Erneut warf er einen Blick auf seine Uhr. Gleich würdet es soweit sein. Das, was er vorhatte, würde viele schockieren. Die Meisten wären dazu nicht in der Lage, doch er sah in seinem Vorhaben die einzige Chance, wieder etwas Freiheit in seinem Leben zu bekommen.
Zu lange schon hatten diese zwei Frauen ihn herumkommandiert. Seit Monaten hatte er keine einzige ruhige Nacht mehr gehabt und auch am Tag musste er jederzeit an seinem Handy kleben. Die Strafen, die es nach sich ziehen konnte, wenn er sich einmal nicht rechtzeitig zurückmeldete, waren verheerend. Weitere konnte er sich nicht leisten.
Alle positiven Gefühle waren aus seinem Leben verschwunden. Freude, Glück, das alles war ihm fremd geworden, seit er unter der Fuchtel dieser Leute stand.
Diese Gedanken hielten ihn in der Nacht wach und raubten ihm am Tag sämtliche Lust, überhaupt etwas zu unternehmen. Er fühlte sich schlapp, ausgelaugt und unnütz. Doch anstatt darauf einzugehen, wurden ihm nur noch mehr Aufgaben aufgezwungen und mehr Strafen angedroht, wenn er diesen nicht nachkam.
Das muss endlich aufhören!
Er kniff die Augen fester zusammen, als der stechende Schmerz in seinem Hinterkopf sich meldete und die bekannte Übelkeit hervorrief. Langsam atmete er ein und wieder aus, um den Schmerz zu vertreiben und seine Gedanken zu befreien. Soweit das jedenfalls möglich war.
Er hatte niemals eine Wahl gehabt. Druck, Drohungen und Erpressungen, mehr gab es derzeit nicht. Er fühlte sich wie eine lebende Leiche, die den Befehlen des Nekromanten, dem Meister der Toten, folgen musste.
Und das alles auch noch staatlich gefördert.
Doch vor einigen Wochen war er morgens aufgestanden und hatte den Beschluss gefasst, dass diese Sklaverei ein Ende haben musste.
Grimmig ballte er die Fäuste. Er spürte, dass er sich nicht unter Kontrolle hatte, wieder Gefahr lief, diesem Ausraster zu verfallen, in welchem er vor ein paar Tagen sein eigenes Wohnzimmer verwüstet hatte.
Ich darf jetzt nicht die Nerven verlieren! Reiß dich zusammen!
Am liebsten hätte er all seine Sorgen, seinen Zorn und seinen Hass in die Welt hinausgeschrien, doch was brachte das schon? Es interessiere sich sowieso niemand für ihn. Jeder andere sah ihn als Ballast für die Gesellschaft.
Nein, das ist ein anderes Thema. Vielleicht für ein anderes Mal.
Er verdrängte den Gedanken und versuchte, sich auf sein Ziel zu fokussieren.
Stetig hatte er sich Möglichkeiten überlegt, seine Freiheit zurückzuerlangen. Ihm war klar geworden, dass es keinen legalen Weg gab. Alles sprach gegen ihn, sogar das Gesetz. So war er ständig zurückgeworfen worden. Er hatte sogar mit dem Gedanken gespielt, sich eine Waffe zu besorgen, dort hineinzumarschieren und die Biester zu töten, um dann … An diesem Punkt hatte er den Plan verworfen. Er wollte sein Leben und seine Freiheit zurück und es nicht beim Versuch, dieses Ziel zu erreichen, verlieren. Außerdem stellte dieses Vorgehen eine viel zu enge persönliche Bindung her. Am Ende hätte die Polizei die Kontakte der Frauen überprüft und wäre dann auf ihn gekommen.
So unangenehm es auch für ihn war, musste er doch zugeben, all das ihm dem Wahnsinn ein Stück näher gebracht hatte. Doch dieser Wahnsinn ließ ihn auch seine Grenzen vergessen, wodurch er einen neuen Plan hatte schmieden können.
Zuerst hatte er das gesamte Internet nach Anleitungen abgesucht, in denen beschrieben wurde, wie man sich eine eigene Bombe bauen konnte. Mit etwas zusätzlichem Wissen hatte er es geschafft, einen Sprengstoff herzustellen, der eine enorme Hitze entwickelte und jeden möglichen Beweis seines Werkes vernichten konnte.
Darüber hinaus hatte er sich die Baupläne des Gebäudes beschafft, in welchem eines dieser Monster arbeitete. Damit konnte er ermitteln, an welchem Punkt die Bombe ihre Wirkung am besten entfalten konnte. Diese wiederum strich zusätzlich das Problem der persönlichen Bindung. Jeder in dem Gebäude konnte das Ziel sein. Doch er war bereit über eine Menge Leichen zu gehen, da er wusste, dass es nur die richtigen Personen treffen würde. Vielleicht konnte er so nicht nur seine, sondern auch die Dämonen anderer vernichten.
Eine wunderbare, gute Tat.
