Zufrieden stemmte ich die Hände in die Hüften und betrachtete mein vollendetes Werk.
Mein Laptop stand einsatzbereit auf dem Tisch, die Kabel waren alle verlegt. Sogar mit meinem PC war er bereits vernetzt, der schon hochgefahren war und auf seinen Einsatz wartete. Der Ständer mit dem Mikrofon war aufgestellt und einsatzbereit und auch die kleine Webcam, die ich von der Arbeit habe mitgehen lassen – natürlich mit freundlicher Erlaubnis meines Vorarbeiters – stand neben dem großen Monitor.
Und ich fühlte mich ausgeschlafen. Da ich dank des Virus, welches derzeit im Umlauf war, nun von zuhause aus arbeiten sollte, habe ich es mir gegönnt, einfach mal ein wenig länger zu schlafen. Sonst hätte ich die Zeit nutzen müssen um mich für die Arbeit ein wenig aufzustylen, aber für heute war das nicht wichtig. Nur für die Videokonferenz sollte ich vielleicht noch mein ziemlich wild aussehendes Haar bändigen.
Ich setzte mich an meinen PC und wollte gerade PowerPoint öffnen, da ich für den Abend noch eine Präsentation vorbereiten musste, als plötzlich mein Smartphone neben mir aufleuchtete.
Mein Freund hatte mir eine Nachricht geschickt und fragte, ob ich noch etwas bräuchte, da er gerade auf dem Weg zum Supermarkt war. Ich überlegte kurz und schlenderte in die Küche. Dort schaute ich in den Kühlschrank und schrieb ihm zurück, dass er mir gerne noch etwas Schinken mitbringen könnte. Wenn er es schon so freundlich anbot, warum es dann nicht auch annehmen?
Bevor ich die Küche wieder verließ, überlegte ich mir, dass ich noch einen entspannenden Tee gebrauchen könnte. Diese Möglichkeit hatte ich auf der Arbeit nicht, da gab es derzeit nur Kaffee, und den trank ich nicht.
Also kochte ich das Wasser auf, gab einen Beutel mit Pfefferminztee ins Wasser und nahm die Kanne sowie ein Glas mit in das Arbeitszimmer.
Kurz bevor ich mich setzen konnte, klingelte es plötzlich an der Haustür. Schnell lief ich hin und strich mir dabei die Haare so glatt wie möglich. Ich wusste ja nicht, wer dort stand und wollte nicht aussehen wie verwildert.
Dann öffnetet ich die Tür und schaute dem Postboten ins Gesicht. Zumindest in das, was von seinem Gesicht übrig war und zwar die stechend blauen Augen. Der Rest seines Gesichts lag unter einer Maske verborgen.
„Sind sie Frau Fresker?“, fragte er mit gedämpfter Stimme, während sein Blick meine Gestalt musterte.
Wie ich wohl auf ihn wirken musste in meinem schlabbrigen „I [Herz] New York“ T-Shirt, meiner grauen Jogginghose und den knallgelben Hausschlappen?
„Ja, die bin ich“, antwortete ich mit einem freundlichen Schmunzeln und bekam von ihm ein kleines Paket in die Hand gedrückt.
„Ihnen auch einen schönen Tag noch!“, rief ich ihm hinterher, als er sich wortlos umdrehte und zu seinem Postwagen zurückkehrte.
Was ist dem denn über die Leber gelaufen?
Über das Paket freute ich mich aber, denn ich wusste, dass sich mein neues, rotes Sommerkleid darin befand.
Dieses hatte ich mir bestellt, nachdem ich im Sale ein wundervolles Paar Schuhe hatte und mir klar wurde, dass ich für den Kommenden Sommer noch gar kein passendes Kleid dafür hatte.
Mit dem Paket unter dem Arm ging ich in mein Arbeitszimmer – welches, offen gestanden, auch nur mein Wohnzimmer war – und öffnete es.
Ich weiß nicht warum, aber für mich fühlte sich das Öffnen eines Pakets immer wie Weihnachten an. Und mit genau dem passenden Grinsen dazu holte ich das Kleid aus der Verpackung, faltete es auseinander und hielt es vor mich.
