Egal wie sehr sich Damian auch anstrengte nicht aufzufallen, es war eine vergebliche Liebesmüh. Seine Mitschüler ließen dennoch nicht von ihm ab und riefen weitere Beleidigungen hinter ihm her, die sich tief in seinem Inneren verankerten und die positiven Seiten des Lebens verdrängten. Zurück blieb eine für Damian unerträgliche Schwärze, die ihn mehr und mehr einzunehmen schien.
»Schwuchtel!«, »Schwanzlutscher«, »Homo«, hallten die verachtenden Worte in seinen Ohren wider und schienen ihn dabei tiefer zu treffen, als er sich selbst einzugestehen vermochte.
Seit über eine Woche musste er sich täglich in der Schule damit auseinandersetzen und versuchen, nicht noch weiter in diese Schwärze abzudriften. Hätte er doch nur besser aufgepasst, als er mit seinem Freund Leon in der Stadt gewesen war. Der flüchtige Kuss, den er ihm in der menschenleeren Seitengasse gegeben hatte, musste von einem seiner Mitschüler beobachtet geworden sein.
»Hey, alles gut?«, riss ihn die Stimme seiner Freundin Larissa aus den Gedanken und er sah auf. Ihre Mimik spiegelte Unsicherheit wider, während sie fragend eine Augenbraue nach oben zog.
»Bestens.« Er blieb regungslos auf der von der Feuchtigkeit morschen Bank sitzen. Eigentlich war ihm nicht danach, irgendwelche Gespräche zu führen. Zumal er Larissa seit dem Vorfall versuchte zu meiden, wie jeden anderen auch, um alleine zu sein.
»Wenn du jetzt noch die Zähne fletschen würdest, hättest du die Hauptrolle in irgend so einem Psychofilm.« Ihre Worte klangen für Damian weniger amüsant als sie es eigentlich sagte. Das Ächzen des Holzes, als sie sich neben ihn setzte, ließ ihn zusammenzucken. Für ihn klang es wie seine eigene Seele, die nach und nach zerbrach, bis irgendwann das Gerüst wie ein Kartenhaus in sich zusammenfiel.
»Was willst du?« Die Worte kamen ihm schneller über die Lippen als er wollte. Sie hatte ihm nichts getan, dennoch wollte er kein Mitleid der anderen erfahren und über sich ergehen lassen.
»Damian«, sagte sie und stieß den Atem geräuschvoll aus. »Hör’ mal, was die anderen sagen, ist nicht richtig.« Sie rutschte näher an ihn heran und im nächsten Moment legte sich ihr Arm um seine Schultern. »Kannst du mich bitte ansehen, wenn ich mit dir spreche?«
Damian suchte ihren Blick und ließ die Schultern hängen. »Sorry, das war eben nicht so gemeint. Ich will mich einfach nur verkriechen und niemanden sehen.«
»Schon gut. Muss schlimm sein für dich, aber hör’ nicht auf die, ja? Die haben alle keine Ahnung, was Liebe ist. Das sind alles hirnlose Affen.«
Seufzend ließ Damian seinen Kopf hängen. Seine Freundin hatte eigentlich recht, aber warum fühlte sich das alles dann so verflucht mies an? Er war ein Mensch wie alle anderen auch, nur ließen ihn seine Mitschüler fühlen, dass es falsch war, einen anderen Jungen zu lieben. »Ich weiß. Aber es hört nicht auf und Maik hat mir mit seiner Clique schon Sachen angedroht, an die ich gar nicht denken möchte. Ich habe eine Scheißangst und es wird von Tag zu Tag schlimmer, verstehst du? Ich weiß nicht mehr, was ich machen soll. Sie wissen es alle und ich meine wirklich alle. Selbst die aus den Unterstufen kommen in den Pausen hierher, um mir ihren Scheiß an den Kopf zu werfen. Lari, ich kann das nicht mehr.«
»Ach Mann«, sagte Larissa niedergeschlagen und zog Damian an ihre Brust. »Wir schaffen das. Du hast mich, Paula, Dennis und die anderen. Die stehen alle hinter dir und würden dir auch helfen, wenn du sie nur ließest. Wenn du dich weiterhin zurückziehst, wird es dadurch nicht besser werden und sie machen sich alle Sorgen um dich. Lass uns mit dem Vertrauenslehrer sprechen, der kann bestimmt was machen, und dann wird sich das alles schon regeln, hm?«
»Ich weiß nicht. Was ist, wenn die das dann als Anlass nehmen mich richtig fertigzumachen? Ich bin seit letzter Woche nicht mehr draußen gewesen. Selbst Leon habe ich ignoriert. Ich weiß noch nicht einmal, wie es bei ihm an der Schule ist. Ich bin ein schlechter Freund …« Zu seinen Bedenken kam das schlechte Gewissen hinzu, das ihn innerlich zu zerreißen schien, je länger er sich bei Leon nicht meldete. Er hatte gehofft, dass durch das Meiden seines Freundes, keine weiteren Aufhänger an der Schule entstehen würden, jedoch waren seine Mitschüler kreativ genug, sich jeden Tag weitere Sprüche einfallen zu lassen.
