Fortsetzung und sogleich letztes Kapitel zu Jans Geschichte.
1. Sommernachtstraum
2. Luftschloss
3. Hoffnungsschimmer
4. Probelauf
5. Kastanien
6. Bunte Blätter
Langsam nahmst du Geräusche sowie eine Stimme um dich herum wahr. Dein Kopf schmerzte, während vor deinen geschlossenen Augen sich ein reger Schattentanz abspielte. Du fragtest dich, wo du warst und plötzlich fiel dir alles wieder ein. Der Wald. Der Hund. Marcel. Es war seine Stimme, die dich dazu aufforderte endlich die Augen zu öffnen. Behutsam folgtest du seiner Anweisung und fandest dich in seinen Armen wieder. Sein unverkennbarer Geruch stieg dir in die Nase.
»Endlich«, hörtest du ihn sagen. »Mann … du hast mir einen Riesenschreck eingejagt. Geht es wieder?«
Du sahst auf, direkt in seine Augen, die du jederzeit blind genau beschreiben konntest. War es Schuld, die in seinem Blick lag? Oder Besorgnis? Du nicktest, wolltest dich erst von ihm entfernen, dich zurückziehen. Am liebsten weit weglaufen und alles aus dir herausschreien, aber irgendetwas hinderte dich daran. Du brauchtest nicht lange überlegen, denn der Grund lag schließlich direkt vor dir. Der Mann, mit dem du dir eine gemeinsame Zukunft vorgestellt hattest, bevor er wie vom Erdboden verschwunden war.
»Jan, hör mir bitte zu. Ich weiß nicht, wo ich anfangen soll, aber irgendwie scheine ich dich zu kennen. Du sagtest, ich hätte dich vom Flughafen abholen wollen, aber ich kann mich nicht daran erinnern. Man hat mir erzählt, ich sei auf Gran Canaria gewesen, aber davon weiß ich auch nichts mehr, weil ich einen Unfall am Flughafen hatte. Und eben war mir eine seltsame Eingebung gekommen … und du kamst darin vor. Waren wir zusammen dort?«
Sein Gesagtes kam nur träge bei dir an. Es dauerte einen Moment, bis du die Informationen verarbeiten konntest und hieltest währenddessen den Blickkontakt konstant aufrecht. »Du hattest einen Unfall?« Sogleich fiel dir die Situation am Flughafen ein. Der Krankenwagen. Zwei Sanitäter, die ein Tuch über eine am Boden liegende Person gelegt hatten. Das laute Geschrei zwischen einem betrunkenen Mann und zwei wild gestikulierenden Polizisten. War Marcel etwa daran beteiligt?
»Ja«, kam es schwerfällig von Marcel. Er drückte dich etwas von sich und sah dir direkt ins Gesicht. »Ich selbst kann mich nicht daran erinnern, aber dabei habe ich meinen besten Freund verloren. Man hat mir gesagt, dass ein angetrunkener Fahrer Schuld gewesen sei. Dominik ist noch an der Unfallstelle verstorben.« Schluckend unterbrach er sich und du sahst, wie seine Augen zu schimmern begannen.
»Scheiße«, rutschte es dir unüberlegt heraus. »Ich hab den Krankenwagen gesehen, als ich aus dem Gebäude kam. Marcel, es tut mir leid. Ich hatte ja keine Ahnung … ich war so mit mir selbst beschäftigt, weil ich so enttäuscht war, dass du nicht gekommen bist … ich war ein Idiot.«
Er zog die Nase hoch und wandte sich dir wieder zu. »Konntest du ja nicht wissen. Also kennen wir uns? Sagst du mir, woher?«
Dich aufsetzend wägtest du ab, was du ihm erzählen solltest, entschiedst dich für die ganze Geschichte und begannst zu berichten. Marcel hörte dir aufmerksam zu. Gelegentlich hob er erstaunt eine Augenbraue oder sah verlegen zur Seite. Nach deiner Erzählung kehrte Schweigen ein, nicht unangenehm, aber du wünschtest dir eine Reaktion seitens deines Gegenübers. Gerade, als du etwas sagen wolltest, räusperte sich Marcel mehrmals. Es schien, er suchte nach den passenden Worten. Du gabst ihm die Zeit. Dann sah er dich gerade heraus an.
»Okay, jetzt kann ich deine Reaktion auch verstehen. Oh Mann … ich weiß nicht, was ich sagen soll. Obwohl ich nichts mehr davon weiß, fühle ich mich gerade sehr mies. Richtig mies.« Er stockte, brach den Blickkontakt erneut ab.
Du spürtest sein Unbehagen und legtest deine Hand auf seine Schulter, drücktest sie. »Brauchst du nicht. Wirklich nicht. Jetzt habe ich eine Frage an dich und ich möchte sie ehrlich beantwortet haben. Darf ich sie dir stellen?«
»Ja, natürlich.«
»Schau mich bitte an«, sagtest du und er kam deiner Aufforderung nach. »Nachdem ich nun alles gehört und ich dir von unseren schönen Momenten erzählt habe, möchte ich gerne von dir wissen, ob es eine Chance gibt, dass wir wieder zusammenkommen. Also, ich meine … na ja, also ob wir … ich … Mann …« Weiter kamst du nicht, weil Marcel dir seinen Finger auf deine Lippen legte und dich damit zum Schweigen brachte. Insgeheim warst du ihm dafür dankbar, weil dein Gestotter dich wie der letzte Volltrottel aussehen ließ.
»Die Eingebung, die ich vorhin hatte«, begann er zaghaft und sah dir dabei tief in die Augen. »Sie war schön und kam mir so vertraut vor. Ich weiß nicht, ob es mir hilft, mein Gedächtnis zurückzuerlangen, aber darf ich sie wiederholen und dich küssen?« Zum Ende hin wurde er leiser, bis nur noch ein Flüstern seine Lippen verließ.
Augenblicklich verschnellerte sich dein Herzschlag. Die Situation war seltsam, ja, aber genau das wolltest du doch, oder? Zögerlich nicktest du. Etwas in Marcels Augen blitzte auf, während er sich deinem Gesicht näherte. Was war es nur? Federleicht berührten seine Lippen deine. Die Stelle begann sofort zu kribbeln und du seufztest wohlig auf, die Augen schließend. Der Kuss endete schnell, zu schnell, für deinen Geschmack. Wie ein zartes Liebkosen, ein kurzer Vorgeschmack auf das, was noch folgen könnte. Am liebsten hättest du Marcel zu dir zurückgezogen und nie wieder losgelassen. Langsam öffnetest du deine Lieder und sahst direkt auf Marcels Lippen, auf denen ein warmes Lächeln lag.
»Danke, Jan. Darf ich dir auch eine Frage stellen?«
Schnell senktest du zustimmend den Kopf.
»Könntest du dir vorstellen, es mit mir nochmal zu versuchen?«
Dir fehlten jegliche Worte und aus einem Impuls heraus, überbrücktest du die kurze Distanz zwischen euch und küsstest ihn erneut. Dieses Mal länger als zuvor. Das Schönste daran: Er erwiderte.
Somit gefiel ihm deine Antwort.