Wurzeln aus der Erde zu reißen.
Absurde Ideen kamen ihr in den Sinn, als sich Jeremy vorbeugte, seine Sonnenbrille abnahm und sie lange mit einem ruhigen Blick musterte. Braune helle Augen erfassten jeden ihrer nervösen Muskelzuckungen, als er endlich sprach.
„Kobaltblau“, murmelte er.
Mary blinzelte verwirrt. „Bitte?“
„Deine Augen. Sie sind kobaltblau.“ Mit ernster Miene machte er ihr deutlich, dass er wirklich nicht spaßte.
„Ja?“ Was tat er da? „Und was hat das-“
„Und dein Kleid scheint mir aus Seide, oder?“
Mary musste innehalten, um nicht zu platzen. Mit zusammengeballten Fäusten lehnte sie sich vor, starrte Jeremy direkt an und wollte ihn gehörig die Meinung geigen, als plötzlich seine Hände nach vorn schossen und er ihre umgriff. Mary wollte sich befreien, doch Jeremy hielt sie eisern fest, blickte kurz hinter Mary, als sei dort etwas Interessantes, bis seine Augen wieder auf ihrem Gesicht ruhten. Sofort setzte er ein sanftes Lächeln auf, als würden beide ein verliebtes Paar spielen.
Bevor Mary fragen konnte, ob Jeremy den Verstand verloren hätte, spürte sie eine Person hinter sich. Jeremys Lächeln gefror in seinen sonst sanften Zügen, als er jemanden mit einem kurzen Nicken begrüßte.
Mary konnte nicht anders, als sich umzudrehen und in ein fremdes Gesicht zu starren. Jeremy hielt nach wie vor ihre Hände und drückte zu, als wolle er ihr etwas signalisieren. Marys Gedanken rasten, als sie den alten Mann hinter sich sah. Schwarzer Anzug, weiße Krawatte.
Als sie weitere Gestalten in den Hinterhof spazieren sah, ebenfalls in einen modernen Smoking, wurden ihre rasenden Gedanken unruhiger. Sie hörte nur noch ihren Herzschlag, als sie die Wand aus Anzugträger sah, die vor dem einzigen Ausgang des Hofs eine menschliche Mauer bildeten.
Sie saß in der Falle.
Marys Blick huschte zu Jeremy, der den hinter ihr stehenden Mann nicht aus den Augen ließ. Dann blickte er zu ihr.
Und Jeremy grinste wölfisch.