Soeben traten Darius und Martin aus der Haustür und stiegen die Stufen zum Vorgarten herunter. Vor einigen Wochen waren sie von ihren befreundeten Nachbarn, Vincent und Raphael, zu einem Grillabend eingeladen worden und Martin hatte bereits frühzeitig mit den Vorbereitungen begonnen und einen Salat gemacht, während sein Freund faul im Wohnzimmer auf der Couch hockte und ein Spiel mit der Spielekonsole spielte. Obwohl der Blonde für das Grillfleisch zuständig gewesen war, hatte der sich damit Zeit gelassen und war erst eine Stunde vor Aufbruch damit begonnen, das Fleisch zu schneiden und zu würzen.
Gegenüber an dem Haus ihrer Nachbarn sahen sie auf der linksseitig angrenzenden Terrasse tanzende Feuerzungen, die wie ein Flackern im Wind die abendliche Atmosphäre gemütlich erhellten.
Und je näher sie dem Neubau kamen, desto mehr Flammen tauchten vor ihnen auf. Beide wussten, dass Raphael eine Vorliebe für Kerzen hegte. Daher lagen auch zwei besonders schöne Exemplare in dem Flechtkorb den Martins bei sich trug.
Während sie die Straße überquerten und auf das rote Backsteinhaus zu liefen, stöhnte Darius auf. »Alter, haben die kein Strom?“, fragte er. »Wenn die ihre Rechnung nicht zahlen konnten, hätten s’e doch uns um Hilfe fragen können.«
Für Vincent hielt Darius seine eigene Hand ins Feuer, bei Raphael war er sich noch nicht ganz sicher, weil der auf Martins Seite stand, wenn es um schrille Festlichkeiten und bunte Lichter ging.
»So ein Quatsch«, winkte Martin belustigt ab. »Das ist doch gemütlich. Wusstest du, dass Raffi ein ganzes Regal voll Kerzen hat? Hatte er mir letztens erzählt, als er zum Kaffee da war.« Martin sah Darius nur schemenhaft, da die nächste Straßenlaterne ein ganzes Stück weit entfernt stand, daher fiel es ihm schwer dem seine Gesichtsmimik zu erkennen.
»Echt? Ich weiß von Vincent, dass er ’n Tick hat, ja, aber gleich ’n ganzes Regal ... Krass«, staunte er und hob ungläubig darüber beide Augenbrauen in die Höhe. »Aber irgendwie passt es auch zu ihm. Wenn ich so dran denke, wie ihr letztens Vincents Überraschungsparty gestaltet habt, das reinste Desaster.«
In wirklich jeder Ecke hatten sein Freund und Raphael den Partykeller verunstaltet. Fegefeuer war noch harmlos ausgedrückt, dachte er.
»Nicht so laut.« Martin hielt einen Finger vor seinen Mund. »Die haben das Fenster auf kipp.« Er wollte auf keinen Fall, dass ihre Freunde etwas von dem Gespräch mitbekamen.
Mittlerweile erreichten sie die andere Straßenseite und standen wenige Schritte später am Seiteneingang zur Terrasse, auf der sie die beiden Nachbarn auch schon entdeckten, die noch Mitten in den Vorbereitungen steckten. »Nabend!«, rief Martin über den Metallzaun hinweg und winkte dem aufblickenden Raphael zu.
»Hey ... da seid ihr ja schon.« Grüßend hob er eine Hand. »Schatz, machst du eben auf, ich bin hier noch nicht fertig.« Er setzte seine Tätigkeit, die aus dem Anzünden von Kerzen bestand, fort. Hoffentlich würden sich seine zwei Gäste heute Abend hier wohlfühlen, dachte er.
Vincent, Raphaels Mann, legte die weißen Servietten aus der Hand, die er gerade auf den Tellern verteilen wollte und ging zielstrebig auf das Gartentor zu.
»Na, ihr ... kommt rein«, bat Vincent und öffnete das Tor. Mit einer einladenden Handgeste bat er seine Gäste herein.
»Hey, Vincent.« Darius begrüßte ihn mit einem Handschlag und schlenderte mit ihm zusammen zum großen Holztisch, auf dem er die Schüssel mit dem Grillgut abstellte, gefolgt von Martin, der das Tor hinter sich ins Schloss warf.
»Na Keule, alles fit?«, fragte Vincent seinen Nachbarn interessiert und lehnte sich seitlich an den Tisch.
»Ja, siggi!«, erwiderte Darius und zeigte auf die Schüssel. »Ich hoffe, ihr beide habt noch nichts gegessen. Die ist pickepacke voll.« Grinsend beugte er sich näher zu Vincent. »Und ich hab’ uns zwei richtig geile Steaks eingepackt.« Verschwörerisch zwinkerte er ihm zu.
»Yes! Und unsere beiden Damen bekommen dann ihre Pute und Hähnchen?« Lächelnd zeigte er mit seinem Daumen hinter sich zu den beiden anderen Jungs, die auf der gegenüberliegenden Seite des Tisches standen. »Ich geb’ dir gleich "Damen"«, hörte er seinen Mann hinter sich fauchen. »Echte Männer essen eben ein Steak, Punkt«, hielt Vincent grinsend dagegen.
