„Hast du jetzt einen Plan für mich?“, dränge Ryan seinen Gesprächspartner, während er sich eilig zwischen den Passanten hindurchschob. Ein schneller Blick über die Schulter verriet ihm, dass seine Verfolger ihm dich auf den Fersen waren. „Langsam wird es eng.“
„Ich arbeite ja schon dran. Lauf einfach weiter.“
Einfach ist gut.
Ryan schüttelte den Kopf und lief weiter möglichst unauffällig die Straße entlang. Obwohl es Nacht war, waren viele Passanten unterwegs, die ihm den Weg blockierten und so eine schnelle Flucht unmöglich machten. Regen prasselte von oben auf die Menschen und Straßen hinab. Das Wasser bildete Pfützen auf dem Boden, in welchen sich die gesenkten Antlitze der Menschen spiegelten. Niemand von ihnen ahnte, dass Ryan gerade um sein Leben kämpfte.
Während Ryan versuchte, den Leuten aus dem Weg zu gehen und keine Aufmerksamkeit zu erregen, lag seine rechte Hand unter seinem Mantel auf dem Griff der Pistole. Noch verhielten sich seine Verfolger ruhig, doch das konnte sich jederzeit ändern.
Die werden ihr Paket auf alle Fälle wiederhaben wollen.
Mit der freien Hand zog er den Mantel enger um sich. Das Regenwasser lief ihm über seinen Kopf in sein Gesicht und erschwerte ihm zusätzlich die Sicht, während die grellen Spiegelungen der Straßenlichter auf dem nassen Boden ihr übriges dazutaten.
Dabei hätte das alles viel einfacher sein sollen.
„Was ist überhaupt in diesem Paket“, flüsterte er und griff sich mit der freien Hand an die Brust. In der Innentasche seines Mantels befand sich das kleine, unscheinbare Paket, dessen Konturen er unter seinen Fingern spüren konnte.
„Das erkläre ich dir später“, kam die wie immer gelassene Antwort seines Partners.
„Ein Später gibt es vielleicht nicht mehr, wenn du mir nicht hier raus hilfst!“ Erneut warf er einen prüfenden Blick über seine Schulter. Seine zwei Verfolger kamen ihm von Sekunde zu Sekunde näher, unterließen es aber wie Ryan auch, Aufmerksamkeit zu erregen.
„Vertrau mir einfach. Habe ich dich je im Stich gelassen?“
„Das war hoffentlich eine rhetorische Frage.“
Ein kurzer Moment der Unachtsamkeit ließ Ryan mit einer Frau zusammenstoßen. Schnell murmelte er eine Entschuldigung, hielt aber den Kopf gesenkt und setzte seinen Weg fort. Getuschel und einige Beschimpfungen verfolgten ihn kurz, doch er hatte keine Zeit, auf die Menschen um sich herum Rücksicht zu nehmen. Nur durch diesen kurzen Zusammenstoß hatten seine Verfolger wieder ein paar Meter Abstand wettgemacht.
„Für das, was du vorhast, wirst du es brauchen“, sagte sein Partner plötzlich.
„Was soll das schon wieder heißen?“ Ryan spürte Ärger in sich aufkeimen. Sein Partner verstand anscheinend nicht, in was für einer Lage er sich gerade befand.
„Das Paket. Besser gesagt dessen Inhalt. Du wirst ihn brauchen. Alles weitere muss – wie gesagt – bis später warten.“
„Scheiße“, fluchte Ryan leise, als er sah, wie am anderen Ende der Straße ein Van hielt. Die Türen öffneten sich und vier weitere Verfolger stiegen aus, die sich ihm nun langsam von vorne näherten. Er sah, wie einer von ihnen in den Ärmel seiner Jacke sprach.
Sicherlich spricht er gerade über Funk mit den Kerlen hinter mir.
Plötzlich knallte es laut hinter ihm und Ryan ging sofort in die Hocke.
Die Passanten um ihn herum gerieten in Panik. Er hörte, wie einige Leute riefen, dass jemand eine Waffe habe. Wie aufgescheuchte Hühner liefen die Menschen in Panik durcheinander und suchten hinter Ständen und Aufstellern Schutz.
Das war es wohl mit der Heimlichkeit.
Ryan zog nun ebenfalls seine Waffe. Schnell prüfte er seine Lage. Die zwei Männer, die ihn schon die ganze Zeit verfolgt hatten, waren ebenfalls in Deckung gegangen, und auch die vier neuen Verfolger teilten sich nun auf. Ryan war zwischen seinen Verfolgern gefangen, die ihn nun mit Waffengewalt aufhalten wollten.
„Rück das Paket raus!“, rief einer er Männer hinter ihm. „Dann lassen wir dich laufen!“
Glaubt der echt, ich würde darauf reinfallen?
