Denise kam langsam zu sich. Irgendwo hinter ihrem Rücken vernahm sie ein regelmäßiges Wassertropfen. Wo bin ich, fragte sie sich und versuchte die bleischweren Augenlider zu öffnen. Als ihr das nicht gelang, wollte sie ihre Hand zur Hilfe nehmen, doch auch diese ließ sich nicht bewegen. Irgendetwas schien sie daran zu hindern. Sie fühlte sich müde und ausgelaugt, als hätte sie ewig nicht geschlafen. Plötzlich hörte sie weit entfernt eine Tür ins Schloss fallen, und es schien, als läge zwischen dieser und ihr selbst eine weitere, die den Schall dämpfte. Nur langsam sickerten diese Informationen zu ihr durch. Genau wie die Schritte, die stetig lauter wurden, bis sie verebbten.
Denise sammelte noch einmal ihre Kräfte und schaffte es schließlich ihre Augenlider zu heben.
Steine.
Eine marode Mauer.
Diese Umgebung hatte sie noch nie gesehen. Weshalb bin ich hier?, fragte sie sich und blickte zu ihren Händen hinunter. Augenblicklich beschleunigte sich ihr Puls, ihre Atmung stockte. Was zum Teufel …
»Hallo?«, rief sie.
»Ist hier jemand?«
Keine Antwort.
Sie sah sich weiter um, dabei entdeckte sie in der hinteren linken Ecke ein altes Waschbecken, dessen Emaille brüchig und abgeplatzte Stellen aufwies. Direkt daneben eine verrostete Stahltür, hinter der sie erneute Schritte vernahm. Sie wurden lauter.
Auf Denise Stirn bildeten sich Schweißperlen und ihr Körper begann merklich zu zittern.
»Hallo? Ich will hier raus!«
Stille.
Mit jedem weiteren Tropfen, der aus dem Wasserhahn ins Becken fiel, steigerte sich ihr Freiheitsdrang ins Unermessliche. Unerwartet schabte etwas an der Tür. Es klang wie …
Denise riss die Augen weit auf, als die Türklinke sich wie in Zeitlupe nach unten neigte. Es schien, als sei derjenige, der sich auf der anderen Seite befand, nicht sicher, und zögerte.
»Hey! Lass mich sofort hier raus!«, schrie Denise und zerrte an den Fesseln.
Ein metallisches Klicken.
Die schwere Eisentür öffnete sich, und Denise verengte ihre Augen zu Schlitzen, um die schemenhafte Person, die sich im Schatten nun zeigte, zu erkennen.
»Steffi? Bist du das?«
»Hallo Denise, lange nicht gesehen«, erwiderte die schlanke Gestalt und trat aus dem Halbdunkel ins Licht. Eine Frau, mit rötlich schimmernden Haaren, die ihr gelockt über die Schulter fielen, näherte sich Denise.
»Gott sei Dank, du bist es«, stieß Denise erleichtert aus. »Was ist hier los? Warum bin ich hier und vor allem: warum bin ich gefesselt? Mach mich los!«
»Ach, Denise …«, sagte Stefanie, machte eine Kunstpause und stieß ihren Atem geräuschvoll aus. »Hör mal, das wird dir bestimmt nicht gefallen, aber ich kann deinem Wunsch nicht nachkommen.«
Denise hielt die Luft an. »Bitte was?«, sagte sie tonlos und sah ihre beste Freundin fassungslos in die Augen. »Was soll der Scheiß? Mach mich gefälligst sofort los.«
»Das kann und werde ich nicht tun. Weißt du, Denise, es wird Zeit, dass du begreifst, dass nicht alles im Leben so ist, wie es ist. Manchmal gibt es Dinge, die weitaus wichtiger und vor allem interessanter sind.«
»Was soll das heißen?«
Stefanie drehte sich um zu Tür und rief: »Tristan? Kommst du mal bitte?«
Schritte.
Eine hochgewachsene Statur kam um die Ecke.
Noch eben hätte Denise es nicht für möglich gehalten. Aber sie hatte ihn sofort an seinem schlaksigen Gang erkannt. Das kann doch jetzt nicht wahr sein, dachte sie, was soll der ganze Mist?
»Was ist?«, fragte eindeutig Tristan, der Freund von Denise. Er betrat den Raum und blieb neben Stefanie stehen.
»Dein Part. Erklär ihr, warum sie hier ist. Ich habe schon genug gemacht.«
Und die Erklärung, die Denise von ihrem Freund zu hören bekam, zog ihr den Boden unter den Füßen weg. Gnadenlos.
Geld.
Ihr Geld.
Das ist alles?
Dann mischte sich Stefanie ins Gespräch ein, dabei legte sie ihre Hand um Tristans Mitte. »Kommst du, Schatz? Wir haben nicht viel Zeit, um die Kohle von der Bank zu holen, bevor die Schlampe gefunden wird und den Bullen alles erzählt.«
»Hast du die Karten?«, wollte Tristan wissen.
»Ja«, erwiderte Stefanie, dabei rollte sie mit den Augen. »Und jetzt sag >Tschüss< zu deiner Ex-Tussi.«
»Moment mal … ihr lasst mich hier so zurück? Was ist, wenn mich niemand findet?«, sprach Denise ihre Bedenken laut aus. Sterbe ich dann?, hängte sie gedanklich noch dran.
»Was? Natürlich nicht. Wir geben einen anonymen Hinweis, dann finden sie dich rechtzeitig«, erklärte Tristan eilig.
»Müssen wir aber nicht, Schatz. Und jetzt komm, es warten ein paar schöne Milliönchen auf uns.« Stefanie zwinkerte ihr zu. Dann grinste sie hämisch, bevor sie durch die Tür verschwand und noch einmal nach Tristan rief.
»Ist das euer beschissener ernst? Was ist los mit dir, Tristan? Ich dachte, du liebst mich?« Oder etwa doch nicht?
»Es tut mir leid, Denise, aber unsere Zeit ist vorbei. Mach’s gut.« Tristan kehrte ihr den Rücken zu, ohne sie noch einmal angesehen zu haben, verließ den Raum und verschloss hinter sich die Tür, deren Schließen Denise zusammenzucken ließ.
»Seid ihr bescheuert?«, schrie Denise. »Lasst mich sofort hier raus!«
Dann ging das Licht aus, und mit diesem verschwand Denises Hoffnung.
Sie wurde nie gefunden.