Fortsetzung von "Unkenntnis": https://belletristica.com/de/books/18745-fingerubungen/chapter/91577-die-lauernde-gefahr-unkenntnis
„Wiederhole das“, forderte Caradus den Boten auf. Die Wut in seiner Stimme war dabei unverkennbar.
„Mein Herr, Euer Diener hat versagt“, wiederholte der junge Mann seine Worte unsicher und machte sich dabei noch kleiner als er schon war. „Astrael wurde von den Druiden vernichtet. Der junge Prinz ist noch am Leben.“
Die Fingernägel des Dunkelelfen gruben sich in die Armlehnen seines Throns. Er spürte das Holz unter ihnen splittern, während sein Zorn aufkeimte. Mit dem Zorn zusammen kam das Verlangen danach, etwas oder jemanden zu vernichten.
Ich muss mich beherrschen, mahnte er sich selbst. Der Verschleiß an Boten war in den letzten Wochen gestiegen, er wollte nicht noch mehr verlieren. Doch dann sprang er auf, und bevor der Bote verstand was passierte, hatte Caradus ihn bereits mit seiner Magie in einen Haufen Asche verwandelt.
„Das ist unmöglich!“, schrie er. Der Zorn verzog sein Gesicht dabei zu einer grotesken Maske. „Wie ist das möglich?“
Noch während er seiner Wut freien Lauf ließ, kamen die Mynoks aus ihren Löchern gekrochen und entfernten die Asche des Boten aus dem Saal.
Caradus packte eines der kleinen Wesen und hob es mit festem Griff hoch.
„Astrael war einer meiner besten Attentäter!“, schrie er den Mynok an, der sich in panisch quiekend und mit Angst in den schwarzen Knopfaugen im Griff seines Meisters wandte. „Ich werde diese Druiden vernichten!“
Caradus holte zum Wurf aus um das kleine Wesen in seiner unbändigen Wut durch den Raum zu werfen, als plötzlich jemand am Tor klopfte.
„Mein Herr, ich habe Kunde aus dem Königreich!“, rief einer der wenigen verbleibenden Boten.
„Herein!“, befahl Caradus und ließ den Mynok fallen, der sich schnell in das nächste Loch verzog. Der Dunkelelf konnte die schiere Angst des Wesens förmlich greifen, doch nichts vermochte seine Wut zu bremsen.
Der Bote betrat eilig den Thronsaal und fiel hastig mit gesenktem Blick vor dem Magier auf die Knie. „Mein Herr -“, begann er zu sprechen, doch Caradus unterbrach ihn harsch mit einer Geste.
„Berichte einfach“, befahl der Dunkelelf mit finsterer Stimme. Der ängstliche Blick des Boten auf die Aschereste seines Vorgängers entging ihm dabei nicht.
„Wie Ihr wünscht. Mir wurde gerade von einem unserer Spione zugetragen, dass sich vielleicht doch noch eine Chance zur Beseitigung des Prinzen ergibt, mein Herr“, berichtete der Bote in schnellen Worten.
„Und wie? Spuck es schon aus!“
„Die königliche Ehepaar hat ein geheimes Kind, mein Herr.“
„Ein geheimes Kind?“, entfuhr es dem dunklen Magier überrascht.
„Ein Mädchen, wie es scheint. Uns ist nicht bekannt, wieso sie es vor der Außenwelt verstecken.“
Der Dunkelelf brachte den Boten zum Schweigen. Wieso sollte der König das Mädchen vor allein verstecken? Das passiert doch nur, wenn … „Ein Bastard“, brachte Caradus seine Gedanken laut auf den Punkt.
„Meister?“
„Das Mädchen ist ein Bastard!“ Er ging eilig zum Becken mit dem Quecksilber und ließ mit den Worten in der alten Sprache der Elfen ein Bild erscheinen. Mit der Hand wischte er durch die Luft und veränderte so die Bilder, die sich ihm im Becken boten, als würde er durch ein Bilderbuch blättern.
„Wieso haben unsere Spione das erst jetzt rausgefunden?“, fragte Caradus verbittert.
