„Hilfe! Ist da jemand?“
Es war bereits später Abend und Pyke, Wachsoldat der Stadt Sylvanes, ritt gerade seinen Weg entlang durch den Wald, als er den Hilferuf hörte.
Sofort zügelte er sein Pferd, wendete es auf dem mit Laub bedeckten Boden und suche nach der Quelle des Rufes.
„Hallo?“, rief er fragend und lauschte.
„Hier! Hier bin ich!“
Pyke stieg von seinem Pferd ab und verließ den gepflasterten Weg. Er trat durch das dichte Gestrüpp und fand schließlich den Mann, der um Hilfe gerufen hatte.
„Thalos sein Dank“, rief dieser, offensichtlich erfreut, dass jemand ihn gefunden hatte. Der Mann lag, mit den Händen auf den Rücken gefesselt, in einer Senke, in der vor vielen Jahren einmal ein Fluss durchgeströmt war.
„Moment.“ Pyke machte sich an den kurzen Abstieg, drehte den Mann sachte auf den Bauch und schnitt mit einem Dolch das Seil durch. „So, Ihr seid wieder frei.“
„Danke! Danke! Vielen Dank!“ Der Mann versuchte aufzustehen, doch sein Bein gab nach und er brach sofort mit schmerzverzerrtem Gesicht wieder zusammen.
„Wartet“, befahl Pyke und hob den Mann unter den Armen an. Langsam zog er ihn hoch und stützte ihn. „Ich werde Euch in die Stadt bringen, dort kann ein Heiler sich Eure Verletzung ansehen. Was ist denn überhaupt passiert?“
„Nein, nein“, lehnte der Mann das Angebot sofort ab, während er die Frage am Ende anscheinend gar nicht gehört hatte. „Das wird nicht nötig sein. Ich habe ein Lager, nicht weit von hier. Wenn Ihr mich dahin bringen könntet, kann ich mich selbst versorgen.“
Pyke überlegte kurz. Es war die bessere Idee, ihn in die Stadt zu bringen, aber er konnte den Mann auch nicht zu seinem Glück zwingen.
„Wo liegt Euer Lager?“, fragte Pyke.
Der Mann deutet in Richtung Westen. Da es anscheinend auf seinem Weg lag, ließ sich Pyke darauf ein.
Langsam gingen der Fremde und Pyke zu seinem Pferd, wobei er den Mann stütze und aufpasste, dass sich dessen Verletzung nicht verschlimmerte.
„Wie heißt Ihr eigentlich?“, fragte Pyke.
„Laurentius“, antwortete dieser.
„Und was macht Ihr in dieser Gegend? Kommt Ihr aus der Stadt?“
Laurentius schüttelte den Kopf. „Ich bin Kräuterhändler, aus dem Norden. Waagsburgh, wenn Euch der Name etwas sagt.“
„Die Stadt im Schnee?“
„Ja. Ich kam hier her, um Kräuter auf dem Markt anzubieten, die nur bei uns im Norden wachsen.“
„Und was ist passiert, dass Ihr in diesem Graben gelandet seid?“ Pyke störte es nicht, dass er dem Händler anscheinend alles Einzelheiten aus der Nase ziehen musste. Er schätzte die Gelegenheit zu einer Unterhaltung, da er sonst immer alleine unterwegs war. Außerdem hatte der Mann die Frage beim ersten Mal anscheinend nicht gehört.
„Ich weiß es nicht mehr genau. Das Letzte, woran ich mich erinnere, ist, dass ich mit meinem Wagen auf dem Weg in die Stadt war, um für den morgigen Markt meinen Stand vorzubereiten. Dann kamen Männer, wer weiß ich nicht. Sie sahen aus wie Banditen. Einer von ihnen zog mich vom Pferd und verpasste mir einen Schlag auf den Kopf. Und dann wachte ich in der Grube auf.“
„Wenn Ihr von soweit her kommt, warum habt Ihr kein Zimmer in einem der Gasthäuser gemietet?“
Laurentius schweig kurz, als müsste er über seine Antwort nachdenken. „Zu teuer“, sagte er schließlich. „Naja, Ihr wisst schon, Einnahmen und Ausgaben. So sind wir Händler halt.“
Der Kräuterhändler lachte nervös, doch Pyke dachte sich nichts dabei. Er überlegte, dass der Mann sicherlich noch verwirrt war von dem Vorfall.
