Raphael betrat am frühen Morgen sein Stammcafé und staunte, als er seinen früheren Arbeitskollegen hinter der Theke entdeckte.
»Tobi? Was machst du denn hier? Ich wusste gar nicht, dass du hier arbeitest.«
»Hey, Raffi, das ist ja ein Zufall. Ich bin erst vor ’ner Woche hier angefangen. Ist auch nicht für lange«, erwiderte Tobias. »Was kann ich dir Gutes tun?«
»Mach mir bitte einen großen Coffee to go.«
»Gerne.«
»Und was möchtest du dann machen, wenn du hier aufhörst?«
»Ich hab ein verdammt gutes Angebot bekommen. Die zahlen richtig gut und ich habe flexible Arbeitszeiten«, erklärte Tobias. Er beugte sich halb über die Theke und sagte mit gedämpfter Stimme: »Ich bekomme sogar reichlich Zuschläge. Nicht so wie hier oder beim Alten in der Firma.«
»Klingt vielversprechend. Und was musst du dort machen?«, wollte Raphael wissen und beobachtete, wie der andere einen Pappbecher unter den Auslauf der Kaffeemaschine stellte.
»Ach, ich muss lediglich Bringdienste für meinen Chef erledigen. Der hat ziemlich viel Kohle und lässt andere für sich alltägliche Dinge erledigen.«
»Klingt definitiv besser, als in der Werkstatt an Autos zu schrauben.«
»Klar«, bestätigte Tobias und drehte sich mit dem gefüllten Becher herum, auf dem er einen Deckel stülpte. »Sind dann eins sechzig. Und du hältst es noch immer dort aus? Ist der Alte noch immer so mies drauf?«
Raphael zückte sein Portemonnaie und kramte im Kleingeldfach herum. »Hör bloß auf … der ist momentan extrem empfindlich. Nach dir sind noch zwei weitere geflogen und seitdem ist der unausstehlich.« Zufrieden packte er seinen Geldbeutel zurück in seine Gesäßtasche und reichte Tobias sogleich die Münzen.
»Danke dir«, sagte Tobias lächelnd und legte das Geld neben die Kasse, bevor er zur Uhr sah. »Du hast jetzt Schicht, oder?«
»Ja, leider. Von irgendwoher muss die Kohle ja kommen, nicht wahr?«
»Stimmt schon«, bestätigte Tobias. »Dann wünsche ich dir eine ruhige Schicht, Raffi.«
»Danke dir. Sehen wir uns morgen wieder?« Raphael nahm den Becher von der Theke.
»Wenn nicht etwas Unvorhersehbares passiert, dann ja.«
»Cool. Okay, Tobi, ich muss los. Bis dann, ja?«
»Bis dann«, erwiderte Tobias und hob zum Abschied die Hand.
Als Raphael die Glastür öffnete, erklang das ihm vertraute Glockenspiel, allerdings ließen ihn die geschlossenen Rollos kurz stutzen. Bisher waren sie um diese Uhrzeit längst hochgezogen worden. Hatte Tobias es etwa vergessen? Er drehte sich zur Theke herum, aber sein früherer Kollege war wie vom Erdboden verschwunden. »Tobi?«
»Ja?« Tobias tauchte hinter der Theke auf und es schien, als hätte er gerade eine schwere Arbeit verrichtet.
»Du musst die Rollos noch hochziehen, sonst denken die Leute, das Café sei geschlossen.«
»Ah, ja, danke. Mache ich gleich.«
»Okay, dann bis morgen«, verabschiedete sich Raphael und trat nach draußen. Sogleich zog er den Kragen seiner Jacke höher, als der eisige Wind ihn erbarmungslos in Empfang nahm. Während er zur U-Bahn-Station hastete, trank er seinen Kaffee.
~
»Die Polizei steht vor einem Rätsel«, meldete die Stimme aus dem Radio. »Am gestrigen Vormittag wurde ein junger Mann in der U-Bahn tot aufgefunden. Der Sechsundzwanzigjähige war laut Hinweisen auf dem Weg zur Arbeit. Ein Passant, der in Münster zugestiegen war, entdeckte den Toten und alarmierte sofort das Zugpersonal. Aktuell ermittelt die örtliche Behörde in dem Fall und bittet …«
Tobias schaltete das Radio aus und lehnte sich zufrieden im Stuhl zurück. Er griff nach dem Notizbuch, das sein Gegenüber ihm entgegenhielt.
»Was ist das?«, wollte er wissen.
»Darin steht alles für deinen ersten Auftrag.«
»Den habe ich doch schon erledigt …«
»Das war eine Probe, Tobias. Ich dachte, das sei klar gewesen«, sagte der ältere Herr mit der goldfarbenen Markenbrille. Er zwirbelte das rechte Ende seines Oberlippenbarts in Form. Sein Blick duldete keine Widerrede.
»Ja, natürlich. Wie viel Zeit habe ich?«
»Das steht alles im Buch«, erklärte der Mann und erhob sich vom Stuhl. »Enttäusche mich nicht. Sobald du deinen Job erledigt hast, melde ich mich bei dir und gebe dir den nächsten Treffpunkt bekannt.«
Tobias nickte. »Geht klar, Boss.«
Als die Tür ins Schloss fiel, überkam ihn sofort die Neugierde. Er öffnete das Buch und warf einen Blick hinein. »Echt jetzt? Ein Pianist? Was hat der Böses angestellt? Mit Noten um sich geworfen?« Ein fieses Grinsen bildete sich in seinem Gesicht, als er aufsah und den schwarzen Frack, der am Schrank hing, betrachtete. »Auf nach Berlin!«