Wieder erwartet dich nun eine etwas andere Geschichte als du es eventuell von mir gewohnt bist. Das Thema „Katzen“ geht mir gerade sehr nahe. Ich liebe Katzen wirklich, doch leider musste ich meine kleine Sina vor ein paar Tagen einschläfern lassen.
Sie hatte Demenz, wovon wir bis zuletzt leider nichts wussten. Die Situation mit Tierärzten hier in der Nähe ist sowieso eine Qual, daher gab es nie eine richtige Möglichkeit, sie auf Herzen und Nieren checken zu lassen.
Das alles fing vor wohl etwas mehr als einem Jahr an, als sie blind wurde. Das Merkwürdige daran war jedoch, dass die Augen nicht getrübt, sondern wirklich noch klar waren. Doch daran hatte sie sich wunderbar gewöhnt, ging sogar weiterhin nach draußen. Und wenn man sie dort so hat rumlaufen sehen, hat nie jemand vermutet, dass sie tatsächlich blind war.
Unsere Bestürzung darüber war wohl tatsächlich größer als ihre eigene. Klar, Katzen, oder eher Tiere allgemein, denken ja anders. Aber ich denke, du verstehst, was ich meine.
Doch mit der Zeit wurde es merkwürdiger. Sie miaute viel mehr als vorher und kurz vor Silvester 2019 verschwand sie plötzlich für 1,5 Tage spurlos. Wir haben sie gesucht, aber leider kein Glück gehabt. Glücklicherweise hatte jemand sie gesehen und ein Bild auf Facebook gepostet. So haben wir erfahren, dass sie eine Straße weiter saß. Gott, was waren wir froh, dass wir sie wiederhatten. Ich meine, falls du eine Katze hast, kennst du das vielleicht. Wenn man sie sucht, sind die beinahe unauffindbar, wenn sie nicht gefunden werden wollen. Meine war dazu auch noch blind und nicht in Hörreichweite.
Doch das Miauen, von dem ich eben schon berichtete, wurde danach nur schlimmer. Es war kein leises Miauen mehr, sondern ein richtiges Schreien. Wir dachten natürlich, dass das mit dem Erlebnis zusammenhängen würde, dass sie sich verlaufen hatte. Und dass das Nachwirkungen wären. Doch damit lagen wir komplett falsch.
Zuerst ließ sie sich noch beruhigen, indem wir sie streichelten und auf sie einredeten, ganz leise und behutsam. So wusste sie, dass sie nicht alleine war. Sie fraß normal, schnurrte, kuschelte und machte alles mit. Nur raus ging sie kaum noch. Dazu muss ich sagen, dass wir uns dazu entschieden hatte, sie auch nicht mehr komplett raus zu lassen, sondern nur auf den Balkon. Dort stand seit langer Zeit ein Karton, in den wir ein Kissen gelegt hatten. Dort lag sie während der heißen Sommertage gerne, oder nachts, wenn sie wieder von ihrer Tour nach Hause kam. Sie hat sich darin immer wohl gefühlt. Doch auch in den wollte sie nach den Tagen, in denen sie verschwunden war, nicht mehr rein.
Und dann kam schließlich der schlimmste Tag von allen, denn in der Nacht muss sich bei ihr ein Schalter umgelegt haben, der ihr alle Erinnerungen genommen hat.
Sie schrie so laut sie konnte und ließ sich nicht mehr beruhigen. Egal, was wir gemacht haben, sie hat darauf gar nicht mehr reagiert. Auch die Wege, die ihr so bekannt waren, hat sie plötzlich nicht mehr gefunden. Wenn wir sie gestreichelt haben um sie zu beruhigen, wirkte es, als würde sie das gar nicht mehr spüren.
Irgendwo war uns an dem Morgen schon bewusst, dass das vielleicht der letzte Tag mit unserer Katze sein würde.
Ach ja, wenn ich sage „uns“, meine ich damit meine Eltern und mich, da ich zuhause wohne.
Mein Vater hatte dann den „Roll Doc“ angerufen. Hinter dem Namen verbirgt sich eine Tierärztin, die mobil unterwegs ist und relativ neu in der Umgebung. Nachdem sie sich angehört hatte, was so das Problem ist, hatte sie sofort gesagt, dass sich das nach schwerer Demenz anhört.
