»Wie habt ihr euch kennengelernt?«, fragte der kleine Lukas seine Väter und schaute sie abwechselnd an. Der Fünfjährige saß eingekuschelt in einer Wolldecke zwischen Christoph und Stephan auf dem Sofa. Zusammen sahen sie den Film "Findet Nemo", den Lukas sich für diesen Abend gewünscht hatte.
»Warum fragst du, Spatz?« Christoph drehte den Kopf zu seinem Sohn, sah ihn an und wechselte dann den Blick zu seinem Mann, Stephan. Ein warmes Lächeln legte sich auf Christophs Lippen, als er zurückdachte an ihre Kindheit.
»Oma meinte da irgendwie sowas. Irgendwas mit Sandkastenliebe. Was ist das überhaupt? Habt ihr beide den Sandkasten geliebt?«
Stephan lachte auf. »Luki, Sandkastenliebe bedeutet, dass sich zwei Menschen im Kindesalter, also so wie du, sich verlieben. Das nennt man nur so.«
»Also habt ihr euch im Sandkasten verliebt? Die Sarah ausm Kindergarten sagte letztens, dass ich süß bin. Und dann hat sie mich hierhin geküsst.« Lukas zeigte auf seine linke Wange und verzog angewidert das Gesicht. »Das fand ich voll ekelig. Hab ich ihr auch gesagt und dann hat sie gelacht. Und dann sagte sie, dass sie in mich verliebt ist. Ist das auch eine Sandkastenliebe?«
Christoph strubbelte seinem Sohn durch die Haare und lachte amüsiert auf. »Ja, das kann man so sagen. Allerdings müssen sich dann beide verliebt haben.«
»Boah, nee. Kann sie damit nicht einfach aufhören?« Übertrieben schüttelte Lukas mit dem Kopf.
»Na ja, wenn man sich in jemanden verliebt hat, kann man das nicht so einfach abstellen. Schau ... als ich deinen Papa damals kennengelernt habe, war ich total verliebt. Er wohnte zwei Häuser weiter und wir kamen zusammen in den gleichen Kindergarten. Man ist das lange her ...« Christoph versank einen Moment lang in seinen Erinnerungen.
Als sie damals in den Kindergarten gekommen waren, hatten sie oft zusammen gespielt. Mal im Sandkasten oder auf dem kleinen Turm mit der gelben Rutsche.
»Und dann?«, wollte Lukas wissen.
»Dann haben wir viel miteinander gemacht. Aber verliebt war ich zu dem Zeitpunkt noch nicht. Wir sind aber immer Freunde geblieben und haben uns regelmäßig getroffen. Wir waren sogar beste Freunde. Erst als wir in der siebten Klasse waren, sah ich ihn mit anderen Augen«, sagte Stephan und sah zu seinem Mann, »Weißt du noch, als ich dir gesagt habe, dass ich verliebt bin?« Stephan hatte sich damals nicht getraut, seinem besten Freund direkt die Wahrheit zu sagen, da es ihm unheimlich schwergefallen war. Es hatte gedauert, bis er begriff, was das zu bedeuten hatte. Erst als sich die ersten Liebespärchen unter den Schülern gebildet hatten, hatte er sich das Gleiche mit Christoph gewünscht.
»Oh ja. Es war in der großen Pause und wir saßen in unserer geheimen Ecke hinter dem Schulgebäude. Ich weiß auch noch, wie nervös du warst. Aber als du mir dann sagtest, dass du in jemanden verliebt wärst, hätte ich am liebsten geschrien und geheult.« Christoph sah den jungen Stephan in Gedanken vor sich sitzen, um sie herum nur Sträucher. Unruhig hatte Stephan mit den Händen geknetet und immer wieder verlegen zur Seite geschaut.
»In wen warst du verliebt, Papa?« Lukas sah mit neugierigen Augen seinen Vater, Stephan, an.
»In deinen Papa natürlich. Erst kurz bevor die Pause zuende war, habe ich meinen ganzen Mut zusammengenommen und ihn einfach geküsst. Du hättest sein Gesicht sehen sollen ...« Grinsend blickte Stephan in Christophs Augen.
»Mein Gesicht? Du hast ausgesehen, als hätten deine Eltern dir in diesem Moment gesagt, dass dein Hund überfahren wurde«, empörte sich Christoph. Zu gut konnte er sich noch an Stephans Gesichtsausdruck erinnern. Als hätte der sich an seinen Lippen verbrannt oder einfach nur geekelt.
