Gehetzt und voller Adrenalin, welches, verstärkt durch Angst vor dem, was passiert war, meinen Körper wogend durchflutete, rannte ich durch den Wald. Schon lange hatte ich mich hoffnungslos verlaufen, aber meine Hauptsorge war es gerade, meinen Verfolgern zu entkommen.
Ich wusste; würden sie mich finden, dann wäre es vorbei. Nichts konnte das entschuldigen, was ich getan hatte. Dabei war das alles nur ein Unfall gewesen.
Natürlich würde mir das keiner glauben, dachte ich verbittert und rannte dabei weiter.
Mein Atmen kam nur rasselnd, und ich keuchte schrecklich. Als schließlich meine Beine nachgaben und ich geradewegs mit dem Gesicht voran in eine Pfütze aus dreckigem Wasser landete, wusste ich, dass ich nicht mehr weiter konnte. Ich brauchte eine Pause.
Mit letzter Kraft stemmte ich mich auf, spuckte das faulige Wasser aus und zog mich mit schwachen Armen zu einer mit Ranken und Moos überwucherten Zeder. Erschöpft lehnte mich mit dem Rücken an den Baum und versuchte zu Atem zu kommen, während meine Lungen brannten, als würde in ihnen ein Inferno seinen Höhepunkt erreichen.
Dabei trage ich noch nicht mal meine Rüstung. Ich fühle mich einfach nackt.
Wie lange ich schon lief konnte ich nicht sagen. Es fühlte sich an wie Stunden, dabei konnten vielleicht auch nur Minuten vergangen sein.
Mein ganzer Körper fühlte sich plötzlich unendlich träge und ermüdet an. Doch an Ruhe war nicht zu denken.
Wegen der Meute an Rittern, die noch immer hinter mir herjagte und deren klappernde und scheppernde Rüstungen ich in der Ferne noch hören konnte?
Vielleicht, aber sicher auch wegen meiner Gedanken, die wie eine Horde Pferde durch meinen Kopf rasten und jede Möglichkeit auf Konzentration niedertrampelten.
Der Schweiß lief aus meinen Poren und ließ meine sowieso schon verdreckte Kleidung an meinem Körper kleben. Mein Hemd war durch die Hatz zwischen den Büschen und Sträuchern an einigen Stellen ziemlich mitgenommen, wie ich feststellen musste. Und auch die bereits ziemlich verdreckte Hose sah mit den Rissen nicht wirklich besser aus. Ganz zu schweigen von den Schuhen, die voller Matsch waren.
Plötzlich stutzte ich. Matsch?
Ich sah mich um und realisierte erst jetzt, dass ich mich schon längst nicht mehr in einem Wald befand. Die Umgebung hatte sich verändert. Der Boden war nicht mehr fest, sondern weicher und feuchter, und auch die Pflanzen um mich herum passten mehr zu einem Sumpf denn zu einem Wald.
Wie lange bin ich gelaufen?
Langsam beruhigte sich meine Atmung wieder, doch meine Gedanken waren weiter auf wilder Fahrt.
„Scheiße, verdammte“, fluchte ich leise und griff mir an meinen Kopf, der hämmerte und pochte, als würde der Hofschmied ihn mit seinem größten Hammer bearbeiten.
Und das alles nur wegen diesem verfluchten Stein.
Mit einem unbehaglichen Gefühl griff ich in mein Hemd und holte einen kleinen Beutel hervor. Ich löste das Band, welches den Beutel fest verschlossen hielt, und ließ seinen Inhalt in meine Hand gleiten.
Was für ein unheimliches Ding bist du bloß?
Kurz schaute ich mir den unauffällig wirkenden Stein genauer an.
Er schimmerte leicht bräunlich im spärlichen Licht, dass durch die dichten Baumkronen hinunter zum Boden des Sumpfes reichte, und wirkte dabei doch durchsichtig.
Nur wenn man genauer hinschaute, bemerkte man, dass sich in dem Stein etwas zu bewegen schien. Es sah aus, als ob etwas in ihm schwimmen würde, schwarz und bedrohlich, wie Schatten in tiefster Nacht.
Während ich das Ding in meiner Hand weiter anstarrte, versuchte ich mich zu erinnern, was passiert war. Aber ich konnte es kaum.
