Seufzend lehnte James sich in dem Stuhl zurück. Gedankenverloren spielte er mit dem Glas auf dem Tisch, in dem noch ein letzter Schluck Whiskey schwamm, und nur am Rande drang die leise Musik an sein Ohr, die für ein bisschen Hintergrundrauschen in der Bar sorgen sollte.
Wie er es gewohnt war, hörte er unauffällig den anderen Gästen bei ihren Gesprächen zu. Er bemerkte dabei immer wieder, dass er diese Menschen um ihr einfaches Leben beneidete, obwohl diese Leute gar nicht wussten, dass ihr Leben einfach war. Doch in Gegensatz zu seinem war es das.
Dann kreisten seine Gedanken um den Vortrag, den er heute gehalten hatte. Ein wenig musste er grinsen, als er den Zuhörern sagte, dass weder Russland oder China die größte Gefahr für die Welt waren, sondern Venezuela. Aber vor ein paar Jahren hatte er noch genau so erstaunt geschaut, als man ihm das erzählt hatte.
James griff sich sein Glas und kippte den letzten Schluck Whiskey herunter. Dabei schloss er die Augen und genoss einfach den Moment.
Heute hatte er Geburtstag, natürlich sollte er sich heute Frei nehmen und einfach den Tag genießen. Aber mit wem? Er hatte ja niemanden. Aus gutem Grund, denn seine Arbeit war gefährlich, und er konnte es sich nicht erlauben, andere oder sich selbst mit festen Bindungen in Gefahr zu bringen.
Dabei konnte er nicht leugnen, dass er gerne eine Familie gehabt hätte.
Er wollte gerade seine Hand heben und einen weiteren Whiskey bestellen, als er im Augenwinkel bemerkte, wie eine ihm vertraute Person die Bar betrat. Winkend hob er die Hand, um die Person auf sich aufmerksam zu machen, die auch gezielt auf seinen Tisch zusteuerte.
James stand auf und reichte dem kräftigen Mann mit den leicht angegrauten Haaren die Hand zu einem kräftigen Händedruck.
„Senator.“
„James. Der beste Mitarbeiter, den sich das Außendienstministerium in Langley nur wünschen kann“, antwortete der Senator und zog ihn dann leise lachend in eine kurze, freundschaftliche Umarmung. „Und hör endlich auf, mich Senator zu nennen. Du weißt, dass ich mich dann so alt fühle.“
„Ist gut, Tom, ist gut.“ James fiel mit in das Lachen ein, während beide sich setzten.
Tom hob die Hand und bestellte nun für sich und James einen weiteren Whiskey, dann seufzte er. Auf James machte er den Eindruck, als wäre er erschöpft.
„Wie geht es dir, James?“
„Gut“, antwortete James kurz und zuckte dann mit den Schultern. „Ich schlag mich durch‘s Leben. Du weißt ja, ich bin mal hier und mal da. Nichts Außergewöhnliches.“
„Oh, das würde ich so nicht sagen. Du kannst es zwar nicht offen zugeben, aber jeder von den anderen Gästen hier ist jemandem wie dir dankbar für alles, was du für unser Land tust.“
„Ich bin nur ein ganz normaler Beamter im Außendienstministerium“, wiegelte er ab. Jedoch wusste er, worauf Tom hinaus wollte.
Tom lachte kurz hart auf. „Du wirst dich auch nie ändern. Selbst als wir zusammen gedient haben, hast du jedes Lob – welches dir berechtigt zustand muss ich dazu sagen – immer wieder abgelehnt.“ Tom kramte dabei in seinem Aktenkoffer, den er mitgebracht hatte, und holte dann einen großen Umschlag heraus. „Wie dem auch sei, herzlichen Glückwunsch zum Geburtstag, James.“
James beugte sich vor, nahm den Umschlag entgegen und besah ihn sich. „Sind das die Akten, die ich angefordert hatte?“
„Alles, was ich finden konnte jedenfalls. Bist du dir sicher, dass du das machen willst? Du musst weder dir noch jemand anderem etwas beweisen. Und die Sachlage ist auch nicht ganz klar. Venezuela ist ein heißes Pflaster, und wenn wir nicht aufpassen und auch nur den winzigsten Fehler begehen, kann das wirklich große Konsequenzen für uns alle nach sich ziehen.“
„Ich weiß. Aber das ist mir wichtig. Bisher wollte mir das niemand glauben, aber wenn ich diese Daten zurückverfolgen kann, kann ich auch beweisen, dass von dort aus illegale Waffen ins Ausland geschmuggelt werden.“ Dann zögerte er kurz. „Bist du extra deswegen hier vorbei gekommen?“
„Deshalb. Und weil ich nicht zulassen kann, dass ein guter Freund sich am Abend seines Geburtstags allein Hals über Kopf in Arbeit stürzt und dabei vergisst, dass er sich auch mal etwas Ruhe gönnen sollte. Und deshalb werden wir jetzt hier sitzen und uns über die guten, alten Zeiten unterhalten, verstanden?“
„Aber natürlich, Senator“, antwortete James und grinste dabei verschmitzt.