»Du hattest einen Hund? Ich will auch einen Hund. So einen kleinen wie Oma den hat. Der kommt immer zu mir und spielt mit mir und dann spielen wir zusammen immer im Garten mit dem Stock. Krieg’ ich auch ein Hund?« Mit großen, blauen Kulleraugen schaute er Stephan fragend an. Zu gerne wollte Lukas einen kleinen Hund haben, mit dem er kuscheln und spielen konnte.
»Wir überlegen uns das mal, Luki«, erwiderte Stephan und wandte sich seinem Mann zu. »Na, du hast mich angesehen, als wäre ich ein Außerirdischer gewesen. Was glaubst du, was ich in diesem Augenblick auf mich genommen hatte und dann starrst du mich so an ohne was zu sagen? Ich habe damals echt gedacht, dass das der größte Fehler in meinem Leben war.« Das war wahrlich keine schöne Erinnerung, die in Stephan aufflackerte. Und der Fisch, der gerade mit aufgerissenen Augen auf dem Bildschirm auftauchte, entsprach ungefähr dem Blick seines Mannes zur damaligen Zeit. Ein Schmunzeln huschte über Stephans Gesicht.
»Ich war überwältigt. Ich war seit dem Kindergarten in Dich verknallt. Und dann hast du mich einfach aus dem Nichts heraus geküsst.«
»So wie Sarah mich geküsst hat?« Lukas legte die Beine über Christophs Oberschenkel und lehnte den Kopf auf Stephans Schoß.
»Nein, ich hatte ihn auf den Mund geküsst«, erwiderte Stephan und strich seinem Sohn liebevoll durch die Haare.
»Echt? Wenn Sarah das gemacht hätte, hätte ich sie weggeschubst«, sagte Lukas angewidert und streckte die Zunge heraus, gefolgt von einem angeekelten Stöhnen. Beide Väter lachten auf und schüttelten Synchron mit dem Kopf.
»Ja, hat er. Tja, und dann hatte es geklingelt und wir mussten wieder in den Unterricht. Aber nach der Schule hatten wir uns dann wieder am See getroffen, den du auch kennst, Luki. Da waren wir letzten Sommer die Enten füttern, weißt du noch?« Christoph schaute runter in Lukas Augen, die ihn nachdenklich aber auch müde ansahen.
»Der mit der Brücke und dem Spielplatz?«, wollte Lukas wissen und gähnte.
»Ganz genau der. Und auf der Brücke hatten wir dann gesessen und uns gegenseitig die Liebe gestanden.« Erst hatten sie schweigend dagesessen und kleine Kieselsteine ins Wasser geworfen, dann hatte Christoph den ersten Schritt gemacht und nach Stephans Hand gegriffen und gemeint, dass er den Kuss als schön empfunden hätte. Daraufhin hatte Stephan dann gemeint, dass er das gleiche gefühlt hätte. Immer wieder hatten sie sich mit rotem Gesicht verlegen angesehen, bis Stephan noch einmal seinen Mut zusammengenommen hatte und seinen besten Freund auf den Mund küsste.
»Ja. Und weißt du noch die Frau, die in dem Augenblick an uns vorbeigelaufen war? Gott ... war das peinlich«, sagte Stephan amüsiert und rollte mit den Augen.
»Jau! "Diese Jugend von heute", hat sie gesagt. Ich glaube, wir sollten unseren Tiger mal ins Bett bringen. Süß, wenn er schläft.« Liebevoll streichelte Christoph Lukas Wange. »Bringst du ihn ins Bett? Dann mache ich in der Zeit eben Klarschiff.« Vorsichtig hob Christoph Lukas Füße an und rutschte unter ihnen zur Seite, damit er aufstehen konnte.
»Ja, mache ich. Oh schau mal, die wohl bekannteste Adresse in Filmen. Zweiundvierzig Wallaby Way, Sidney. Gott, wie oft haben wir den Film schon gesehen?« Lachend erhob sich Stephan und nahm den Jungen in seine Arme.
»Eindeutig zu oft«, stellte Christoph fest und schaltete den Fernseher aus. Während Stephan mit dem schlafenden Lukas aus dem Raum verschwand, räumte Christoph alles wieder an seinen Platz und sorgte damit für Ordnung. Schmunzelnd dachte er an das eben erst geführte Gespräch über ihr damaliges Liebesgeständnis zurück und wünschte sich, dass ihre Liebe nie enden würde.