An diesem Tag stand Timothy früh auf. Er wollte sich auf das Treffen um zwölf Uhr sowohl mental als auch körperlich ausreichend vorbereiten.
Diesem Kojoten werde ich schon zeigen, wer hier das Sagen hat.
Vor zwei Monaten war der „Kojote“ das erste Mal in der Nähe der Stadt aufgetaucht. Er hatte mit seiner Bande Postkutschen überfallen und sich mit der Beute auf und davon gemacht.
Aber natürlich blieb es nicht lange bei dem einen Überfall. Nach und nach häuften sich auf seinem Schreibtisch die Berichte über weitere Überfälle. Und wie es kommen musste, gab es bei den letzten sogar erste Tote zu vermelden.
Aufgrund dieser Berichte hatte Timothy versucht herauszufinden, wer dieser Kojote war, doch wie sich herausstellte, war so gut wie nichts über ihn oder seine Bande bekannt.
Man wusste nur, dass er zuvor auch schon in anderen Städten geraubt und geplündert hatte. Außerdem hatte er sich einen Namen gemacht, weil keiner der Sheriffs ein Zusammentreffen mit ihm überlebt hatte. Das wird sich heute aber ändern.
Vor zwei Wochen war Timothy auf Befehl des Bürgermeisters zum Versteck der Bande aufgebrochen. Wie ein Wilder war er die dreißig Meilen durch die Wüste geritten, ganz alleine, um diesem Verbrecher zu zeigen, dass er keine Angst vor ihm hatte.
Als er schließlich den Canyon erreicht hatte, konnte er den Gestank der Bande schon von weitem riechen. Langsam war er durch das Lager geritten, verfolgt von den misstrauischen und mordlustigen Blicken dieser ungepflegten Banditen.
Die müssen sich seit Wochen nicht gewaschen haben, dachte er mit aufsteigendem Ekel und rümpfte die Nase. Doch mehr ließ er sich nicht anmerken.
Am Ende des Lagers wurde er bereits von dem Kojoten erwartet. Der Anblick des Bandenanführers überraschte Timothy.
Zumindest für einen Banditen sah der Mann gepflegt aus. Er war hochgewachsen, trug einen langen, braunen Mantel mit passendem Hut und einem Gürtel, an dem zwei Colts in ihren Holstern ruhten. Seine Nase erinnerte an den Schnabel eines Raben, und die schmalen Lippen wurden von einem Dreitagebart umrahmt.
„Willkommen in meinem bescheidenen Lager, Sheriff!“, begrüßte der Kojote ihn mit einem schelmischen Grinsen, welches seine dunkelblauen Augen spitzbübisch aufblitzen ließ. „Du hast einen ziemlich weiten Weg auf dich genommen, und das auch noch ganz alleine, wie es den Anschein hat. Ziemlich mutig von dir.“
Er führt sich stark auf. Wohl, um noch mehr Eindruck bei seinen Männern zu schinden. Oder weil er weiß, dass ich alleine hier bin. Aber damit ist er bei mir an den Falschen geraten.
„Spar dir deine falsche Freundlichkeit, Kojote“, antwortete Timothy und schaute ihn von oben herab aus schmalen Augen an. Er war nicht vom Pferd abgestiegen. „Ich bin hier, um dir ein Geschäft vorzuschlagen.“
„Ein Geschäft?“ Der Kojote lachte laut auf. „Was könntest du mir denn schon bieten, was ich mir nicht auch selbst nehmen kann?“
„Hör zu und entscheide dann. Ich habe dir Folgendes anzubieten“, begann er und hob dann seine Stimme. „Ich fordere dich zu einem Duell heraus! Gewinnst du, bekommst du vom Bürgermeister persönlich die Stadtkasse überreicht. Gewinne ich, wird deine schmutzige Bande die Stadt auf ewig verlassen. Sollten die Männer sich weigern, werden sie zum Tode verurteilt!“
Der Kojote gab ein gespieltes Lachen von sich, in welches auch seine Bande lauthals mit einfiel.
„Habt ihr das gehört, Jungs? Wir bekommen die Stadtkasse auf einem Silbertablett serviert!“
Die Männer grölten und jubelten als Antwort darauf. Jeder von ihnen schien sich sicher, dass der Kojote dieses Duell gewinnen würde.
„Es ist neu, dass der Sheriff persönlich zu mir kommt und mich herausfordert“, sagte der Kojote. Seine Stimme nahm einen ernsteren Ton an. „Bist du lebensmüde oder sowas?“
„Ich habe über dich recherchiert, Kojote“, offenbarte Timothy mit harter Stimme. Von dir werde ich mich nicht einschüchtern lassen.
„Du mordest und plünderst, und am Ende forderst du den Sheriff der Stadt zum Duell. Doch ich bin für den Schutz der Stadt und der Bewohner zuständig, also werde ich deinem Treiben so schnell wie möglich ein Ende setzen.“
„Bisher war auch niemand dumm genug, mich herauszufordern.“
„In zwei Wochen um zwölf Uhr vor dem Rathaus!“, rief Timothy laut. „Dann wird das Duell stattfinden.“
„Sehr gut! Ich kann es kaum erwarten!“, grölte der Kojote und ließ sich von seiner Bande anfeuern.
Daraufhin war Timothy wieder in die Stadt zurückgekehrt und hatte sich auf den Tag vorbereitet.