James und Tom saßen bereits zwei Stunden in der Bar und hatten einen entspannten Abend. Dann klingelte Toms Handy, der genervt auf das Display schaute.
„Da muss ich kurz ran gehen. Warte einen Moment.“
James beobachtete, wie Tom aufstand und kurz in eine ruhigere Ecke der Bar verschwand. Al er wiederkam, merkte James sofort, dass etwas nicht stimmte.
„Was ist los?“, fragte er Tom, dessen alarmierter Gesichtsausdruck nichts Gutes heißen konnte.
„Das war mein Nachbar. Er sagte, dass etwas mit meiner Frau wäre. Ich muss sofort nach Hause. Tut mir leid.“
„Ich komme mit.“
„Bist du dir sicher?“
James aber packte bereits seine Sachen zusammen. „Wenn ich irgendwo helfen kann, dann will ich das auch machen. Und ich kenne Anna schon sehr lange.“
„Gut. In Ordnung. Dann komm.“
Zusammen stiegen sie in Toms Wagen. James war glücklicherweise mit dem Taxi gekommen, sodass er seinen Wagen nicht unbeaufsichtigt herumstehen lassen musste.
„Danke, dass du mitkommst.“ Toms Stimme zitterte leicht, aber ihm war die Erleichterung anzumerken.
„Natürlich, für mich ist das selbstverständlich. Hoffen wir einfach, dass es nichts Schlimmes ist.“
„Ich weiß nicht. Mein Nachbar klang schon ziemlich besorgt, aber er konnte mir auch nichts Genaues sagen.“
„Wenn wir ankommen werden wir es ja sehen. Schwarzmalen bringt uns jetzt auch nicht weiter.“
Nach einer halben Stunde, die beide schweigend miteinander verbracht hatten, da jeder seinen eigenen Gedanken nachging, kamen sie bei Toms Haus an. Tom parkte direkt vor der Tür.
„Ich gehe vor“, sagte er, während er schon ausstieg und James damit alleine beim Wagen zurückließ.
„Nicht so schnell!“ James stieg hastig aus, um seinem Freund zu folgen, welcher bereits im Haus verschwunden war.
Glücklicherweise hatte er die Tür aufgelassen. James betrat das Haus seines Freundes. Es war stockdunkel und er konnte die Hand kaum vor Augen sehen.
„Tom?“, rief er in das Haus hinein.
„Hier! Komm schnell!“
James folgte der Stimme, und die Dringlichkeit darin alarmierte ihn. Sofort machte er sich Sorgen, was alles passiert sein könnte.
Gerade, als er die Küche betrat, schaltete sich plötzlich das Licht an. James kniff die Augen zusammen, geblendet vom plötzlichen Aufblitzen des Lichts.
„Überraschung!“, hörte er mehrere Leute rufen. Er blinzelte, und als seine Augen sich an das Licht gewöhnten, sah er Tom neben seiner Frau Anna stehen, der es mehr als nur gut zu gehen schien. Über der Theke war ein „Happy Birthday, James!“-Banner angebracht. Auf der Theke standen ein kleiner Kuchen sowie Sekt mit den dazugehörigen Gläsern.
„W-Was...“ stammelte James, der völlig überrascht in der Küche seines Freundes stand, da wurde ihm von Anna auch schon ein Sektglas in die Hand gedrückt, dazu bekam er gleich noch eine Umarmung.
„Wir wussten, dass du heute in Arbeit versinken würdest, wenn dich keiner davon abhält“, sagte Tom und stellte sich neben, um ihm auf die Schulter zu klopfen. „Also haben Anna und ich beschlossen, dich heute halt dazu zu zwingen, Spaß zu haben!“
„Also das war alles inszeniert?“
„Irgendwie mussten wir dich ja herlocken, oder?“, fragte Anna mit einem wissenden Grinsen. „Und Tom hatte dann diesen Einfall.“
James wusste nicht, was er darauf antworten sollte. Er mochte solche Überraschungen nicht. Und er war sauer darüber, dass seine Hilfsbereitschaft für solch einen Spaß ausgenutzt worden war. Doch trotzdem wusste er, dass die beiden es nur gut meinten. Zudem war ihm selbst klar, dass er alleine versauerte und nur in Arbeit versinken würde. Und wenn er schon mal die Möglichkeit hatte, den Kopf frei zu bekommen, dann sollte er sie auch nutzen.
„Also gut, da habt ihr mich echt gut dran gekriegt“, sagte er. „Und wenn ich schon mal da bin, dann kann ich wohl auch noch ein bisschen bleiben.“
Und so wurde aus einem Abend in der Bar eine kleine Feier mit seinen besten Freunden, die James auf keinen Fall in seinem Leben missen wollte.