»Echte Männer«, äffte Raphael seinen Mann nach, »is’ klar.«
Martin schaute sich derweil um, unterdessen Darius und Vincent miteinander tuschelten, sowie Raphael hektisch noch die letzten Kerzen entzündete. Die hatten es echt gemütlich hier, dachte Martin und ließ seine Augen weiter schweifen. Eine dunkelgraue Sitzlounge aus geflochtenem Rattan, davor der gleichartige Tisch mit einer schwarzen Glasplatte, standen in der rechten Ecke direkt neben der geöffneten Terrassentür, links daneben die passende Auflagenbox und darüber eine Edelstahllampe, die nicht in Betrieb war. Mittig unter dem großen Glasdach, an dem ein Lichtschlauch angebracht war, der ein indirektes Licht auf die Terrasse warf, stand der gedeckte Eichentisch, mit sechs Holzstühlen, die mit schwarz-gelb gestreiften Sitzauflagen zum gemütlichen Sitzen einluden. Sein Blick glitt weiter zu dem am Ende stehenden Holzkohlegrill und dem dahinterliegenden Rasengrundstück, dass durch kleine Bäume eingekesselt wurde. Nur die Umrisse waren zu erkennen, jedoch wusste Martin von vorherigen Besuchen, dass Vincent dort Buchsbäume gepflanzt hatte, die laut seiner Aussage pflegeleicht und schnell in die Höhe wüchsen, um den neugierigen Blicke der Nachbarn auf der linken Seite zukünftig entgegenzuwirken.
»Ihr habt es echt schön hier.« Anerkenned nickte er und schaute abwechselnd zwischen den Jungs hin und her.
Nahezu gleichzeitig bedankten sie sich bei ihm.
»Setzt euch«, bat Raphael und legte das Feuerzeug auf den Tisch neben der Sitzgelegenheit.
Vincent wandte sich derweil dem Grill zu, hob den Zylinder mit der glühenden Holzkohle an und verteilte sie gleichmäßig in der Schale.
»Sach ma’«, wandte Darius das Wort an Raphael, »wir haben noch knapp dreißig Grad, okay ... mit den ganzen Kerzen jetzt gefühlte vierzig. Machste jetzt hier einen auf karibische Nächte?« Darius kreiste seinen ausgestreckten Zeigefinger in sämtliche Richtungen der Außenterrasse und schaute ihn fragend an.
Unglaublich was der hier auf die Beine gestellt hatte. Sogar Kerzen mit Farbwechsel standen verteilt auf dem Tisch und auf den Bodenfliesen, sehr zu seinem Missgefallen.
»Wieso? Ist doch schön.« Er sah sich die gleichen Stellen an, die sein Gegenüber ihm eben aufzeigte. Mit leuchtenden Augen, in denen sich das Flackern der Kerzen spiegelte, kehrte Zufriedenheit ein.
»Aha. Meinste nicht, das eine oder zwei gereicht hätten?« Fragend deutete Darius mit der Hand auf die zehn Kerzen, die auf dem Tisch standen. »Hätte ich das gewusst, dann hätten wir auch direkt am Tisch grillen können.« Schief lachend über seinen eigenen Witz hielt er sich eine Hand vor den Mund. Im Hintergrund hörte er Vincent ebenfalls amüsiert prustend.
Welcher normale Mensch kam auch schon auf die Idee, einen Tisch mit Kerzen zu übersäen? »Darius!« Warnend nahm Martin seinen Mann ins Visier.
»Was denn?«
Er hatte doch gar nichts schlimmes gesagt, fand er.
»Wolltest du nicht Vincent helfen?«, grummelte Martin mit einem leichten Befehlston und hoffte, dass sein Freund den Wink verstanden hatte. Unterdessen holte er die Salatschüssel aus dem Korb hervor und stellte sie auf den Tisch ab.
»Ja, ja ...«, winkte der Blonde ab, »bin schon weg.« Er schnappte sich die rote Schüssel, die er zuvor dort abgestellt hatte und schlenderte damit zu Vincent, der gerade damit beschäftigt war, das Grillrost einzusetzen. »Hier. Lass’ uns direkt mit den Steaks anfangen, solange die Glut noch richtig heiß ist.« Mit großer Vorfreude auf das saftige Steak, besah sich Darius genau die Art und Weise, wie die Fleischstücke auf das Gitter lagen und gewendet wurden.
Währenddessen plauschten Martin und Raphael über eine bestimmte Marke von Kerzen, die der Rothaarige zu sammeln pflegte. Das war Martins Stichwort und zauberte das Gastgebergeschenk hervor und überreichte ihm die zwei Kerzen. Das ließ sein Gegenüber erfreut aufjubeln, als er beide Lichtspender entgegennahm.
»Hammer! Das sind die mit Stimmungslicht. Eine habe ich da vorne stehen, siehst du sie?« Raphael deutete auf die Ecke neben dem Standpfosten der Glasüberdachung. Dort war eine von grün nach blau verlaufende Lichtquelle auszumachen.
