Mariel musste lächeln. Sie stand in der Küche und bereitete gerade das Abendessen für ihre Familie vor. Von dort aus konnte sie in das Wohnzimmer schauen, in dem ihre beiden Kindsköpfe auf dem Boden saßen und mit Bausteinen eine Weltraumrakete bauten.
Einer der beiden Kindsköpfe war ihr Mann Thomas, vierzig Jahre alt und passionierter Sternenreisender, der der siebenjährigen Astronautin Anna beim Zusammenbau der Rakete half.
Es erwärmte Mariel stets das Herz, wenn sie ihre beiden liebsten Menschen auf der Welt zusammen spielen sah. Sie und ihr Mann gaben sich alle Mühe, ihrer kleinen Tochter ein schönes Leben zu bieten. Reich waren sie nicht, doch sie kamen gut über die Runden, sodass dann und wann auch mal ein Ausflug möglich war oder ein schönes Geschenk für Anna zu Weihnachten oder ihrem Geburtstag abfiel.
„Und? Bereit?“, fragte Thomas seine Tochter.
„Ja“, antwortete sie knapp und nickte so schnell, dass ihre dunkelblonden Haare wild flogen. „Darf ich den Countdown machen, Papa?“
„Sehr gerne!“
Die beiden hatten sich zusammen schon so viele Raketenstarts im Fernsehen angeschaut, dass es für Anna gar kein Problem mehr war, von T-20 auf 0 herunter zu zählen. Sie hatte dabei ein breites Grinsen auf dem Gesicht, während Thomas ihre Hände und die Rakete hielt. Bei 0 ließen sie beide die Rakete hin die Höhe steigen. Anna sprang dabei auf, kicherte fröhlich und lief um ihren Vater herum.
„Du bist die Erde, Papa!“, rief sie dabei fröhlich, und auch Thomas fiel in das Lachen ein.
„Anna, Schatz, ich habe eine Idee, wie unsere Rakete noch viel höher fliegen kann!“
„Wie? Wie?“ Anna sprang ganz aufgeregt auf der Stelle.
Thomas stand auf, hob seine Tochter auf die Schultern und schaute zu ihr auf. „Streck deinen Arm ganz weit aus.“
Anna streckte ihren Arm aus, die Rakete war nur noch ein paar Millimeter von der Zimmerdecke entfernt. Und so lief nun Thomas mit seiner Tochter auf den Schultern durch das Zimmer, während Anna vergnügt lachte und die Rakete auf und ab fahren ließ.
Mariel war seit fünfzehn Jahren mit Thomas verheiratet, aber sie kannten sich schon aus Sandkastentagen. Daher wusste sie auch, dass Thomas immer davon geträumt hatte, Astronaut zu werden. Mit zwanzig Jahren hatte er sich für ein Training einschreiben lassen, doch bei einer Routineuntersuchung stellte sich heraus, dass er an einem angeborenen Herzfehler litt. Also schloss man ihn aus dem Programm aus.
Für Thomas war damals eine Welt zusammengebrochen. Später hatte er von seiner Mutter erfahren, dass er das Herzleiden wohl von seinem Vater geerbt haben musste.
Damals hatte Mariel ihm vorgeschlagen, dass er sich doch auf eine freie Stelle für einen Bürojob bewerben sollte. So könne er zwar nicht selbst in All fliegen, wäre aber trotzdem noch nahe an seinem Traum dran. Doch Thomas hatte abgelehnt, hatte gesagt, dass ein Job im Büro nichts für ihn wäre. Jetzt arbeitete er als Garten- und Landschaftsbauer.
„Alles“, hatte er immer gesagt. „Alles, nur nicht in einem Büro hocken und auf die Rente warten.“
Unwillkürlich dachte sie an damals zurück, als Thomas am Boden zerstört war. Die Zeit war alles andere als einfach gewesen, doch alles hatte sich mit Annas Geburt verändert. Ihr Mann war wieder aufgeblüht und ein regelrechter Vorzeigepapa geworden. Während ihrer Schwangerschaft hatte er sich liebevoll um sie gekümmert, sodass das Band zwischen ihnen noch stärker geworden war.
