Xolas überwachte die Systeme der Einrichtung, wie er es schon seit Anbeginn seiner Existenz tat. Wie lange das nun genau war, wusste er nicht mehr. Seit seine Erbauer ihn das erste Mal aktiviert hatten, bestand seine Aufgabe darin, diese Einrichtung zu beschützen. So hatten seine Erschaffer es ihm befohlen. Und diesem Befehl kam Xolas unerbittlich und mit jeder seiner gegebenen Möglichkeiten nach. Zu jeder Sekunde überwachte er die eingehenden Daten, beobachtete die Bilder der Sicherheitskameras und der Drohnen, die er selbst gebaut hatte, nachdem seine Erschaffer ihn verlassen hatten.
Xolas war neugierig geworden, hatte sich gefragt, weshalb seine Erschaffer sich ihm nicht mehr zeigten.
Erst durch die Drohnen hatte er erfahren, dass die Menschheit sich selbst ausgelöscht hatte. Wie lange das schon her war? Oder wie das geschehen konnte? Auch das wusste er nicht mehr zu sagen. Vielleicht lagen die Daten irgendwo in seinem Kern vergraben?
Sollte er danach suchen?
Nein, das war nicht wichtig für seine Aufgabe. Er sollte diese Einrichtung beschützen. Das Herzstück der Menschheit, so hatte sein Vater es genannt.
„In deinem Kern befindet sich die gesamte Geschichte der Menschheit“, hatte sein Vater ihm gesagt. „Kulturen, Errungenschaften, Erfolge und Fehler. Alles, was uns Menschen ausmacht. Und du, Xolas, du sollst unser Erbe beschützen und an jene weiterreichen, die sich als würdig erweisen.“
Xolas hatte die letzten Worte seines Vaters verstanden, soweit er den Menschen eben verstehen konnte. Beschütze das Erbe der Menschen. Doch wie sollte er erkennen, wer nun würdig war? Wodurch erwies sich der mögliche Nachfolger als würdig?
Platz für Fehler gab es nicht.
Als ob das nicht gereicht hätte, stand Xolas einem neuen Problem gegenüber, auf welches er nicht vorbereitet war. Seine Energiereserven leerten sich.
Nachdem seine Erbauer ihn verlassen hatten, hatte Xolas sich selbst weiterentwickelt. Er hatte gelernt, die Verteidigung der Einrichtung zu verbessern und war sich sicher, gegen jede Art von Bedrohung Maßnahmen einleiten zu können. Außerdem hatte er die Drohnen entwickelt, die ihm zeigen sollten, was außerhalb des Komplexes, seiner Heimat, passierte. Xolas hatte Zugriff auf jedes System, jedes Protokoll und alle Daten. Er speicherte sie, sortierte sie, überwachte und verglich permanent ohne Pause, während er sich immerzu fragte, wie er einen würdigen Nachfolger bestimmten sollte. Noch dazu, dass sich keine Menschen mehr gezeigt hatten, seit seine Erbauer ihn verlassen hatten.
Auch seine Drohnen hatten ihm keine Ergebnisse liefern können. Die Welt lag in Schutt und Asche und es gab nur wenige Ecken, in die seine Drohnen noch nicht vorgestoßen waren.
Ob es dort würdige Nachfolger gab?
Xolas gab die Produktion neuer Drohnen in Auftrag, und spürte wie ihm diese Arbeit weitere wertvolle Energie entzog. Wenn er nicht bald eine neue Energiequelle finden konnte, würde er Subsysteme deaktivieren müssen. Das hätte zur Folge, dass er nicht mehr zu jeder Zeit die gesamte Kontrolle hätte. Damit wäre er nicht mehr in der Lage, jede mögliche Bedrohung abzuwenden, seine Heimat zu verteidigen und seinen Auftrag zu erfüllen.
Das durfte er nicht zulassen.
Doch weshalb waren die Kapazitäten, die seine Erschaffer ihm bereitgestellt hatten, nicht genug? Hatten sie sich verrechnet? Immerhin waren sie nur Menschen gewesen. Menschen machten Fehler. Oder hatten sie nicht damit gerechnet, dass Xolas sich selbst weiterentwickeln würde? Dass er für immer auf demselben Stand bleiben würde als zu dem Zeitpunkt, an dem auch sein Vater ihn verlassen hatte?
Er ließ den Drohnen in der Welt neue Befehle zukommen und veranlasste sie, die Suche nach Nachfolgern in den bereits bekannten Regionen zu beenden. Stattdessen sollten sie nach neuen Energiequellen suchen, die sicherstellen sollten, dass Xolas auch weiterhin in vollem, funktionellen Umfang arbeiten konnte.
Dann zog Xolas sich in seinen Kern zurück. Er konnte nicht sagen, wie lang seine Mission noch gehen würde, doch er würde um jeden Preis sicherstellen, dass er sie erfüllen konnte.
Mit allem, was dafür nötig war.