»Hör’ auf, sowas zu sagen. Du bist kein schlechter Freund. Aber du könntest dich ruhig bei ihm melden. Meinst du, ihm geht es momentan gut? Er macht sich Sorgen und fühlt sich schuldig. Lass ihn das bitte nicht glauben und rede mit ihm. Er liebt dich und er wird dir helfen, wo es nur geht. Komm, steh’ auf, bevor du hier noch festwächst.« Sie stand auf und rieb sich über den Stoff ihrer Jeans. »Toll, jetzt hab’ ich ’nen nassen Hintern. Jetzt steh’ auf, oder ich schleife dich mit zu den anderen. Wird’s bald?«
Tief Luft holend erhob sich Damian von der Bank. »Tut mir leid, dass ich momentan so schwierig bin.« Er schlang seine Arme um Larissa, so, als würde er sich wie ein Ertrinkender an eine Boje klammern. »Macht er sich wirklich Sorgen?«
»Ja, das tut er. Jeden Tag meldet er sich bei mir und fragt, wie es dir geht und was du machst. Und schau mal«, sie deutete mit dem Kopf in Richtung der Turnhalle; Damian folgte ihrem Blick, »er wartet auf dich. Geh’ zu ihm und ich kümmer’ mich um die Affen. Einverstanden?« Sie wartete erst gar keine Antwort ihres Freundes ab und schlug ihm spielend auf den Po. »Hopp, hopp, geh schon. Ich geh’ rein und sage dem Lehrer, dass dir schlecht geworden ist und du nach Hause gegangen bist. Klar?«
»Danke«, sagte Damian und löste sich aus der Umarmung. »Danke, dass es dich gibt.« Er gab Larissa einen Kuss auf die Wange und wandte sich von ihr ab. Zum Schultor laufend hob er den Kopf und fixierte Leon, der händeknetend vor dem Ausgang auf und ab lief, bis er Damian erkannte und verharrte.
»Damian«, sagte dieser so laut, dass es auf dem Gelände echote. »Mann, da bist du ja endlich.«
»Hi.« Damian ließ sich von Leon in eine feste Umarmung ziehen.
»Weißt du eigentlich, was ich mir für Sorgen gemacht habe? Keine Antwort auf meine Nachrichten, keine Anrufe und selbst deine Mutter hat mich abgewimmelt.«
»Es tut mir leid, wirklich.« Schuldbewusst schloss Damian die Augen und drehte den Kopf zur Seite. »Ich wollte niemanden sehen.«
»Ja, das habe ich gemerkt. Komm’, wir gehen zu mir und dann erzählst du mir alles. Lari meinte, die gesamte Schule wüsste von uns und macht Theater, stimmt das?«
»Danke, dass du mich daran erinnerst. Ja, es stimmt.«
»Oh Mann, solche Arschlöcher«, murrte Leon und löste sich von ihm. »Hey, Kopf hoch, wir schaffen das, okay? Mann, ich würde dich jetzt gerne zu Tode küssen, nur damit du wieder lachst.«
Da war Damian sich sicher, dass sein Freund das auch in die Tat umsetzen würde. Er rang sich ein Lächeln ab und sah Leon in die Augen. »Was hält dich auf? Es wissen doch eh schon alle.« Er spitzte die Lippen und wartete auf eine Erwiderung.
»Bist du sicher?«
»Jetzt mach’ schon, bevor ich ’nen Krampf kriege.«
Das schien sich Leon nicht zweimal sagen zu lassen. Stürmisch legte er seine Lippen auf Damians und drückte ihn an sich. »Ich hab’ dich so vermisst«, sagte er zwischen seinen Küssen und sog darauf tief die Luft ein. »So sehr.«
»Ich dich doch au…« Weiter kam Damian nicht, weil sein Freund den Kuss augenblicklich vertiefte und ihm jegliche Möglichkeit damit nahm, noch etwas zu sagen. Ja, er hatte Leon auch vermisst, das wurde ihm schlagartig mit jedem weiteren Kuss bewusster. »Lass uns endlich von hier verschwinden.«
»Seh’ ich genauso. Komm’«, sagte Leon.
Die ersten Schritte liefen sie noch nebeneinander her, bis Damian sich einen Ruck gab und die Hand seines Freundes in seine nahm. »Guck nicht so. Jeder weiß es, also was soll ich mich weiter verstecken? Bringt eh nichts mehr.«
»Wenn es für dich okay ist, dann ist es für mich auch okay. Ich liebe dich, das wollte ich dir die ganz Zeit schon sagen.«
»Dann sag es nochmal«, forderte Damian und sein Lächeln wurde breiter, als sein Freund es immer und immer wieder sagte, zum Schluss sogar laut in die Welt rief. Damian war sich sicher, dass der heutige Tag vielleicht nicht alle Sorgen auf einmal verschwinden ließe, aber mit ein wenig Zeit und Unterstützung seiner Freunde sowie der Hilfe seiner Lehrer, würde es bald wieder bergauf gehen. Und darauf freute er sich, mit Leon an seiner Seite.
ENDE