Es war später Abend, der Strand war in völliger Dunkelheit getaucht. Nur in der Ferne waren lodernde Flammen zu erkennen, die sich im Rhythmus der sanften Gitarrenklänge zu bewegen schienen. Lautes Gelächter wehte zu Nils herüber, das er als Frederiks Stimme identifizierte, als er auf die Gruppe zulief. Warum hatten seine Freunde auch ausgerechnet diesen Jungen mit eingeschlossen, um das Wochenende am Meer zu verbringen? Zögerlich blieb Nils stehen und betrachtete aus der Ferne den Blondschopf, der neben seiner Schwester Mareike saß. Vor Monaten hatte er ihr erzählt, dass er sich in Frederik verliebt hatte, und jetzt musste er das gesamte Wochenende mit seinem Schwarm verbringen, ob er wollte oder nicht.
Tief Luft holend straffte er die Schultern und setzte seinen Weg zu seinen Freunden fort. Er würde das schon irgendwie überstehen. Am besten mit viel Alkohol und Abstand zu Frederik.
»Da bist du ja«, sagte seine Schwester. »Ich dachte schon, du kommst gar nicht mehr wieder. Hast du die Flasche nicht gefunden oder wurdest du anderweitig aufgehalten?« Sie zwinkerte ihm zu und Nils verstand ihre Andeutung sofort. Nervös schaute er zu Frederik herüber, der jedoch in die Flammen blickte und keine Notiz von ihm zu nehmen schien. Vielleicht sollte Nils sich wirklich von jemand anderem ablenken lassen, der ihn nicht so durcheinanderbringen würde.
»Doch, ich habe sie. Ich bin nur langsam gelaufen, um ein wenig die Abendluft zu genießen.« Er setzte sich auf die andere Seite neben seiner Schwester und reichte ihr die Flasche Sekt.
»Das kannst du auch hier«, sagte Tom, der sein Gitarrenspiel unbeirrt fortführte.
»Na ja, mit dem ganzen Rauch ist das nicht möglich.« Auf das Feuer zeigend schnappte Nils sich die geöffnete Flasche Sekt, die seine Schwester gerade erst geöffnet hatte. Ihren Protest ignorierte er geflissentlich und trank große Schlucke der prickelnden Flüssigkeit.
»Stell’ dich nicht so an, tust ja gerade so, als würden wir hier nur sitzen, um uns räuchern zu lassen. Und jetzt gibt mir die Pulle wieder, das ist meine«, murrte Mareike und versuchte nach dieser zu greifen. »Mann Nils, du bist so ein Arsch.« Sie beugte sich zu ihrem Bruder herüber und brachte mit einer schnellen Bewegung den Sekt in ihren Besitz.
»Kloppt ihr euch immer so?«, wollte Frederik wissen und stocherte mit einem Stock im Feuer herum.
»Ja«, kam es synchron von Nils und Mareike wie aus einem Mund.
»Ich kann das bestätigen«, rief Sabrina in die Runde und nickte. Sie war die Freundin von Tom.
»Ähm, Nils?«
Angesprochener wandte sich zögerlich an Frederik. »Ja?« Sein Herz nahm augenblicklich einen schnellen Rhythmus an und sein Mund wurde ganz trocken.
»Hast du mal ’ne Minute? Ich müsste mal mit dir sprechen.«
»Was? Warum?«, stotterte Nils und blickte Hilfe suchend seine Schwester an. Sie formte stumm mit ihren Lippen ein »Geh« und zwinkerte verschwörerisch.
Was ging hier gerade vor sich? Hatte sie Frederik etwa gesagt, dass er in diesen verknallt war? Bitte nicht!
»Ach, ich wollte dir etwas zeigen.« Frederik hievte sich hoch und blieb an Ort und Stelle stehen.
Wenn Nils glaubte zu wissen, wie sich Panik anfühlte, dann hatte er sich getäuscht. Das, was er gerade fühlte, übertraf bei weitem alles, was er bisher kennengelernt hatte. Zögerlich erhob er sich und ließ seine Schwester, die er noch immer stumm um Hilfe anflehte, nicht aus den Augen. Wortlos reichte sie ihm die Flasche, die er dankend entgegennahm.
»Bis gleich.« Mit diesen Worten folgte er Frederik, der bereits vorausgelaufen war und am Rande des Lichtkegels auf ihn zu warten schien. Irgendwie war die Situation mehr als nur merkwürdig für Nils. Keiner seiner Freunde hatte eben etwas gefragt oder gesagt. Stattdessen waren sie alle verstummt, sogar Tom hatte kurzzeitig mit dem Spielen auf seiner Gitarre aufgehört. Was geht hier vor?
Als er Frederik erreichte, räusperte sich dieser und drehte sich um.
»Ich muss dich etwas fragen.«
»Ja? Was ist denn?« Nils Herz raste und klopfte ihm bis zum Hals. Trotzdem es windig war, die Wellen sich bewegten, hörte er nur sein eigenes Blut in den Ohren rauschen.
»Ich glaube, ich habe mich verliebt.«
Nils war unfähig etwas zu sagen. Sein Herz machte einen Hüpfer, aber was sollte er jetzt nur machen? »Ja?«, krächzte er unsicher hervor und spürte die Hitze in seinem Gesicht aufsteigen.
»Ja, ich glaube schon. Es fühlt sich so an und ich weiß nicht, wie ich es Mareike sagen soll, verstehst du? Und ich dachte, du könntest sie vielleicht mal so von hintenrum fragen, wie sie mich findet. Würdest du das tun?«
Ist das dein ernst?
Schlagartig bildete sich ein Klos in Nils Hals und er bekam das Gefühl, als hätte ihm jemand den Boden unter den Füßen weggezogen. Der Junge, dem er seit Monaten hinterher schmachtete stand auf Mareike? Seine gottverdammte Schwester? Nils kam sich plötzlich fehl am Platze vor und wäre am liebsten im Erdboden versunken. »Klar, kann ich machen. War's das?« Aber er würde es nicht tun. Nicht in diesem Leben. Das sollte der gefälligst selbst tun.
»Cool, danke.« Frederik klopfte ihm auf die Schulter. »Echt nett von dir. Lass uns wieder zurück zu den anderen gehen, sonst denken die noch, ich würde dir ein Liebesgeständnis machen.« Er wandte sich um und lief den lodernden Flammen entgegen.
Darauf konnte Nils nichts mehr erwidern und verharrte wie angewurzelt auf der Stelle, bis er sich dazu entschloss, in das Ferienhaus zurückzukehren, seinen Koffer zu packen und noch an diesem Abend nach Hause zu fahren. Sollten die anderen denken was sie wollten, aber zurück zu seinen Freunden würde er nicht gehen. Auf seinem Weg zur Unterkunft liefen ihm bereits die ersten Tränen an seinen Wangen herab.