Heute war der sechste Tag auf Gran Canaria und du würdest am liebsten nie wieder abreisen wollen. Besonders seit dem gestrigen Abend nicht, als Marcel dich angesprochen hatte und du mit ihm an den Strand gegangen warst. Sein warmes Timbre seiner Stimme lag noch immer in deinen Ohren und du glaubtest, seinen markanten Duft noch stets wahrnehmen zu können. Aber war das möglich, das ebendieser dir gerade in die Nase stieg? War er hier im Frühstückssaal? Die alleinige Vorstellung davon ließ dein Herzschlag unermesslich in die Höhe schnellen und du blicktest dich linksseitig um. Am Buffet fandest du ihn nicht, dafür aber deinen besten Freund, der sich noch weitere Leckereien auf den bereits vollgepackten Teller legte. Dann kam Miranda dazu, seine Freundin, deren Teller – wie üblich – sehr überschaubar bestückt war, weil sie sich seit Jahren zu korpulent fühlte. Du musstest unweigerlich schmunzeln, als sie sich von Melvins Teller eine Tomate stibitzte, die sie schnell in ihrem Mund verschwinden ließ. Und gerade als du dich von den beiden abwenden wolltest, spürtest du einen heißen Atem an deiner Haut und der Geruch von süß-orientalischen Hölzern war keine bloße Einbildung.
»Hallo Jan, so gut gelaunt heute Morgen?« Seine gehauchten Worte ließen dich kurzzeitig das Atmen vergessen und dir kamen die Bilder von gestern Abend in den Sinn. Er, wie er neben dir gesessen hatte und du, wie du dich an ihn gelehnt hattest, als einige Windböen aufgekommen waren. Seine Wärme war genau das Richtige gewesen, was du in dem Moment gebraucht hattest.
Durch diese Erinnerungen fand die Hitze Einzug in deine Wangen und zaghaft drehtest du deinen Kopf zu ihm herum. Sein sanftes Lächeln, jenes er dir schenkte, brachte deine Gedanken vollends durcheinander. Außer einem zustimmenden Brummen kam dir nichts über die Lippen.
»Darf ich mich zu dir setzen?« Seine saphirblauen Augen schienen nur dich anzusehen und je tiefer du in diese blicktest, desto mehr versankst du in ihnen. Gestern Abend waren sie dir dunkler erschienen, selbst in der Abendsonne, als sich deren Schein in ihnen zu spiegeln begonnen hatte.
»Ja, gerne«, sagtest du und deine eigene Stimme kam dir dabei fremd vor. Ob Marcel es bemerkt hatte?
Als er den Stuhl gegenüber von dir wählte und sich darauf niederließ, griff deine Hand wie von selbst zu deinem Kaffee, den du hastig trankst, um deine trockene Kehle zu benetzen. Die Tasse stelltest du zurück auf den Tisch und als du zu deinem Messer greifen wolltest, wurde deine Hand in der Bewegung gestoppt, als sich Marcels Finger um sie legten. Augenblicklich begann deine Haut zu kribbeln und erschrocken davon sahst du auf die Verbindung.
»Jan, mir haben unsere gemeinsamen Gespräche gestern Abend sehr gefallen«, sagte er und streichelte dabei mit seinem Daumen über deinen Handrücken. »Und ich würde unheimlich gerne den heutigen Tag mit dir verbringen. Was hältst du davon?«
Seine Worte drangen nur langsam in dein Ohr und noch viel länger dauerte es, bis jedes einzelne davon in deinem Kopf ankam. War das gerade wirklich real oder nur ein Luftschloss in deinen Träumen? Es war real und das spürtest du auch, als er dich durch einen leichten Druck an deiner Hand in das Hier und Jetzt zurückholte. Dich räuspernd taxiertest du ihn und sagtest mit fester Stimme: »Unter einer Bedingung.«
Marcel nickte, ohne dich dabei aus den Augen zu lassen. »Wir gehen sofort, bevor meine zwei Begleiter sich hier gleich niederlassen.«
Sein Lächeln wurde breiter und im nächsten Moment stand er abrupt auf. »Na, dann los. Ich will keine Zeit verlieren.« Er hielt dir seine Hand entgegen und mit klopfendem Herzen legtest du deine hinein.
*** Kleine Fortsetzung zu "Sommernachtstraum".