»Oh ja, sieht wirklich toll aus.« Damit log er ihm direkt in sein Gesicht. Gewöhnliche Wachskerzen oder Teelichter mit ihrem warmen Schein, waren ihm dann doch lieber.
»Du flunkerst. Du kannst ruhig ehrlich sein. Ich liebe diese Stimmungslichter.« Das bewies er damit, indem er erneut zu dem Feuerzeug griff und auch die zwei neuen Lichtspender entzündete und sie kurzerhand zu den anderen auf den Tisch stellte. Wie schön das aussah, dachte er und starrte einen Moment lang in die tänzelnden Feuerzungen. »Weißt du ...«, begann er leise, »Vincent mag sie auch nicht. Dafür mag ich seine Modellautos nicht. Ist halt so.« Er zuckte gleichgültig mit den Schultern.
»Doch, doch«, verteidigte sich Martin. »Ich finde Kerzen super, aber Farbwechsel ist nicht so meins.«
Das Gespräch wurde durch einen panisch rufenden Darius unterbrochen und beide drehten ihren Kopf zum Grill, vor dem sie den Blonden die Hände über den Kopf zusammenschlagen sahen.
»Bist du irre?«, rief Darius panisch, »hol’ das sofort da wieder raus!«
»Sorry, war keine Absicht«, entschuldigte sich Vincent patzig. Mit der Zange in der Hand versuchte er das zuvor in die Glut gefallene Stück Fleisch zu greifen und aus den jetzt aufkommenden Flammen zu retten.
»Geh, weg«, murrte Darius fordernd.
Er griff zu der am Grill stehenden Flasche und versuchte mit der Flüssigkeit die Flammen zu löschen.
»Wuah!«, schrie Vincent auf und sprang zur Seite, »Wer ist hier jetzt irre?«
Wie eine Explosion schossen die Flammen ungehalten in die Höhe und erhellten die abendliche Stimmung mit einem riesigen Feuerball. Darius warf panisch die Flasche auf den Rasen vor sich und sprang ebenfalls weg vom Grill.
»Was macht ihr da? Seid ihr beide irre?« Raphael war aufgesprungen und griff instinktiv nach dem Gartenschlauch neben der Terrassentür, rannte damit zum Grill und löschte das Feuer. »Habt ihr sie noch alle?«, motzte er beide Jungs an, »Wollt ihr das Haus abfackeln? Ich hätte doch selbst grillen sollen ...«
»Sorry, Schatz.« Vincent griff sich geschockt in die Haare.
»Schullijung«, murmelte Darius und stand da, wie ein kleiner Schuljunge mit den Händen in den Taschen.
»Darius! Du bist unmöglich!«, brauste Martin auf. Er hätte ihn nicht zu Vincents schicken dürfen, stellte er verärgert fest.
»Was denn? Konnte doch nicht wissen, dass das Flüssiganzünder war«, versuchte er die Schuld von sich zu weisen und blickte auf den Grill, der zischend Rauchschwaden in die Höhe warf. In Gedanken verabschiedete er sich von seinem Steak.
»Tja Jungs ... dann gibt's jetzt wohl nur Salat und Baguette«, stellte Raphael ernüchternd fest und brachte den Schlauch zurück zum Schlauchwagen.
»Alter, bist du lebensmüde?«, wollte der Brünette von Darius wissen.
»Wer hat denn das Fleisch inne Glut geworfen? Ich war's nicht«, motzte der Blonde. »Anfänger«, spuckte er Vincent und Gesicht. »Darius!«, hörte er seinen Freund rufen, nur bewegte der seinen Mund gar nicht. »Darius!«, schallte es um ihn herum.
Was geht hier vor, dachte er, als die ganze Szene vor seinen Augen plötzlich verschwamm und es schlagartig heller wurde.
»Darius! Steh’ endlich auf. Du musst das Fleisch noch machen«, drang in seine Ohren.
Flatternd schlug der Blonde die Augen auf und sah sich orientierungslos um. Das war nicht die Terrasse und hier stand auch kein Grill herum.
»Na, ausgeschlafen?«, erkundigte sich Martin und sah runter zu seinem Freund, der auf dem Sofa lag. »Steh’ jetzt bitte auf. In einer Stunde müssen wir drüben sein.«
»Was? Wo drüben sein?« Darius verstand nur Bahnhof. Was wollte Martin jetzt von ihm?
»Schatz ... In einer Stunde müssen wir bei Vincent und Raphael sein. Der Grillabend ... schon vergessen?« Manchmal fragte sich Martin, wo Darius mit dem Kopf war, so auch jetzt.
Nur langsam sickerten die Informationen in Darius Kopf. Hatte er das eben nur geträumt? Die Explosion, sein Steak ... alles nur ein Traum gewesen? Er rieb sich mit beiden Händen durchs Gesicht und gähnte. »Wir waren noch nicht da? Und es ist auch nicht der Grill explodiert?«, fragte er hoffnungsvoll.
»Was?«, lachte Martin, »Was für ne Explosion?«
»Vergiss es«, winkte Darius ab und setzte sich auf. Also doch nur ein Traum gewesen, stellte er überglücklich fest.