„Die königliche Familie hält das Kind gut versteckt. Niemand wusste etwas davon. Anscheinend hat unser Spion auch nur durch ein zufällig belauschtes Gespräch davon erfahren.“
„Ausflüchte! Diese Information hätte schon viel eher ans Tageslicht gelangen sollen!“
Dann endlich fand Caradus, wonach er gesucht hatte. Er zog seinen Arm hoch und ließ das Quecksilber die Form des Mädchens annehmen. Vor ihm zeichnete sie sich ab, kaum älter als der junge Prinz, mit strahlend blauen Augen und langen, dunklen Haaren.
Dieses Kind könnte der Schlüssel zu meinem endgültigen Sieg sein. Was für eine Schmach für den König. Oder die Königin? Egal, wer dort wen hintergangen hat, am Ende ist es mein Gewinn. Doch wie ziehe ich jetzt Nutzen aus dieser Erkenntnis?
Er sammelte etwas seiner magischen Kraft in seinen Fingern und ließ sie gegen das Abbild des Mädchens prallen. Erzürnt fluchte Caradus, als sich auch bei dem Mädchen der magische Schild zeigte, mit dem die Druiden den Prinzen vor seinen Angriffen schützten. Doch dieses bisschen Magie dürften die Druiden nicht gespürt haben. Er wusste, dass niemand herausfinden durfte, dass er Informationen über die geheime Prinzessin besaß.
„Was ist uns noch über dieses Mädchen bekannt?“, verlangte der Dunkelelf wutentbrannt zu wissen. „Erzähle mir alles!“
Der Bote zählte die spärlichen Informationen auf, die der Spion über die Prinzessin gesammelt hatte. „Und sie hat anscheinend einen Freund“, endete der Bote mit der Aufzählung.
„Einen Freund, ja? Wen?“
„Es scheint sich um den Sohn des Schneiders zu handeln. Wie sie sich kennengelernt haben oder wie oft sie sich treffen, weiß ich jedoch nicht.“
„Weiß der Junge, dass sie eine Prinzessin ist?“
„Nein, Meister. Nicht, dass ich wüsste.“
„Gut. Lass unseren Spion wissen, dass er ihr nicht von der Seite weichen soll. Und jetzt raus!“
Der Bote verneigte sich und verließ eilig den Thronsaal.
Caradus stand vor dem Becken und überlegte fieberhaft, wie er Einfluss auf die Beziehung zwischen der Prinzessin und des Schneiders Sohn nehmen konnte.
Zweimal ließ er seinen Stab auf den Boden knallen. Das Becken vor ihm begann sich zu leeren, das Quecksilber verschwand in einem großen Loch am Boden des Beckens.
Es wird Zeit, selbst Einfluss auf den Verlauf zu nehmen.
Erneut ließ er den Stab auf den Boden knallen. Aus einer seitlichen Öffnung des Beckens floss das gesammelte Blut der Opfer seiner finsteren Rituale in das Becken und füllte es bis zum Rand. Caradus schloss die Augen, konzentrierte seine Magie und machte schließlich den Sohn des Schneiders ausfindig.
Das Abbild des Jungen formte sich aus dem Blut, langsam und zäh.
Da bist du also.
Er kniff die Augen zusammen und begann eine Formel zu sprechen. Die starke Magie riss an seinen Nerven, die Konzentration sorgte dafür, dass sein Kopf sich anfühlte, als würde er jeden Moment platzen. Dann zog er sich noch immer mit geschlossenen Augen einen kleinen, blau schimmernden Faden aus seiner linken Handfläche. Er streckte die Hand aus, der Faden erhob sich und schwebte wie erhofft ohne Widerstand in das Abbild des Jungen.
Der Dunkelelf keuchte auf und stütze sich erschöpft auf den Rand des Beckens. Dass seine Finger dabei in das Blut eintauchten, störte ihn nicht. Wenn es sein musste, machte er sich auch selbst die Hände schmutzig.
Dieser Teil meiner Essenz wird den Jungen zu meinen Gunsten beeinflussen. Und er wird es nicht einmal merken.
Erschöpft ging er zu seinem Thron und ließ sich auf diesen fallen. Diese Art Magie kostete ihm viel seiner Kraft und nun musste er sich ausruhen.
Wartet es nur ab, ihr elenden Druiden. Ihr werdet eure Strafe noch bekommen. Das schwöre ich euch!