Sie unterhielten sich noch eine Weile, auch wenn Pyke mehr das Reden übernahm, bis der Mann ihm schließlich eine Hand auf die Schulter legte. „Hier jetzt links“, sagte er und deutete einen Hügel zu einer Felsformation hinauf.
„Euer Lager ist ziemlich weit weg von der Stadt“, bemerkte Pyke und ritt auf einem schmalen Pfad den Hügel hinauf.
„Ich kenne mich nicht so gut aus hier, und meine Karte ist nicht die beste, fürchte ich.“
„Wir haben einen ausgezeichneten Kartenzeichner in der Stadt“, fügte Pyke an. „Vielleicht kann der Euch eine bessere zeichnen.“
„Eine gute Idee. Gut, wir sind da.“
Noch bevor Pyke sein Pferd zum Stehen brachte, stieg der Händler bereits ab.
„Euch scheint es schon besser zu gehen“, sagte Pyke, der sah, wie unbeschwert Laurentius mit seinem verletzten Bein auftrat. Pyke stieg ebenfalls von seinem Pferd ab und begleitete den Mann noch das letzte Stück.
„Ach, geht schon etwas besser“, antwortete der Händler schnell, wieder mit diesem nervösen Lachen.
Pyke fühlte sich unwohl. Er spürte, dass etwas in der Luft lag, aber er konnte nicht beschreiben, was es war.
Er sah sich im Lager des Mannes um. Dabei entdeckte er einen Tisch, auf dem frisch zubereitetes Essen stand, zusammen mit ein paar Goldmünzen, und ein paar Bänke.
„Seid Ihr alleine unterwegs?“, fragte Pyke, dessen Unruhe immer weiter stieg. Irgendetwas stimmte hier nicht.
Doch anstatt zu antworten, grinste der Mann und pfiff einmal laut.
Sofort sprangen zwei weitere Männer aus dem dichten Büschen, die das Lager umgaben.
Bevor Pyke sich umdrehen konnte, warf einer der Männer ihm eine Schlinge um den Hals.
Pyke zerrte daran und versuchte sich zu befreien, doch der andere trat ihm in die Kniekehlen.
Er stöhnte auf und sackte auf die Knie, bevor er dann endgültig zu Boden gedrückt wurde. Er knurrte und zappelte, doch die Männer banden ihm Arme und Beine fest, sodass er verschnürt und wehrlos am Boden lag. Nicht einmal sein Schwert, welches nutzlos an seinem Gürtel baumelte, konnte er noch ziehen. Dafür entwendete es ihm einer der Männer.
„Ein Wachmann, Pitrus?“, fragte der, der ihm sein Schwert geklaut hatte, und der falsche Kräuterhändler lachte dreckig.
„Gut, oder? Darauf wird der Statthalter reagieren müssen.“
„Hoffen wir es. Setz den Brief auf und schick den Bettlerjungen los.“
Pyke spürte, wie die beiden anderen Männer ihn griffen. Er wurde durch das Lager geschleift und an einen Baumstamm gefesselt.
„Und was, wenn der Statthalter nicht darauf reagiert?“, fragte der Betrüger und sah auf Pyke herab.
„Tja, dann“, begann der Mann, der anscheinend der Anführer der Bande war, während er Pykes Schwert musterte und dann mit einem gehässigen Grinsen auf Pyke hinab schaute, „wird es wohl eng für unseren neuen Freund hier.“
Pyke knurrte und versuchte sich zu befreien, doch je mehr er sich bewegte, desto fester schienen die Fesseln sich um seinen Körper zu legen. „Der Statthalter wird nicht mit Euch verhandeln, egal, wie viel Gold Ihr verlangt“, giftete er den Bandenanführer an.
Innerlich verfluchte er sich für seine Naivität. Seit Beginn seiner Ausbildung zum Soldaten hatte versucht, sie abzulegen. Doch sie schien zu ihm zu gehören, und immer wenn er sie nicht brauchen konnte, brach sie wieder durch. Schöne Scheiße. Toll gemacht, Pyke. Ganz toll.
Doch die drei Männer schauten sich nur an und lachten lauthals. Dann beugte sich der falsche Händler zu ihm hinab und grinste ihn breit an. „Als ob es uns um Gold gehen würde!“
Pyke wollte gerade etwas erwidern, doch der Schlag mit einem Ast gegen seine Schläfe hüllte seine Welt in Dunkelheit.