»Leute, hört ihr uns?«, schallten die Worte durch das auf dem Wohnzimmertisch liegenden Telefon mit eingeschalteter Freisprecheinrichtung. Elena, Darius’ Schwester, hatte die Idee gehabt, eine Standleitung zu errichten, damit sie während der Sendung ausgiebig über die vermeintlichen Stars der aktuellen Staffel des Dschungelcamps ablästern konnten. Erika, Darius’ und Elenas Mutter, war mit von der Partie und saß bei ihr Zuhause auf dem Sofa.
»Jup!«, riefen Darius und Martin synchron. Beide lagen auf der Couch, vor ihnen eine Schüssel Chips, eine große Tafel Schokolade und zwei Flaschen Wasser. Martin zappte mit der Fernbedienung durch die Kanäle im Fernseher und schaute auf die Uhr.
»Noch sieben Minuten!«, frohlockte Martin aufgeregt, legte das Bedienteil zurück auf den Tisch und ließ sich in die Polster sinken.
»Jaaa! Habt ihr gesehen, wer alles dabei ist? Ich schwöre euch, wenn diese Zicke da nicht mitmacht und keine Sterne sammelt, schreib’ ich fiese Kommentare auf ihre Seite.«
»Jetzt wart’ doch erstmal mal ab, wie die sich alle geben. Habt ihr schon Favoriten? Ich finde den Sänger ganz sympatisch. Der hatte doch vor ein paar Jahren die Staffel DSDS gewonnen, schräger Paradiavogel«, sagte Martin und lachte.
»Ich bin ja für den Markus, den sehe ich immer so gerne bei den Superhändlern. Dem seine Klamotten erinnern mich immer an die Siebziger, als dein Vater und ich noch jung waren. Gott hab’ ihn seelig«, trug Erika bei.
»Ich bin ja für den Schauspieler aus der Soap. Der ist echt süß«, teilte Elena mit und klang dabei wie ein Fangirl.
»Und du, Darius?« Martin sah seinen Freund an, der genüsslich Chips aß.
»Ich weiß es noch nicht. Die meisten von denen kenne ich auch gar nicht. Ich entscheide später.«
»Leute!«, schrie Elena, »es geht loooos!«
»Wuhuu!«
Auf dem Bildschim waren beide Moderatoren zu sehen, die mit triefendem Sarkasmus und viel Ironie die Sendung wie jedes Jahr moderierten. Die Kandidaten wurden nach und nach vorgestellt und bezogen erstmalig das Camp.
»Alter, diese Zicke. Warum muss die auch genauso heißen wie ich ... echt ätzend!« Elena war ganz und gar nicht begeistert, denn die Kandidatin hatte bereits zuvor in einer anderen Sendung nicht die beste Darbietung geboten.
»Ha! Du zickst doch selbst immer rum«, warf Darius ein. Er und seine Schwester lieferten sich regelmäßig kleine Sticheleien.
»Ganz bestimmt nich’, Bruderherz«
»Könntet ihr euch bitte an den Stars auslassen? Danke.« Martin ging dieses ständige Gezoffe zwischen seinem Freund und dessen Schwester gehörig auf die Nerven. Von beiden hörte er ein zustimmend leises Brummen.
»Boar, ne ... und schon wird wieder auf die Tränendrüse gedrückt«, warf Darius in den Raum und schüttelte mit dem Kopf, als er die Kandidatin tränenüberlaufen sah.
»Das ist doch alles nur Show. Glaub’ mir, die haben doch alle ein Drehbuch bekommen und spielen nur ihre zugesteckten Rollen.« Erika war der Meinung, dass alles nur inszeniert war.
»Hammer! Alle müssen zur Prüfung. Ich hoffe nur, dass es wie in den letzten Staffeln auch wieder die Essensprüfung ist. Hoden und Fischaugen sind hoffentlich auch wieder dabei. Ich liebe das knackende Geräusch.« Darius grinste hämisch und betrachtete den Bildschirm, der jetzt eine lange Tafel zeigte, an der alle Kandidaten saßen. Vor jedem Dschungelbewohner stand ein abgedeckter Teller, dessen Geheimnis jetzt nach und nach gelüftet wurde.
»Iiiiieh!« Außer Darius waren alle derselben Meinung, denn soeben mussten gleichzeitig drei Kandidaten eine mit ekeleregenden Glibber gefüllten Schüssel essen. Allerdings lag auch noch eine Schweine-Vagina in der Masse. Und das Ganze sollte in einer Minute geschafft werden.
»Boar, was ’ne Pussy! Der hat ja gar nicht wirklich probiert und spuckt schon wieder aus! Lächerlich.« Darius, konnte tagelang dabei zusehen, wie andere Menschen abartigen Mist essen mussten. »Und der Stern ist auch weg!«
»Heftig! Habt ihr gesehen, was die blonde mit dem Auge gemacht hat? Leute ... mir wird gleich schlecht.« Erika sah schon immer bei diesen Prüfungen eher weg als hin. Aber es war wie ein Unfall, bei dem man nicht wegsehen konnte.
»Ich hätte jetzt richtig Bock auf Gulasch. Wusstet ihr, dass das ursprünglich aus Pferdehoden gemacht wurde?«, lachte Darius und lehnte sich in das Blickfeld seines Freundes. Griff nach einem Stück Schokolade, steckte sie mit gespielter angewiederten Miene in den Mund und ließ sie absichtlich zwischen den Zähnen laut aufknacken, gefolgt von Speichel, den er aus dem Mund raus liefen ließ.
»Boar ... du bist echt abartig, Darius.« Mit angeekeltem Gesicht drückte Martin seinen Freund zurück auf seinen Platz.
»Was denn? Ist doch nur Schokolade«, gackerte Darius und wischte sich mit dem Ärmel seines Pullovers den Speichel aus dem Gesicht.
Mittlerweile waren alle Kandidaten mit der Prüfung durch und es wurden nur drei Sterne von insgesamt zwölf möglichen erreicht.
Es folgte noch die Entscheidung, welcher Star das Camp verlassen musste.
»Die waren so schwach. Guckt ihr noch die Stunde danach?«, erklangen Erikas Worte aus dem Telefon.
»Nein, mir reicht das für heute. Ich muss morgen früh raus.« Mit diesen Worten stand Martin auf und richtete die Kissen auf dem Sofa.
»Okay, Jungs. Hören wir uns morgen Abend wieder?«, fragte Elena. »Mama ist dann auch wieder dabei.«
»Können wir machen. Okay, dann macht's gut ihr zwei.« Ein knacken ertönte und Martin drückte den roten Hörer am Telefon, stellte das Mobilteil zurück in die Station, die ohnehin auf seinem Weg nach oben lag.