Während eines persönlichen Gesprächs vor ein paar Tagen war es ihm gelungen, an die Schlüssel für das Gebäude zu gelangen. Eine kleine Ablenkung durch den Feueralarm hatte ihm dabei ausgezeichnet geholfen.
Da er wusste, dass jeder Schritt genau abgepasst sein musste, hatte er sich einen Beobachtungsposten eingerichtet. Dazu war der Wald in der Nähe des Gebäudes, in dem er sich auch jetzt gerade befand, perfekt geeignet. Von hier aus hatte er eine ungetrübte Sicht auf die Parkplätze und konnte so An- und Abfahrtzeiten von einer der beiden Zielpersonen beobachten.
Durch ein bisschen Glück verplapperte sich die eine Frau im persönlichen Gespräch unbeabsichtigt und verriet ihm damit, dass sich genau heute am frühen Morgen beide Zielpersonen in diesem Gebäude treffen wollten.
So hatte er alles, was er brauchte, um seinen Alptraum für immer zu beenden.
Früh morgens schlich er sich, mit Hilfe des gestohlenen Schlüssels, in das Gebäude und brachte die Bombe in der untersten Etage an. Da zu dieser Uhrzeit noch kein Mitarbeiter im Haus war, stellte sich das als Kinderspiel heraus.
Anschließend verließ er die Anlage wieder, schloss die Eingangstür ab und warf den Schlüssel in das Gestrüpp daneben. Falls jemand ihn finden sollte, würde es so aussehen, als ob er einem Mitarbeiter aus der Tasche gefallen wäre.
Nun lag er seit einiger Zeit im Wald auf der Lauer und beobachtete durch sein Fernglas, wie die „Menschen“, die dort arbeiteten, nach und nach ankamen und sich an ihr Werk machten, das Leben der Geplagten, die ihnen zugeteilt waren, zu vernichten. Je länger er diese Leute überwachte, desto fester wurde sein Glaube daran, dass er das Richtige tat. Er würde ihnen die Selbstgefälligkeit aus den Gesichtern wischen. Würde ihnen zeigen, was passierte, wenn man sich mit den falschen Leuten anlegte und meinte, es wäre rechtens, jene wie ihn wie Sklaven zu behandeln.
Pünktlich kamen auch seine beiden Zielpersonen an. Durch sein Fernglas sah er, wie sie zusammen auf dem Parkplatz eintrafen, sich begrüßten, als würden sie sich schon ewig kennen, und lachend im Gebäude verschwanden.
Dabei haben sie sich erst vor ein paar Wochen durch meine Situation kennengelernt.
Er griff in seine Tasche und holte das kleine Wegwerfhandy heraus, welches als Auslöser für seine Bombe diente.
Vorfreude spross ihn ihm auf, wallten durch seinen Körper und seine Gedanken, als er das Handy aufklappte. Die Nummer, welche den Zünder der Bombe aktivieren würde, hatte er schon eingegeben. Er musste sie nur noch anrufen.
Mein Leben wird wieder mir gehören. Nur mir allein.
Noch einmal schloss er die Augen, horchte in sich hinein, erwartete eine Stimme, die ihn davon abhalten wollte. Doch sein Gewissen blieb stumm, wodurch er sich nur weiter bestärkt fühlte. Trotz seiner Vorfreude, die unbändig durch ihn lief, fühlte er sich ruhig. Nach so vielen Rückschlägen, die ihn innerlich zerfraßen und zerstörten, konnte er nun endlich wieder einen Erfolg verbuchen.
Er schaute auf das Gebäude und ließ das Handy die eingegebene Nummer anrufen.
Kurz darauf krachte es ohrenbetäubend und er sah, wie das Haus, und alle, die sich darin befanden, in einem gewaltigen, grell leuchtenden Feuerball explodierten. Trümmer schossen durch die Luft, die Scheiben der geparkten Autos splitterten unter der enormen Druckwelle, bevor die Fahrzeuge selbst angehoben und wie Spielzeug über den Parkplatz geworfen wurden.
All dies spiegelte sich glänzend in seinen Augen wider.
Frei. Ich bin endlich frei!
Unmut, Hass und Zorn fielen nach und nach von ihm ab, machten dem Glück und der Freude Platz, die er schon so lange nicht mehr gefühlt hatte. Er hatte sein Ziel tatsächlich erreicht.
Schnell packte er seine Sachen zusammen und verschwand durch den Wald über einen kleinen Pfad hinunter zu einem See. Dieser war sein Fluchtweg, da er etwas abgelegen war und ihm genügend Zeit verschaffte, vom Ort des Geschehens zu verschwinden, bevor die Polizei und Rettungskräfte eintrafen.
Während seines Spaziergangs um den See dachte er darüber nach, was er mit seiner neu gewonnenen Freiheit anfangen würde.
Was auch immer jetzt folgt, eines steht fest: Ich werde alles selbst bestimmen. Mein Leben, meine Entscheidungen.
Mit einem breiten Grinsen im Gesicht warf er das Handy in den See und machte sich auf den Weg nach Hause.