„Schau dir diese Köstlichkeit an. Und dann sage mir noch einmal, dass du sie nicht willst.“
Natürlich tat ich, was die Stimme in meinem Kopf mir sagte, und richtete meinen Blick auf den Muffin, der vor mir auf dem Tisch stand. Er wirkte so einsam und verlassen und wartete nur darauf, gegessen zu werden.
„Nein, ich darf nicht!“, rief ich der Stimme in meinem Kopf zum wiederholten Male zu. „Noch nicht.“
„Und warum nicht?“ Die Stimme schien in meinen Gedanken zu wandern, hatte immer die passenden Argumente, um meinen Willen zu schwächen. Sie waberte wie ein verführerischer Nebel von links nach rechts und wieder zurück, hallte nach und setzte sich in mir fest.
„Das weißt du genau“, fauchte ich zurück.
„Willst du diese Köstlichkeit wirklich so alleine dort stehen lassen?“
„Bis ich meine Geschichte fertig geschrieben habe, ja.“
„Aber das dauert noch so lange“, wisperte die Stimme mir zu, hauchte mir die Worte ins Ohr.
„Weil du mich ablenkst!“
Die Stimme lachte auf. „Nicht ich bin es, der dich ablenkt. Aber schau.“ Die Stimme machte eine kurze Pause. „Der Muffin ist noch warm. Na los. Nimm ihn schon in die Hand.“
Widerwillig gab ich der Verlockung ein wenig nach und streckte meine Hand dem Muffin entgegen. Meine Finger umschlossen das Papier, welches als Form für ihn diente, und spürten die angenehme Wärme, die der Muffin noch ausstrahlte. Langsam hob ich ihn an, und sofort wehte das süße Aroma dieser Delikatesse in meine Nase, machte mir den Mund wässrig und versprach meinem Gaumen eine Geschmacksexplosion.
Doch bevor ich diesem brennenden Verlangen, in den Muffin zu beißen, nachgab, stellte ich ihn wieder auf den Tisch.
„Nein. Ich darf nicht. Ich habe ein Ziel, und das will ich erreichen. Außerdem habe ich mir eh vorgenommen, auf das zu achten, was ich esse. Und jetzt wäre es für ihn zu früh.“
Erneut lachte die Stimme. Es war kein verhöhnendes Lachen, eher freundlich, verständlich, und doch hinterlistig und intrigant. „Deine Diät, ja. Aber weißt du, was macht es schon? Du kannst auch morgen mit der Diät anfangen. Gönn‘ ihn dir jetzt. Jetzt ist die richtige Zeit. Niemand wird es sehen.“
Während die Stimme sprach, musste ich an das alte Schaubild denken, in dem auf der einen Schulter der Engel und auf der anderen der Teufel sitzen. Doch gerade jetzt flüsterte mir der Teufel seine Verlockungen ins Ohr, doch der Engel? Er schweig, war nicht da. Konnte mir nicht helfen.
„Weil er eingesehen hat, dass niemand ewig widerstehen kann“, flüsterte die Stimme.
Und er hatte Recht. Mein Widerstand gegen die Verlockung bröckelte wie eine alte, verwaiste Mauer. Meine Hand näherte sich erneut dem Muffin.
Dann klingelte das Telefon.
Ich seufzte, erleichtert über diese Ablenkung und unerwartete Hilfe.
Mein innerer Schweinehund jaulte gequält auf und verflüchtigte sich.
Für den jetzigen Zeitpunkt war er besiegt.
Aber er würde wiederkommen.
Schon bald.