Er atmete ruhig ein und aus, während er auf seinen MP3-Player schaute, das nächste Lied auswählte und den Status des Akkus überprüfte.
Dass mögliche Feinde ihn von hinten überraschen könnten befürchtete er nicht. Um diese hatte er sich bereits gekümmert. Leise, während eines anderen Liedes. Einer anderen Stimmung.
Die Musik begleitete ihn schon sein Leben lang und hatte ihm immer geholfen, seine Fassung zu wahren. Schon während seiner Kindheit, als er noch in die Schule gegangen war. Dort hatte er sich täglich den Sticheleien seiner Mitschüler ausgesetzt gesehen, nicht fähig, sich alleine gegen sie zu wehren. Wenn es drohte, ihm zu viel zu werden, hatte er sich in seinem Zimmer eingesperrt und seine Seele Ruhe in Form von Musik gegönnt. Seinen Verstand bewahrt, während sein Körper geweint hatte.
Mit elf Jahren hatte er das erste Mal eine Waffe in der Hand gehabt. Er wusste nicht einmal mehr, woher er die überhaupt hatte. Aber er hatte sie, hatte täglich im Garten hinter seinem Haus das Schießen geübt. Damals noch mit Strohpuppen und alten Dosen. Eines Tages, nachdem einige der halbstarken Jungs meinten, ihn zusammenschlagen zu müssen, weil sie dachten, damit cool zu wirken, war das Maß voll gewesen. Mit blutiger Nase und verletztem Bein war er den Jungs nach der Schule gefolgt, bis er sie schließlich unter einer abgelegenen Brücke stellte. Über ihnen fuhr krachend die Bahn über die Gleise, doch er hörte es nicht. In seinem Kopf war nur die Musik zu hören, die über die Kopfhörer in seine Ohren drang. Angst hatte er keine verspürt. Wozu auch? Solange er die Musik hörte, konnte niemand ihm etwas anhaben.
Als die drei Schläger ihn schließlich bemerkten, hielt er die Pistole schon in der Hand. Er sah sie vor sich, wie sie auf ihn zeigten, ihn auslachten, was er zwar nicht hören, dafür aber klar vor sich sehen konnte. Kurze Zeit später lachte keiner von ihnen mehr. Der Junge stand vor den Leichen jener, die ihm das Leben zur Hölle gemacht hatten. Das Magazin war leer geschossen, aus der Mündung der Pistole rauchte es. Ihre Schreie hatte er nicht gehört, nur ihre verzerrten Fratzen gesehen. Den Unglauben in ihren Augen, den Schrecken.
Die Waffe hatte er in den Fluss geworfen. Sie wurde niemals gefunden und der Mord an den drei Kindern damit nie aufgeklärt.
Seine Tat hatte ihn nicht verfolgt, dafür hatte die Musik gesorgt. Nichts konnte ihm etwas anhaben, solange er seine Seele beruhigte.
Auch während seiner Zeit in der Armee hatte ihm die Musik gute Dienste geleistet. Sie hatte ihn geführt, beschützt und vor seelischem Schaden bewahrt, während sein Körper bei Kampfeinsätzen stark in Mitleidenschaft gezogen worden war. Doch es gab keine Wunde, die nicht verheilte. Nicht für ihn.
Nach der unehrenhaften Entlassung aus dem Dienst – er hatte einen ranghöheren Offizier körperlich angegriffen, weil dieser vor hatte, seine Einheit aus politischen Gründen zu diskreditieren – hatte er eine Anstellung bei der Polizei gefunden und sich dort hochgearbeitet. Bis zum Rang eines Detective. Ab diesem Zeitpunkt hatte sich sein Leben verändert. Früher hatte er den Kontakt zu anderen Menschen gemieden, hatte sich in die Welt seiner Musik zurückgezogen und war damit glücklich gewesen. Doch als er zum Detektiv befördert worden war, hatte er einen Partner zugeteilt bekommen, der es geschafft hatte, ihn aus seiner einsamen Welt zu ziehen. Sie hatten sich angefreundet, mehrere Fälle erfolgreich gelöst, auch, wenn sie sich dabei nicht immer ans Gesetz gehalten hatten. Aber das war kaum möglich. Nicht in dieser Stadt.
Doch vor ein paar Wochen passierte etwas, von dem er nie gedacht hätte, dass er es jemals erleben musste. Während einer Razzia in einer Bar, in welcher sich ein chinesischer Drogenring etabliert hatte, wurde sein Partner vor seinen Augen von einem der Dealer erschossen.
In diesem Moment zerbrach etwas in ihm. Eine eiskalte Leere breitete sich in ihm aus. Ebenso gut hätten sie auch ihn anstatt seines Partners erwischen können. Seine Seele schrie vor Schmerz auf, krümmte sich angesichts dieser unerwarteten Wunde, während sein Körper tatenlos mit ansehen musste, wie sein Freund starb, bevor er auf dem Boden aufkam.
Nun hatte er das neue Versteck der Drogendealer ausfindig gemacht. Seit dem Vorfall hatte er sich aus dem Dienst zurückgezogen und auf eigene Faust ermittelt. Nur er und seine Musik.
Und sobald das Lied begann, würden seine Feinde seine Rache zu spüren bekommen.