Währenddessen bin ich den ganzen Tag über an ihrer Seite gewesen. Dabei hat mir der Anblick beinahe das Herz zerrissen. Sie lief immer mit dem Kopf gegen die Wände, aber da sie nicht wusste, gegen was sie da lief, hat sie immer fester gedrückt und mit dem Kopf an der Wand gerieben. Ebenso wollte sie in jede kleine Lücke rein. Wir gehen davon aus, dass sie einen Platz gesucht hat, an dem sie sich verkriechen konnte, so wie Katzen es immer tun, wenn sie wissen, dass es mit ihnen zuende geht. Glücklicherweise hatte sie sich dann irgendwann hingelegt und noch etwas geschlafen. Als sie dann wieder aufwachte, hatte sie vergessen, wie man läuft. Sie ging ein paar Schritte und fiel danach einfach um. Auch das Miauen klang nicht mehr normal sondern nur gequält.
Die Tierärztin hatte gesagt, dass man zwar Tabletten dagegen geben könnte, doch bei dem Fortschritt der Krankheit, wie unsere Katze den zeigte, würden die Erfolgschancen bei unter 10% liegen. Außerdem würden die Tabletten selbst auch noch Nebenwirkungen bringen.
Zum Wohl unserer Katze haben wir uns dann dazu entschlossen, sie zu erlösen. So stand der Termin für 16:30 Uhr. Da war es gerade mal 12 Uhr.
Also habe ich mich den Großteil der Zeit um sie gekümmert, war ständig bei ihr und habe auf sie aufgepasst, damit sie sich am Ende nicht selbst noch verletzt.
Das waren die schlimmsten 4 Stunden, die ich seit langer Zeit erlebt habe. Ich war wie aufgelöst und konnte gar nicht mehr richtig denken. Mir ging nur im Kopf rum, wie leid mir das alles tat. Und dass die kleine Katze gar nicht wusste, was da auf sie zukommen würde. Die Zeit habe ich auch genutzt, um mich von ihr zu verabschieden. Habe leise mit ihr gesprochen und ihr versprochen, dass ich sie niemals vergessen würde. Und obwohl sie einfach nur in einer Ecke stand und den Kopf gegen die Wand drückte, sie dabei aber kaum bewegte, hatte ich das Gefühl, dass sie mir zuhören würde.
Innerlich hatte ich mir schon geschworen, dass ich gar nicht dabei sein konnte, wenn sie später die Spritzen bekommen würde. Aber es kam ganz anders.
Denn als der Arzt dann um 16:30 Uhr pünktlich bei uns ankam (es war nicht der Roll Doc, weil diese keine Zeit hatte und erst am nächsten Tag hätte kommen können) bin ich bei ihr geblieben. Zu diesem Zeitpunkt war sie vollkommen phlegmatisch, lethargisch schon eher. Ich saß bei ihr und habe sie die ganze Zeit gestreichelt, obwohl sie kaum noch eine Regung gezeigt hat. Kein Wunder, sie wusste ja schließlich nicht mehr, wer ich bin, oder was gerade passierte.
Als der Arzt dann die Spritzen rausholte, wäre die Zeit gewesen um aufzustehen und zu gehen, wie ich es vorhatte.
Doch als ich diese Spritzen gesehen habe, war mir klar, dass ich bei ihr bleiben musste. Ich wollte nicht, dass das letzte, was sie spüren würde, der Einstich der Nadel wäre. Also saß ich weiterhin bei ihr und habe sie gestreichelt. Auch, als sie bereits eingeschlafen war, habe ich sie gestreichelt, immer und immer weiter, während ich dabei vergebens versucht habe, tapfer zu bleiben. Das ist mir natürlich gar nicht gelungen, ich habe geweint ohne Ende, selbst, als ich sie so ruhig und friedlich dort habe liegen sehen. Das letzte, was ich von ihr in der Hand hielt, war ihre flauschige Pfote, über die ihr zum Abschied nochmal gestrichen hatte. Dann hat der Arzt sie mitgenommen.
Ich wusste einfach nur, dass sie dieses Ende nicht verdient hatte. Wir haben sie aus dem Tierheim geholt vor 5 Jahren. Dort hatte man uns erzählt, dass sie ziemlich misshandelt worden sein musste, und dass sie verwildert aufgefunden wurde. Sie war sofort anhänglich, und ich habe sie direkt in mein Herz geschlossen. Denn kurz davor haben wir schon eine Katze ganz plötzlich verloren, die wir 8 Jahre lang in unserer Familie hatten.
Also haben wir uns entschieden, ihr ein schönes Zuhause zu geben. Und sie hatte sich so wohl gefühlt bei uns.
Deshalb wusste ich, dass sie ich auch in den letzten Momenten ihres Lebens einfach begleiten musste. Es wäre nicht fair gewesen, in dem Moment zu gehen und sie alleine zu lassen. Und jetzt hoffe ich einfach, dass zumindest ihre Seele den Frieden gefunden hat, den sie zu ihrer Lebenszeit nicht komplett hatte finden dürfen.