Ehrlich gesagt wusste ich in diesem Moment kaum etwas. Ich wusste nicht, was passiert war oder wie es passiert war. Ich wusste nicht, wo ich war, und ich wusste auch nicht, wie mein Leben in Zukunft aussehen würde.
Obwohl, ein bisschen was wusste ich schon. Ich wurde verfolgt von Rittern aus dem Palast des Königs. Wenn sie mich erwischten, würden sie kurzen Prozess mit mir machen, ganz gleich, ob sie mich kannten und ich mal ein gutes Verhältnis zu ihnen hatte.
Und ich wusste, dass ich das Land verlassen musste. Hier war ein normales Leben unmöglich geworden. Aber das würde nicht einfach werden, denn sicherlich waren längst Meldereiter in die umliegenden Dörfer und Städte entstand worden. Dort würden sie dann die Bevölkerung vor mir warnen.
Vom Hauptmann der königlichen Garde zum meistgesuchten Verbrecher des Landes in weniger als einem Tag. Ganz große Leistung.
Als mir bewusst wurde, dass ich den Stein noch immer anstarrte und mir die Augen zu brennen begannen, wandte ich den Blick ab und versuchte erneut, mir die Bilder aus dem Thronsaal in den Kopf zu rufen.
Als ich auf dem Markt war, habe ich den Stein entdeckt und sofort gekauft, begann ich meine Erinnerungen zu rekonstruieren. Da hätte mir schon auffallen sollen, dass er eine merkwürdige Anziehung auf mich ausübte.
Erneut schaute ich auf den Stein, der ruhig in meiner Hand lag. Auch jetzt spürte ich diese sanfte Anziehung zu ihm. Als ob er mich an sich binden würde. Genau das hielt mich davon ab, ihn einfach wegzuwerfen.
Ich hatte Angst vor dem Stein, besonders nach dem, was passiert war, und doch konnte ich mich nicht von ihm lösen.
Weniger später im Thronsaal dann habe ich den Stein aus meiner Tasche genommen, sinnierte ich weiter und merkte dabei, dass ab dort die Erinnerungen verblassten.
Ich hatte mir den Stein noch einmal anschauen wollen, und ab dem Zeitpunkt konnte ich mich kaum noch an etwas erinnern. Nur einzelne Bilder durchzuckten meine Gedanken, wie kurze Blitze einen mit Wolken behangenen Himmel während eines Gewitters.
Bilder vom König blitzten auf. In dem einen Moment lebte er noch, dann lag er tot auf dem Boden. Danach kamen nur vereinzelte Bilder meiner Flucht aus dem Palast und von den Rittern, die mich verfolgten.
Das Klappern der Rüstungen in der Ferne ließ mich aus meinen Gedanken aufschrecken.
Sie sind schnell. Zu schnell.
Mir blieb nichts anderes übrig, als weiter zu laufen und auf das Beste zu hoffen, was auch immer das sein sollte.
Quälend langsam erhob ich mich. Mein Körper schmerzte, und meine Beine fühlten sich weich und schwach an. Doch ich musste weiter, ich hatte gar keine andere Wahl. Später hätte ich vielleicht mehr Zeit, mir darüber Gedanken zu machen, was passiert war, doch zuerst musste ich ein sicheres Versteck finden.
Nun war es von Vorteil, dass ich meine Rüstung nicht trug, denn so konnte ich mich besser durch den Sumpf bewegen als meine Verfolger, die es weitaus schwerer hatten mit ihren eisernen Rüstungen.
Gerade als ich anfing, mir einen Vorsprung zu erarbeiten, blieb ich wie angewurzelt stehen. Eine Person, gekleidet in eine schwarze Kutte mit tief ins Gesicht gezogener Kapuze, tauchte hinter einem Baum auf und stellte sich mir in den Weg.
Eiskalter Schrecken durchfuhr mich, als der Mann seinen Kopf hob.
„D-Das kann nicht sein! Das ist unmöglich!“, rief ich, vollkommen unfähig, mich zu bewegen.
Der Mann grinste und kam auf mich zu. Sein Blick ließ keinen Zweifel zu, dass dies nun mein Ende sein musste.