„Ich hab eine andere Idee“, antwortete Ryan in einem sarkastischen Ton. „Du und deine Affenbande, ihr verzieht euch und lasst mich einfach so gehen!“
Damit hatte Ryan wohl einen Nerv getroffen, denn als Antwort trafen die ersten Kugeln den Brunnen, hinter dem er in Deckung gegangen war.
„Ich mach dich platt, du scheiß Wichser!“, schrie Ryans Verfolger wutentbrannt.
Was ein launisches Kerlchen, dachte Ryan, während er über den Brunnen spähte und selbst ein paar Schüsse in Richtung der Verfolger abgab.
„Ich hab einen Weg für dich!“, meldete sich sein Partner plötzlich. „Du müsstest eine Gasse sehen, zirka zweihundert Meter vor dir!“
„Wird aber auch Zeit!“ Ryan schaute nach vorne und suchte die Gasse. Gleichzeitig sah er die vier anderen Verfolger, die sich immer weiter näherten. Bald hätten sie ihn erreicht. „Ja, ich sehe die Gasse!“
„Mach, dass du da hinkommst!“
Ryan duckte sich hinter den Brunnen. Seine Verfolger beschossen ihn weiter, hielten ihn in Schach, damit die anderen Männer Zeit hatten, sich ihm zu nähern.
Schließlich entdeckte er eine Möglichkeit, sich aus der Zwickmühle zu befreien.
Hoffentlich geht das gut.
Schnell gab er ein paar Schüsse ab, um seine Gegner in Deckung zu zwingen, dann rollte er sich über den rutschigen Boden hinter einen Eisstand. Mit einem groben Schlag löste er die Bremse des Eiswagens und lief geduckt über die Straße. Kugeln prasselten auf seine Deckung ein, rissen Löcher in das dünne Blech und ließen das Eis hinauslaufen. Als er auf der anderen Straßenseite ankam, hechtete er aus seiner Deckung und schoss nach hinten, während er rannte und schließlich in der Gasse verschwand. Ohne ein festes Ziel lief er weiter die Seitenstraße entlang.
„Wohin jetzt?“
„Irgendwo vor dir müsste ein Hintereingang in ein Restaurant führen. Dort musst du rein.“
„Geht das auch genauer, verdammt?“, rief er gehetzt und sah sich in der Gasse um. Schließlich entdeckte er die Metalltür und fluchte erneut. Sie war verschlossen.
Er wandte er den Kopf zur Seite und hielt schützend einen Arm vor sein Gesicht. Nach zwei Treffern aus seiner Pistole war das Schloss zerstört. Gerade noch rechtzeitig verschwand er in den Eingang, denn aus dem Augenwinkel sah er, wie ein weiterer Van neue Männer brachte, die durch die Gasse auf ihn zustürmten. Kugeln prasselten auf die Tür ein, doch das starke Metall hielt den Einschlägen gerade so stand.
Ohne nachzudenken hetzte er durch die Küche und in den Gastraum des Restaurants und brach gerade mit einem gezielten Sprung durch eines der Fenster, als ihn die Druckwelle einer Explosion von hinten erwischte und ihn quer über die Straße schleuderte. Während Ryan ohne Kontrolle über die Straße rollte, sah er Autos nur knapp an sich vorbeifahren, wild hupend und den Trümmern ausweichend, die ihm folgten.
Er spürte, wie er langsam das Bewusstsein verlor. Schwarze Schlieren zogen an seinen Augen vorbei. Sein Körper war taub und steif, als wäre er gefroren.
Mit aller Kraft kämpfte er gegen den Schock an, der seinen Körper in diese Starre hatte verfallen lassen. Nur am Rande bekam er mit, wie ein signalroter Van neben ihm hielt. Die Hintertür wurde geöffnet, zwei starke Hände packten ihn am Kragen und zogen ihn in das Innere des Fahrzeugs.
Keuchend und mit einem reißenden Schmerz in seiner linken Seite schaute Ryan auf und sah in das Gesicht seines Partners, der ihn erst besorgt anschaute. Doch als er sah, dass Ryan noch lebte, klarte seine Miene auf.
„Das war ein wilder Ritt, was?“
„Fuck, wegen deiner kleinen Ablenkung hab ich mir eine Rippe gebrochen. Mindestens eine.“ Vorsichtig griff er an seine Seite und zuckte zusammen, als ein stechender Schmerz ihn durchfuhr.
„Zum Glück war es nur eine Rippe.“ Ryans Partner zuckte mit den Schultern und schwang sich hinter das Steuer des Vans. Dann setzte sich das Fahrzeug in Bewegung.
Mit einer Hand holte Ryan das Paket aus der Innentasche seines Mantels und bemerkte dabei, wie stark er zitterte.
Werde ich langsam zu alt für den Mist?
Das Paket war, soweit er sehen konnte, wie durch ein Wunder unversehrt.
Was auch immer da drin ist, ich hoffe, es war den ganzen Ärger wert.