Ich war nervös, das gebe ich zu. Das große Stadion, in welchen der Wettkampf stattfand. Die Masse an Menschen, die sich auf den Zuschauerrängen, dem Feld und hinter den Kulissen tummelte. Überall das geschäftige Treiben, und ich stand mittendrin. Langsam und in Gedanken versunken ging ich über die Laufbahn, um sie auf Fehler zu kontrollieren. Auch an der Sprungplatte schaute ich noch einmal nach, ob alles in Ordnung war. Normal war dafür das Personal zuständig, und das hatte auch schon alles kontrolliert, aber ich ging immer auf Nummer Sicher. Dabei ging es nicht darum, dass ich dem Personal nicht vertraute, eher darum, dass ich mich lieber selbst überzeugte.
„Und Junge? Alles klar?“, fragte mein Trainer, der gerade zu mir kam und mir eine Wasserflasche in die Hand drückte. „Gleich geht es los.“
Ich nahm einen großzügigen Schluck aus der Flasche und nickte. „Ich bin bereit“, antwortete ich, so überzeugend wie möglich klingend. Dass mein Bein mir noch immer Probleme machte wollte ich nicht zeigen. Ich hatte zu lange für diesen Sprung trainiert, um das jetzt abzublasen. Natürlich wusste ich, dass das keine gute Idee war. Aber etwas in mir wollte nicht zulassen, dass ich den Sprung ausfallen ließ. Allein der Gedanke daran fühlte sich für mich nach Aufgeben an, und „Aufgeben“ gab es in meinem Vokabular nicht.
„Gut Junge. Du machst für heute den letzten Sprung.“ Mein Trainer schaute auf sein Tablet, wischte mit dem Finger durch Tabellen und Statistiken. „Glatte Acht Meter gilt es zu schlagen.“
„Acht Meter“, murmelte ich leise. „Mein bestes Ergebnis liegt bei Sieben Meter und Neunzig.“
„Ich weiß. Aber ich glaube an dich.“ Er legte mir eine Hand auf die Schulter. „Du kannst das packen. Nein, du wirst das packen“, sagte er mit etwas Nachdruck. „Und jetzt los, du sollst dich aufstellen.“ Er zeigte mit ausgestrecktem Arm auf den Mitarbeiter, der mich gerade zu sich winkte.
Ich ging zu ihm, wobei ich darauf achtete, mein Bein nicht zu sehr zu belasten. Dieser dumme Unfall, warum hatte der auch passieren müssen? Warum hatte niemand kontrolliert, ob die Sprungplatte auch richtig auf der Bahn befestigt war? Kein Wunder, dass sie beim Absprung wegrutschte und ich dadurch bei der Landung falsch aufkam. Nur deshalb hatte ich mir das Bein verstaucht.
Bei dem Gedanken ballten sich meine Hände zu Fäusten. Natürlich dachte ich, dass die Zeit bis zum heutigen Tag reichen würde, damit das Bein wieder heilt. Aber als ich spürte, dass es nicht reichen würde, habe ich einfach die Zähne zusammengebissen und so getan, als sei wieder alles in Ordnung.
Ich atmete tief ein und belastete langsam das Bein. Noch war das Ziehen erträglich.
Ein Pfiff ertönte, und ich schaute auf. Jetzt war es soweit, keine Chance zum Rückzug mehr. Zumindest redete ich mir das ein. Natürlich war ein Abbruch noch möglich. Aber nicht für mich. Nicht jetzt.
Also atmete ich noch einmal tief ein. Ich war nervös, und ich spürte mein Herz pochen.
Dann lief ich los, und sofort spürte ich einen Schmerz durch mein Bein fahren. Aber ich biss die Zähne wieder zusammen, ein Schnaufen entfuhr mir, als ich die Dreißig Meter Anlauf nahm, die Sprungplatte fest im Blick. Der Gedanke, dass sie beim Absprung verrutschen könnte kam mit schlagartig in den Sinn, aber ich konnte ihn verdrängen. Ich hatte sie selbst kontrolliert. Ich wusste, dass alles in Ordnung war.
Mein Fuß trat auf die Platte, ich sprang mit aller Kraft ab, machte noch zwei Schritte in der Luft, die Arme weit nach oben gerissen, und landetet schließlich mit ausgestreckten Beinen im Sand. Sofort eilten zwei Helfer herbei und nahmen Maß, ich hörte das Publikum jubeln, also musste der Sprung ganz gut gewesen sein.
Einer der Helfer ging zum Pult, an dem die Richter saßen und flüsterte ihnen etwas zu. Kurz danach brandete ein weiterer Jubel durch das Publikum, und ich schaute zur Anzeigetafel.
„8,10 Meter“, stand dort in großen, digitalen Zeichen.
Hätte der pochende, beißende Schmerz in meinem Bein mir nicht beinahe den Verstand geraubt, hätte ich mich vielleicht sogar freuen können.