Rasant bewegte sich die Tachonadel des blauen Kleinwagens auf die Zweihundert zu, als der weiße Transporter mit der Aufschrift eines Fliesenbetriebes endlich den Blinker setzte und damit ankündigte, die Überholspur der Autobahn zu verlassen.
»JETZT ZIEH ENDLICH RÜBER, DU PENNER! ES HEISST FAHREN, NICHT PARKEN!« Laut fluchend fixierte Darius noch immer den Wagen vor sich und wünschte dessen Fahrer die Pest an den Hals.
»Darius, fahr bitte etwas langsamer. Ich wollte in einem Stück ankommen und nicht im nächsten Graben landen oder vor einem Baum enden.« Tief im Sitz versunken, klammerte Martin sich mit einer Hand an dem oben liegenden Haltegriff und schien zunehmend blasser um die Nase zu werden.
»Siehst du hier ’nen Graben oder ‘nen Baum? Ich nämlich nicht.«
»Ich meine es ernst: Fahre bitte langsamer. Mir wird gleich schlecht.«
»Bis dahin sind wir da. Noch drei Kilometer. Schnapp doch mal etwas frische Luft.« Nachdem er das gesagt hatte, öffnete Darius das Beifahrerfenster über einen Knopf an der Fahrertür und grinste dabei schelmisch.
Ungehindert strömte der Wind in Martins Gesicht und verwirbelte seine Haare in alle Richtungen.
»Darius! Du bist unmöglich!« Hektisch schloss er das Fenster und lugte auf den Tacho. »Geh jetzt endlich vom Gas runter. Du fährst wie Madame Medusa mit ihrem Sumpfmobil.« Kaum hatte er das ausgesprochen, sah er, wie eine grüne Ente vor ihnen links ausscherte. Schützend hielt er beide Hände vor sein Gesicht, als sein Freund in die Eisen trat.
»Das kann doch jetzt nicht wahr sein! VERKEHRSRAUDI«, motzte Darius, schlug aggressiv auf die Hupe und gab mehrere Lichtsignale. »BIST DU BLIND? HAU AB MIT DEINER BESCHISSENEN SCHLEUDER! Was für ’n Anfänger.«
>Bitte verlassen Sie in einhundert Metern die Autobahn an der Ausfahrt Grömitz und biegen anschließend rechts ab<, teilte das Navi mit.
»Wie soll ich das denn jetzt machen? Soll ich jetzt wie bei Cobra elf unter einem LKW durchrutschen? JETZT FAHR DU BLÖDE KUH!« Erneut betätigte Darius die Hupe und sah, wie die Ente ohne zu blinken zügig rechts einscherte. »Geht doch.«
>Jetzt abfahren und danach rechts abbiegen.<
»Darius, wir müssen da vorne runter«, sagte Martin und deutete auf das blaue Schild am Straßenrand.
»Ich bin nicht taub.« Gas gebend überholte er den Lastkraftwagen, scherte knapp vor diesem rechts ein und erntete sogleich ein langgezogenes Hupen und Lichtsignale. »Geh mir nicht auf den Sack mit deiner Tonne!« Er riss das Lenkrad herum, donnerte mit einhundertzwanzig in die Ausfahrt und bremste die Geschwindigkeit schlagatig herunter, sodass sein Freund sich Halt suchend mit einer Hand gegen das Handschuhfach abzustützen versuchte.
»Du bringst uns beide um!«, rief Martin mit weit aufgerissen Augen und sah gedanklich das Unglück schon kommen.
»Quatsch, ich bringe uns nur ans Meer. Das Umbringen hebe ich mir für andere auf.« Grinsend winkte Darius mit der Hand ab und fuhr nach der Abfahrt auf eine Bundesstraße.
>Bitte in zweihundert Metern links abbiegen, danach haben sie ihr Ziel erreicht. Ihr Ziel liegt auf der rechten Seite.< Auf dem Display des Bordcomputers tauchte eine schwarz-weiße Flagge auf.
Durch das weniger rasante Tempo entspannte Martin sich zunehmend und öffnete einen Spalt weit das Fenster. Seine verkrampften Finger löste er von dem Griff und rieb sich durchs Gesicht. »Zurück fahre ich, damit das schon mal klar ist.«
»Umso besser. Dann kann ich abends noch was trinken. Ist gebongt.«
»Auch ein Beifahrer sollte mit auf den Verkehr achten«, murrte Martin und stöhnte.
>Jetzt links abbiegen<, informierte die Computerstimme und Darius setzte daraufhin den Blinker. Er hielt an der roten Ampel an der Kreuzung an und blickte zu seinem Freund herüber.
»Wir sind gleich am Meer und du ziehst ein Gesicht wie so ’ne alte Schrapnelle, die ihren Mann am Strand beim Spannen erwischt hat.«
»Wenn du nicht wie so ein Luftikus … nee, wie ein Vollidiot gefahren wärst, würde ich sicherlich entspannter gucken.«
»Mimimimimi. Dann musst du mal mit Vince fahren, mit hundertachtzig Sachen in die Ausfahrt. Bääm!« Als Darius das sagte, schlug er sich bei dem letzten Wort mit der eigenen Faust in die andere Hand.
Kopfschüttelnd blickte Martin durch die Frontscheibe. »Fahr, es ist grün.«
Und genau das hatte der andere auch vor, jedoch rührte sich der schwarze Mini vor ihnen keinen Millimeter.
»BOAH! FAHR! GRÜNER WIRD’S NICHT! ODER MUSS ICH ERST SCHIEBEN KOMMEN?« Erneut fand seine Hand das Signalhorn und sah, wie der Fahrer vor ihm entschuldigend die Hand hob und losfuhr.
»WIRD AUCH ZEIT! ICH DACHTE SCHON, DU SPIELST ’NE RUNDE MAU-MAU!«
Darius gab Gas und lenkte sein Fahrzeug in die linke Straße, fuhr diese ein Stück entlang und hielt anschließend vor einer rot-weiß gestreiften Schranke des Campingplatzes, auf dem sie für die nächsten vierzehn Tage in einem Chalet wohnen würden.
»Toll hier«, sagte Martin begeistert, öffnete die Tür und hievte sich von seinem Sitz nach draußen. Sich streckend von der langen Fahrt blickte er über den endlos lang erscheinenden Strand. Hinter sich hörte er das Öffnen und Schließen der Fahrertür und im nächsten Moment gesellte sich sein Freund zu ihm.
»Jup, und das gehört die nächsten zwei Wochen uns. Und da vorne steht auch schon meine Cocktailbar«, sagte Darius und rieb sich breit grinsend die Hände. Sobald sie eingecheckt und ausgepackt haben würden, würde er mit Martin an die Bar gehen und den Urlaub offiziell mit einem Cocktail einläuten.
»Hey, das ist jetzt auch meine«, flachste Martin. Er schmiegte sich an seinen Freund und küsste ihn. »Komm, lass uns einchecken und danach gehen wir dorthin. Nach der Fahrt könnte ich nämlich auch Etwas vertragen.«
Zustimmend brummte Darius und zog seinen Freund für einen weiteren Kuss zu sich. »Und davon will ich auch mehr«, schnurrte er an Martins Lippen.
Und das würde er auch bekommen, da war er sich sicher.