In guten wie in schlechten Zeiten.
Thomas drehte sich noch immer mit seiner Tochter im Kreis und Mariel wollte gerade eine Warnung rufen, doch es war schon zu spät. Thomas sah den Türrahmen hinter sich nicht und stieß fest mit der Nase dagegen.
Gerade noch so unterdrückte er ein Fluchen, denn das konnte Thomas ebenfalls gut. Mariel aber war es wichtig, dass Anna nicht genau so gut darin wurde. Dafür gab es während der Pubertät genug Zeit.
„Housten, wir haben hier wohl ein kleines Problem“, scherzte Mariel, als Thomas die Hand aus dem Gesicht nahm und sie erkannte, dass nichts Schlimmeres passiert war.
„Sehr lustig“, brummte ihr Mann und setzte Anna vorsichtig auf dem Boden ab.
„Lauf nicht zu weit weg, Anna“, mahnte Mariel ihre Tochter, die die Flugroute der Rakete wieder aufnahm und flink in den Garten lief, „Es gibt gleich Essen!“
„Was gibt es eigentlich?“, fragte Thomas und rieb sich noch einmal vorsichtig über die Nase, um zu prüfen, ob auch wirklich alles in Ordnung war.
„Du hast dir doch schon so lange mal wieder ein gutes Steak gewünscht. Da es draußen aber kein Grillwetter ist, habe ich es in der Pfanne fertig gemacht.“
„Lecker wird es so oder so, wenn du etwas machst.“
Die beiden küssten sich, dann rief Mariel ihre Tochter an den Esstisch. Innerlich war sie ganz aufgeregt, denn das Steak sollte nicht die einzige Überraschung sein, die sie für ihre beiden Lieblinge parat hielt.
„Susanne hat mir übrigens etwas sehr interessantes beim Brunch erzählt“, sagte sie, nachdem alle mit dem Essen begonnen hatten. „Wir haben und doch gewundert, was aus dieser großen Baustelle in der Nachbarstadt werden sollte.“
„Die auf der großen Grünanlage?“
„Genau, und wie es aussieht, gibt es wohl bald eine große Eröffnung.“
„Und? Was wird denn da eröffnet?“, drängte Thomas zu wissen.
Anna schien ihnen derweil gar nicht zuzuhören, sondern konzentrierte sich ganz darauf, das Steak mit ihrem Kindermesser in mundgerechte Häppchen zu zerteilen.
Mariel konnte sich ein Lächeln nicht verkneifen. Sie stand auf und holte drei Karten aus ihrer Handtasche, welche sie vor Thomas und Anna auf den Tisch legte.
Thomas‘ Augen leuchteten sofort auf. „Ein Planetarium?“, platzte es überrascht aus ihm heraus.
Damit war auch Annas Aufmerksamkeit geweckt. „Planet-was?“
„Ein Planetarium“, wiederholte Thomas, der sein Glück noch immer nicht fassen konnte. „Woher hast du die Karten?“
„Susanne kennt da wen, der wen kennt und so weiter.“
Anna versuche noch immer das Wort „Planetarium“ richtig auszusprechen, während Thomas vor Freude beinahe vom Stuhl fiel. Er strahlte vor Freude, genau wie Anna zuvor mit ihrer kleinen Rakete. „Dort können wir uns die Planeten und Sterne anschauen“, erklärte er seiner Tochter so einfach wie möglich.
Anna schien das zu gefallen. Sie sprang sofort auf und zog sich ihre Schuhe an. „Ich will ins Planeparium!“, rief sie aufgeregt.
Mariel war ebenfalls aufgestanden, um ihre Tochter davon abzuhalten, alleine loszulaufen, als Thomas sie festhielt und ihr einen innigen Kuss schenkte. „Danke,“ flüsterte er ihr zu. „Ich liebe dich.“
„Ich dich auch.“
Damit wusste Mariel, dass sie alles richtig gemacht hatte. Sie lehnte sich gegen ihn und war sich sicher, dass der Ausflug ein voller Erfolg werden würde, den sie alle nicht so schnell vergessen würden.