Sprachlos schaute Steff in das Gesicht des Soldaten, dessen eingefrorener Körper in der strahlenden Mittagssonne glänzte.
„Wie ist das möglich?“, fragte er leise und strich mit der Hand vorsichtig über das Eis, so, als könnte es bei jeder noch so kleinen Berührung zerbrechen.
„Was meinst du?“, fragte Jenna, die neben ihm stand und genau diese Reaktion erwartet hatte.
„Na, das alles hier! Und warum schmilzt das Eis nicht? Die Sonne strahlt so heiß vom Himmel, und trotzdem stehen all diese Soldaten hier, als ob es tiefster Winter wäre!“
„Weil es magisches Eis ist, Steff. Kennst du die Geschichte etwa nicht?“
Steff zog fragend die Augenbrauen in die Höhe und sah sie erstaunt an. „Magisches Eis? Welche Geschichte?“
„Es wundert mich, dass deine Eltern dir nichts davon erzählt haben.“ Sie zuckte mit den Schultern und atmete tief durch.
Dann begann sie mit ihrer Erzählung:
Vor vielen Jahren regierte einst ein König dieses Land. Dieser König war sehr angesehen bei seinen Untertanen. Er galt als gütig und stand dem Volk sehr nahe. Vertrauensvoll konnten die Menschen sich an ihn wenden, wenn sie Sorgen, Ängste oder Nöte hatten. Doch alsbald griffen die Kriege und Konfrontationen anderer Länder auch auf dieses Land über. Und so änderte sich die Situation.
Jeder wusste, dass der König ein friedliebender Mensch war und den Krieg verabscheute. Und je weiter sich der Krieg ausbreitete, desto mehr änderte sich seine Stimmung. Viele gingen noch heute davon aus, dass es auch an dem Berater lag, den der König sich aus dem Kreis der Magier an seinen Hof bestellt hatte.
Dieser war ein finsterer Geselle, über den auch heute kaum etwas bekannt ist. Doch das Gemüt des Königs verfinsterte sich zunehmend. Er zog sich immer weiter zurück, wurde immer verbitterter, empfing kaum Bittsteller und wies seine Untertanen schroff ab. Bald schon sah man ihn gar nicht mehr in der Öffentlichkeit, und auch seine Familie nicht. Dies brachte weitere Gerüchte in den Umlauf und ließ den Unmut der Bürger weiter wachsen.
Nach ein paar Jahren, in denen die Kriege das Land fast vollständig verwüstet hatte, fasste der Berater des Königs einen grausamen Plan. Er ließ einen Köder für den Feind auslegen und lockte so alle Armeen und die Kriegsmaschinerie an einen Ort, an dem die Streitkräfte des Königs bereits auf die warteten. Daraufhin entbrannte eine gewaltige Schlacht und dauerte viele Tage und Nächte, in denen sich die Soldaten der Reiche untereinander bekämpften.
Eines Nachts, während gerade die nächste Wellen von Kämpfern aufeinandertreffen sollten, traf der Berater des Königs mit weiteren Magiern auf dem Schlachtfeld ein. Gemeinsam woben sie einen Zauber, der alles und jeden durch die geballte Kraft reinster Magie zu Eis erstarren ließ. Bis heute konnte sich niemand erklären, warum sie das getan hatten. Weitläufig gingen die Menschen aber davon aus, dass sie einfach zeigen wollten, über welche Macht die Magier wirklich verfügten.
Als die Einwohner erfuhren, dass auch die Soldaten dieses Landes Opfer der schändlichen Magie geworden sind, stürmten sie den Palast. Sie wollten Rache für ihre Liebsten, die nun vereist auf dem Schlachtfeld standen, nicht fähig, sich aus eigener Kraft daraus zu befreien.
Als die Bürger schließlich den Palast gestürmt hatten, fand man die königliche Familie im Schlafzimmer des Herrscherpaares vor. Die gesamte Familie war ebenfalls Opfer der magischen Künste des Beraters geworden. Eng umschlungen standen sie in magisches Eis eingeschlossen im Raum, das entsetzen in ihren vereisten Gesichtern gefangen.
Daraufhin beschloss ein neu gewählter Rat - welcher übergangsweise die Regierung des Landes übernehmen sollte, bis ein neuer König gewählt worden war - dass Magie ab sofort verboten sein sollte. Und jeder, der sie praktizierte, sollte gefunden und seiner gerechten Bestrafung beigeführt werden.
„Ich verstehe.“ Steff besah sich fassungslos das Schlachtfeld, musterte die Soldaten der verschiedenen Länder, wie sie in ihrer Bewegung eingefroren verharrten und auf Rettung warteten. „Die Geschichte kannte ich wirklich noch nicht.“
"Das wundert mich. Aber wenn du davon wirklich nichts wusstest, wie kommt es dann, dass du die Magier jagst?"
Steff schüttelte leicht den Kopf und schaute ihr dann mit einem schwachen Lächeln in die Augen. "Das hat was mit meiner Familie zu tun, aber ich rede nicht gerne darüber."
Jenna schulterte ihr Schwert und klopfte ihm auf die Schulter. „Wenn du dann soweit bist? Die Magier jagen sich nicht von alleine. Ich gehe schon mal vor.“
Steff hingegen blieb noch einen Augenblick und schaute wieder in die Augen des Soldaten vor ihm. „Keine Sorge. Wir werden die Magier finden, die das getan haben. Und dann befreien wir euch alle.“
Dann löste er sich vom gefrorenen Körper seines Ururgroßvaters und folgte seiner Partnerin über das Schlachtfeld, fest entschlossen, die Magier zur Rechenschaft zu ziehen.