Seufzend zog er seine Kappe tiefer ins Gesicht, griff nach dem Wischmop und tauchte ihn ins Wasser. Wie lange dauert es denn noch, verdammt? Das ist ja unerträglich!
Um ihn herum liefen die Kinder, die ihre Eltern an der Hand in Spielzeuggeschäfte zogen, saßen Teenager zusammen und schauten auf ihre Smartphones, lachten und feixten, womöglich über Katzenvideos, die es heute ja überall zu finden gab. Geschäftsleute saßen in ruhigeren Ecken und telefonierten eifrig, sicher mussten noch Aktien abgestoßen oder gekauft werden. Der Springbrunnen in der Mitte des kleinen Einkaufszentrums vollführte sein einprogrammiertes Wasserspiel, während Snake, verkleidet als Reinigungskraft, gerade damit beschäftigt war, ein verlorengegangenes Eis aufzuwischen. Das nächste Mal suche ich mir eine andere Verkleidung, schwor er sich genervt in Gedanken.
Den Wischmop wieder in seine Halterung gestellt, nahm er sein Funkgerät in die Hand. „Thunder, wie lange dauert das noch, verflucht? Ich halte das hier langsam nicht mehr aus“, fluchte er leise.
„Ein klein wenig Geduld noch, Snake. Das ist nicht so einfach, wie du es dir vielleicht vorstellen magst.“
„Schon gut, mach einfach und geb mir Bescheid. Wheel, bei dir alles klar?“
„Alles klar hier, Snake. Die Gasse ist ruhig, ich warte nur auf euer Zeichen.“
„Gut, halte dich bereit.“
Langsam schob er seinen Wagen, auf dem die Reinigungsmittel lagen, zum Seitenausgang, über dem ein großes Schild mit der Aufschrift „Nur für Personal“ befestigt war.
„Snake, es ist soweit“, hörte er Thunder über seinen Knopf im Ohr.
Endlich, dachte er.
„Verstanden“, antwortete Snake und setzte sich prompt in Bewegung durch den Seitenausgang.
Die Stimmung auf der anderen Seite der Tür hätte gar nicht anders wirken können. Während im Einkaufszentrum überall bunte Lichter das geschäftige Treiben der Leute begleiteten und fröhliche Musik leise im Hintergrund spielte, waren hier im Personalbereich nur graue Wände, die von nackten Lampen mit weißem Licht bestrahlt wurden. Und Stille.
Zügig schob er seinen Wagen durch die Flure, bis er vor dem Eingang zur zentralen Belüftungssteuerung stehen blieb und drei Mal an die Tür klopfte.
Die Tür öffnete sich einen Spalt weit, und das wettergegerbte Gesicht von Thunder erschien. „Gut, dann können wir ja anfangen“, sagte Thunder und ließ Snake mitsamt Wagen eintreten. „Die Ventile sind dort in der Ecke. Wenn wir sie aufdrehen, haben wir ...“
„… nicht viel Zeit, ich weiß“, beendete Snake den Satz und schob den Wagen neben die Ventile. Er ging in die Hocke und öffnete beide Türen des Wagens, hinter denen normalerweise die Reinigungsmittel verstaut waren. Er griff sich die Schläuche, die an zwei großen Kanistern angebracht waren, und begann, sie mit den Ventilen zu verbinden.
„Wird Zeit, dass wir den Leuten zeigen, dass sie nicht so sicher sind, wie sie alle glauben, was?“, fragte Thunder, während er die Tür im Auge behielt. Doch Snake hörte den Zweifel, der in Thunder‘s Frage mitschwang.
„Ja. Wenn wir es nicht machen, dann machen es die wahren Terroristen, die sich unter uns verstecken und nur auf ihre Gelegenheit warten. Unser Land tut nicht genug, um die Bevölkerung zu verteidigen, und wir zeigen diesen Politikern, was sie mit ihrem Geiz anrichten. Glaub mir, mir schmeckt die ganze Sache auch nicht. Aber es muss getan werden.“
„Meinst du, so ein kleines Einkaufszentrum wird genug Aufmerksamkeit bringen?“
Snake grinste hämisch. „Es geht nicht um dieses läppische Zentrum“, meinte er schließlich. „Es geht um das Sportstadion.“
„Was? Aber was machen wir dann hier?“
„Wir nutzen eine weitere Einsparung der Stadt aus. Das Stadion und dieses Zentrum sind beinahe zeitgleich gebaut worden. Und die Belüftungssysteme sind miteinander verbunden worden um Kosten zu sparen. Dazu kommt, dass unbemerkt in den verschlossenen Bereich eines Einkaufszentrums zu gelangen eindeutig einfacher ist als in ein gesichertes Station, oder?“ Er schaute über die Schulter und sah Thunder's überraschtes Gesicht.
„Das hättest du uns sagen sollen“, meinte Thunder. Er hörte sich nicht glücklich an. „Deshalb auch diese Menge an Anthrax? Ich habe mich schon gefragt, was du noch damit vor hast. Jetzt ist mir alles klar. Außerdem erscheint mir das alles merkwürdig. Machen wir damit nicht die Arbeit der Terroristen? Wir opfern die Leben unserer Landsleute dafür.“
„Die Sporen werden sich wie ein Virus über die Stadt ausbreiten, sobald sie die Lüftungsschächte verlassen haben. Ich glaube kaum, dass unsere Regierung genug Mittel hat, die Kontamination einzudämmen. Außerdem ...“, er zögerte kurz, „Hätte das deine Ansichten zu unserem Vorhaben verändert? Hättest du abgelehnt?“
„Du weißt genau, dass ich keine Wahl habe in dieser Sache, Snake“, antwortete Thunder grimmig.
„Verdammt richtig. Die hat keiner von uns. Ich hab mich einfach damit abgefunden. Andere sind für die Planung zuständig, wie führen nur aus.“ Er schloss die letzten Verbindungen und öffnete die Ventile. „Ob wir wollen oder nicht. Und jetzt lass uns von hier verschwinden.“
Gerade, als Snake durch die Tür gehen wollte, sah er einen Schatten vorbeihuschen. „Scheiße, jemand hat uns belauscht!“, rief er aufgebracht, doch Thunder reagierte schnell. Mit der Pistole in der Hand riss er die Tür auf, trat in den Gang und gab zwei Schüsse ab. Ein Aufschrei erklang, Snake hörte einen dumpfen Aufschlag, dann wieder Stille.
„Das wird sicher jemand gehört haben.“
„Ist jetzt auch egal“, meinte Snake und drängte sich an Thunder vorbei, ohne sich im Gang noch einmal umzuschauen. „Wir haben jetzt andere Sorgen.“ Er griff zu seinem Funkgerät. „Wheel, es ist soweit!“
„Alles klar, Snake! Bin in einer Minute bei euch!“
Snake und Thunder liefen zum Hinterausgang, ohne auf weitere Hindernisse zu stoßen. Der SUV parkte gerade, als sie aus der Tür nach draußen traten. Sie stiegen ein, und Snake klopfte Wheel auf die Schulter. „Und jetzt bring uns raus aus der Stadt. Ich ruf gleich den Boss an.“
Kurz bevor sie wegfuhren, hörten sie noch, dass im Einkaufszentrum der Alarm ertönte. Jemand hatte wohl die Leiche gefunden.
Aber die wahre Bedrohung können sie nicht mehr aufhalten.