Wundervoll! Ob ich es vielleicht gleich mal anprobieren sollte?
Schnell warf ich einen Blick auf den Ecke, in der mein PC stand. Irgendwie kam es mir vor als würde er mich anklagend anschauen, aber ich hatte für die Präsentation doch noch genug Zeit!
Schnell lief in mein Schlafzimmer und holte die Schuhe aus dem Schrank. Das Kleid war schnell übergeworfen, meine Füße schlüpften ebenso schnell in die Schuhe, und schon stand ich vor dem Spiegel und begutachtete das Ergebnis.
Wenn ich jetzt noch eine passende Tasche finde, bin ich glücklich. Erstmal.
Da an diesem Tag sowieso recht viel egal war, entschloss ich mich dazu, das Kleid einfach anzubehalten.
„So“, sagte ich halblaut, „jetzt aber an die Arbeit.“
Also begab ich mich zurück in mein Wohn-/Arbeitszimmer und setzte mich vor den PC. Während ich nebenbei meinen gut durchgezogenen Tee genoss, erwischte ich mich dabei, wie ich mich zunächst im Internet durch die neusten Nachrichten klickte.
Man will doch weiterhin informiert bleiben. Ist doch wichtig.
„Virus...Virus..Virus“, murmelte ich, während meine Augen über die Zeilen huschten. „Wie langweilig.“
Also entschloss ich mich dazu, den Social Medias einen Besuch abzustatten.
„Ich glaub es ja nicht!“, entfuhr es mir überrascht, als ich auf Instagram eine Tasche sah, die perfekt zu meinem neuen Kleid passte.
Anstatt also mit der Präsentation anzufangen, versuchte ich, Kontakt zur Besitzerin des Profils aufzunehmen.
Während ich auf eine Antwort ihrerseits wartete, klingelte plötzlich mein Smartphone.
„Becky? Um die Zeit?“ Das verwunderte mich, weil ich der festen Überzeugung war, dass meine beste Freundin gerade auf der Arbeit sein sollte.
„Hey Becky, alles gut bei dir? Ja? Ja? Oh, dann gute Besserung! Das ist echt doof. Weißt du schon Genaueres? Hm, okay, ja. Oh, und du glaubst gar nicht, was mir gerade passiert ist!“
Und so ging es dann weiter, etwas länger als geplant. Doch zum Glück hatte ich genug Zeit für die Präsentation, die ich, wenn ich ehrlich bin, schon längst zur Hälfte hätte fertig haben können.
Erfreut sah ich, dass mit die Besitzerin der Tasche bereits eine Antwort gesendet hatte. Schnell war eine Verabredung organisiert, damit ich mir die Tasche anschauen konnte. Dass ein Kontaktverbot herrschte, hatte ich an dieser Stelle komplett vergessen. Die Freude über die Tasche war einfach zu groß in diesem Moment.
Gerade, als ich endlich mit der Präsentation anfangen wollte, klingelte mein Smartphone erneut.
Mein Chef? Was will der denn?
Ich muss ganz ehrlich sagen, dass ich meinen Chef nicht sonderlich mochte. Daher riss sein Anruf meine Laune gleich wieder etwas herunter. Doch während ich den Anruf annahm und mir anhörte, was er zu sagen hatte, spürte ich, wie mir meine Geschichtszüge entgleisten, meine Laune immer weiter in den Keller sank und schließlich durch den Abfluss in die Kanalisation gespült wurde.
„V-Verstehe. Ach so. Vorgezogen, ja. I-In zwei Stunden?! Ich meine, natürlich habe ich sie bis dahin fertig. Kein Problem. Ja, ich weiß.“
Ich musste in keinen Spiegel schauen um zu wissen, wie kreidebleich ich war, als ich schließlich auflegte.
Die Telefonkonferenz war vorgezogen worden, und die Präsentation, für dich ich fälschlicherweise angenommen hatte noch genug Zeit zu haben, musste in weniger als zwei Stunden fertig sein.
Erst da merkte ich, dass ich für das Homeoffice nicht diszipliniert genug war.