Herry starrte auf die Landschaft, die sich vor ihm ausbreitete, konnte aber kaum glauben, was seine Augen dort sahen.
Zusammen mit Dunby stand er an einer Klippe, von der aus man vor langer Zeit angeblich über das Meer hatte schauen können.
Doch anstelle von Wasser breitete sich dort nun eine Nebelwand aus, dicht und undurchsichtig, sodass sie sogar das Sonnenlicht zu verschlucken schien, welches auf den Nebel hinab schien. Felsen ragten aus dem Dunst heraus und stachen in den Himmel, ähnlich den aufgestellten Stacheln auf dem Rücken eines Igels.
„Das Stachelmeer“, hauchte Herry und schaute Dunby verblüfft, aber auch ein wenig erschrocken an. „Und da sollen wir durch?“
„Wir müssen“, antwortete Dunby und stemmte seine Hände in die Hüften. „Du willst doch deine Freundin retten, oder?“
„Natürlich will ich das!“, brauste Herry auf. „Ich bin nicht umsonst den ganzen Weg gekommen. Die Dämonen haben sie verschleppt, und wenn ich ihr nicht helfe, dann wird es keiner tun, das weißt du.“
„Weil sich niemand mit den Dämonen anlegt.“
„Mir bleibt aber keine andere Wahl.“
Eine Weile standen sie nebeneinander, ohne ein Wort zu sagen und schauten auf die endlose Weite hinaus.
„Ich weiß“, brach Dunby nach einiger Zeit das Schweigen und seufzte. „Aber es ist trotzdem keine gute Idee.“
„Hast du eine bessere? Denn ich bin für jeden Vorschlag dankbar.“
Dunby kratzte sich am Hinterkopf und stieß erneut die Luft aus. „Leider nein. Aber diese uralten Legenden machen mir Sorgen.“
„Welche Legenden?“ Herry schaute seinen Begleiter misstrauisch an. „Du hast nichts von irgendwelchen Legenden erwähnt.“
„Weil es nichts gebracht hätte. Du wolltest mir von Anfang an nicht zuhören.“
„Und warum bist du dann mitgekommen?“, fuhr Herry ihn roh an. „Du hättest mir ja nicht folgen müssen!“
Dunby wandte den Blick vom Nebel ab und schaute Herry an. „Doch, das musste ich. Weil ich meinen Bruder nicht alleine in sein Unglück rennen lasse.“
Sofort fühlte Herry sich schlecht, seinen Bruder so harsch angefahren zu haben.
„Tut mir Leid. Das war unfair von mir. Aber ich bin die ganze Zeit mit den Gedanken bei ihr, und ich will sie einfach retten. So schnell wie möglich, weißt du?“
„Ich verstehe schon.“ Dunby nickte und legte eine Hand auf die schmale Schulter seines Bruders. „Wir beide zusammen schaffen das.“
„Was sagen denn nun diese Legenden über das Stachelmeer?“ Herry starrte weiter auf den Nebel, und bei genauerer Betrachtung fiel ihm auf, dass der Nebel sich bewegte, beinahe wie Wasser, welches Wellen schlug. Nur langsamer und verzerrter.
„Laut den Sagen sollen Scheusale in den Nebeln leben, die jeden verschlingen, die es wagen, ihr Heim zu betreten.“
„Welche Art Scheusal?“
„Keine Ahnung.“ Dunby zuckte mit den Schultern. „Monster, Dämonen, wie auch immer du sie nennen magst. Angeblich sollen sie während der Magierkriege vor mehr als dreihundert Jahren entstanden sein, zusammen mit dem Stachelmeer. Als das Wasser verschwand und der Nebel dafür seinen Platz einnahm.“
„Oder als das Wasser zum Nebel wurde“, murmelte Herry und schluckte. „Das kann ja heiter werden.“
„Zusammen schaffen wir das. Denk immer daran, sie verlässt sich auf dich.“
Herry schauderte bei dem Gedanken an mögliche Monster, die ihnen dort unten, auf dem Weg zu ihrem Ziel, begegnen konnten. Doch er musste sich zusammenreißen, das wusste er. „Ja, wir schaffen das. Nichts wird uns aufhalten.“
„So will ich das hören. Und jetzt komm. Je eher wir gehen, desto eher hast du dein Mädchen wieder in den Armen.“
Herry nickte. Zusammen kletterten sie den Abhang hinunter.
Dann tauchten sie in den Nebel ein.