In dieser Zeit hatte sich der Kojote einen Namen gemacht, der ehrfürchtig auf den Straßen und in den Gassen der Stadt geflüstert wurde. Doch die Geschichten, die den Bandenanführer schon beinahe zu einer Legende werden ließen, hörten sich für den Sheriff wie Märchen an. Geschichten, die gestreut wurden, um ihn und die Stadt in Angst zu versetzen.
Ich werde ihnen zeigen, dass sie sich umsonst fürchten und die Stadt von dieser Plage befreien.
Kurz vor Zwölf fanden sich sowohl Timothy als auch der Kojote am vereinbarten Treffpunkt vor dem Rathaus ein.
Der Kojote stand selbstsicher einige Meter entfernt vor Timothy, umringt von drei Mitgliedern seiner Bande. Er führte sich auf, als ob nichts und niemand ihm etwas anhaben könnte.
Die Bürger der Stadt blieben lieber in Sicherheit. Sie schauten aus den Fenstern ihrer Häuser, und auch im Saloon auf der anderen Straßenseite drängten sich die Menschen an die Fenster, um das Duell von dort aus zu beobachten.
Ein leichter Wind ging durch die Straßen, doch die Luft war stickig und unangenehm warm, während die Sonne unaufhaltsam auf die Stadt niederbrannte.
„Und, Sheriff? Hast du schon mit deinem Leben abgeschlossen?“ Der Kojote und seine Männer lachten, doch Timothy ließ sich davon nicht beeindrucken.
„Du redest zu viel. Am Ende hast du vielleicht mehr Angst als du zeigen willst?“, antwortete er stattdessen und schien damit einen wunden Punkt getroffen zu haben.
Das Gesicht des Kojoten verfinsterte sich. „Der Kojote hat vor nichts und niemandem Angst!“, knurrte er und reckte seinen Arm nach vorne, zeigte mit dem Finger auf den Sheriff. „Du, Bursche, solltest deinen Mund lieber nicht zu voll nehmen. Ich werde gleich mit der Stadtkasse und einem toten Sheriff mehr auf meiner Liste die Stadt verlassen, während du alleine hier auf der Straße verrotten wirst!“
„Das werden wir sehen“.
Zeitgleich warfen beide ihre Mäntel zurück und legten so die Holster frei, in denen ihre Waffen ruhten. So standen sich beide gegenüber, während ihre Hände sich langsam aber stetig den Colts näherten.
Die Luft um sie herum schien immer dicker zu werden. Kein Geräusch kam aus den Häusern oder den Gassen. Es schien, als hätten sich selbst die Ratten in ihre Löcher verzogen, weil sie der Anspannung, die in den Körpern der beiden Männer steckte, nicht standhalten konnten.
Timothy spürte, wie sein Atem sich beschleunigte, das Adrenalin sich in seinem Körper ausbreitete. Er zwang sich innerlich zur Ruhe und beobachtete die Bewegungen seines Gegners ganz genau.
Er hatte keine Angst. Waffen und Duelle waren nichts Neues für ihn. Er war damit aufgewachsen, weshalb er schon viele Duelle selbst mit angesehen und auch selbst bestritten hatte.
Auf diesen Tag habe ich mich vorbereitet. Ich kann nicht versagen.
Dann schlug die Glocke hoch oben im Turm des Rathauses zur Mittagszeit.
Die Männer zogen ihre Waffen, beinahe zeitgleich lösten sich ihre Schüsse.
„Du verdammter … Bastard …!“, stammelte der Kojote.
Zufrieden beobachtete Timothy, wie sein Gegner sich an die Brust fasste. Aus einem Loch auf Höhe des Herzens floss das Blut des Kojoten heraus, welcher noch ein paar Schritte nach rückwärts wankte. Er fiel nach hinten und blieb reglos auf dem Boden liegen.
Entsetzt schauten die Mitglieder der Bande erst den Leichnam ihres Anführers an und dann sich selbst. Als sie merkten, dass sie in dieser Stadt kein Licht mehr sehen würden, stiegen sie hastig auf ihre Pferde und flohen, ohne sich um den Kojoten zu kümmern.
Ehrlose Banditen, was anderes sind sie nicht, dachte Timothy, angeekelt von deren Verhalten. Aber was soll man anderes erwarten?
Erst dann, als das Adrenalin langsam seinen Körper verließ, spürte er, dass sich eine beißende Kälte in ihm ausbreitete.
Verwirrt schaute er nach unten und entdeckte, dass sein weißes Hemd ebenfalls mit Blut durchtränkt war.
Panisch tastete er seinen Körper ab, bis er das Loch fand, welches die Kugel des Kojoten in seinen Bauch gerissen hatte.
Unaufhaltsam floss das Blut aus der Wunde an seinem Körper hinab. Stöhnend sackte er auf die Knie, als seine Beine nachgaben, während er verzweifelt die Hände auf das Locht presste, um das Blut am austreten zu hindern.
„Verdammte … Scheiße“, nuschelte er leise. Dann fiel er nach vorne und blieb mit dem Gesicht im Staub liegen.
Mit seinem letzten Gedanken begriff er, dass nicht nur der Kojote zu sehr von sich selbst überzeugt gewesen war.
Dann schwanden seine Gedanken und die Welt wurde schwarz.