»Musst du den ganzen Scheiß hier verteilen?« Darius zeigte auf den am Boden stehenden Karton, der mit Hasen, bunten Eiern und irgendwelchen farbenfrohen Dekorationen gefüllt war. Er sah vor seinem geistigen Auge das Desaster; in jeder Ecke eines dieser dämlich grinsenden Karnickel, die an Abscheulichkeit nur noch durch Weihnachtsmänner und Elfen übertroffen wurden; in den Fenstern diese quietschbunten Eier, die bei jedem Windhauch gegen die Scheibe klopften und zum krönenden Abschluss graute es ihm bereits davor, die grässliche Girlande aufhängen zu müssen, die mit farbenfreudigen Buchstaben die Botschaft ›frohe Ostern‹ verkündete.
»Es ist bald Ostern, Schatz. Und wie jedes Jahr schmücke ich das Haus. Solltest du aber langsam wissen.« Der Schwarzhaarige schaute sich nicht einmal zu seinem Freund um, als er antwortete und kramte aus einer Tüte diverse Figuren heraus.
»The same procedure as every year«, murmelte Darius in seinen nicht vorhandenen Bart und rümpfte die Nase, als er sah, wie sein Freund einen weiteren Hasen auf die Fensterbank stellte. Wenn der so weitermachte, dann wäre das Fensterbrett bald zugestellt mit aber hübschen Gestalten, die ihn von nun an tagtäglich angrinsten und ihn in seiner Einstellung verspotteten.
»Hör’ auf rumzumurren und hilf mir lieber. Guck’ mal in dem Karton, da müssten zwei Girlanden liegen … die könntest du schon mal aufhängen. Eine über dem Rundbogen und die andere hier über den Fenstern.«
»Soll ich vielleicht noch ein paar bunte Schleifen an jede Klinke binden?« Genervt folgte Darius einem weiteren Hasenpaar, das den Weg auf die Fensterbank fand. Zwangsläufig musste er an Chucky die Mörderpuppe denken, nur dass er selbst es sein würde, der mit einem Messer in der Hand einen Amoklauf machen würde.
»Liegen auch in der Kiste«, trällerte Martin und wandte sich grinsend seinem Freund zu. »Jetzt guck’ nicht so. Immerhin bekommen wir Besuch. Was glaubst du, würde deine Mutter sagen, wenn hier nichts nach Frühling und Ostern aussieht?«
»Sie würde sich beschweren und hoffentlich schnell wieder gehen. Wieso hast du sie überhaupt eingeladen? Ich dachte es soll ein schönes Fest werden …« Es gab wenige Menschen in seinem Leben, die er nicht brauchte. An erster Stelle stand seine Mutter, die ihn ohnehin nur ständig rügte und ihm das Leben schwer machte. Nur sein Martin verstand sich ausgezeichnet mit ihr. Wenn er doch bloß die Mutter tauschen könnte, denn Brigitte, Martins Mutter, war weitaus angenehmer und nörgelte nicht ständig an ihm und alles andere herum.
»Hase …«
»Nenn’ mich nicht so, sonst renne ich hier gleich schreiend aus dem Haus.«
»Oh Mann …«, stöhnte Martin kopfschüttelnd, »deine Mutter gehört dazu, basta. Ich weiß auch gar nicht, was du immer hast? Ich komme super mit ihr aus. Und jetzt fang’ endlich an.« Sich zu den Fenstern umdrehend, begann der Schwarzhaarige weitere Dekorationen aufzustellen und summte währenddessen eine fröhliche Melodie.
»Ich komme immer super mit ihr aus«, wiederholte Darius die Worte seines Freundes und hob eine der Girlande aus dem Karton.
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»Sieht doch toll aus.« Sich am Türrahmen lehnend, betrachtete Martin das Gesamtkunstwerk. »Man könnte noch …«
»… weniger nehmen, ganz deiner Meinung«, murrte der Blonde, der neben Martin stehend das für ihn empfundene Grauen mit genervter Miene betrachtete. Spätestens wenn seine Mutter morgen käme, dann würde aus dem Grauen ein Horror werden, da war er sich sicher.
»Ja, ja, wenn es nach dir ginge, dann gäbe es kein Ostern, schon klar. Und weil wir zwei Hübschen jetzt fertig sind, tun wir uns jetzt was Gutes und fahren zum Phönixsee und essen uns dort ein schönes Eis. Los … Schuhe anziehen und Abmarsch.« Martin wandte sich um und drückte seinen Freund vor sich her in den Flur. Immerhin hatten sie sich nach der ganzen Arbeit eine Belohnung verdient, fand der Schwarzhaarige.
»Weißt du was da heute los ist? Schon mal nach draußen geguckt? Das wird wieder brechend voll sein.«
»Schatz, hör’ auf zu motzen. Ich dachte, du magst den See? Lass uns ’ne Runde drehen, es blüht doch jetzt alles so schön.«
»Und anschließend noch einen Spaziergang im Grünen. Vielleicht treffen wir dort auch wieder diese bunten Karnickel … das wird ein Spaß«, sagte Darius lachend und rieb sich die Hände aneinander. Wenn das wieder so war, wie letztes Jahr, dann würden sich die unechten Osterhasen warm anziehen müssen.
»Ich weiß genau, was du gedacht hast, mein Freund. Und eines sage ich dir: du wirst dich benehmen. Wie würde wohl deine Mutter reagieren, wenn ich ihr erzählen würde, was du wieder angestellt hast?«
Darius Miene verfinsterte sich augenblicklich. »Petze«, warf er Martin vor und öffnete schwungvoll die Haustür. »Was jetzt? Bist immer noch nicht fertig?«
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»… und dann hat er dem einen Hasen den Kopf abgezogen, nur um den Kindern zu zeigen, dass es ein falscher Osterhase ist. Die Kleinen taten mir so leid …«, berichtete Martin Erika. Die ältere saß direkt neben dem Schwarzhaarigen am Tisch und hörte interessiert zu.
»Ach, Martin … reg’ dich nicht auf. Ich weiß auch nicht woher er das hat. Irgendwas muss in der Erziehung schiefgelaufen sein. Anders kann ich mir das wirklich nicht erklären. Und jetzt zu dir …« Sie wandte sich an Darius, der ihr gegenüber saß und teilnahmslos den Kopf auf seiner Hand abgelegt hatte. Es wirkte, als würde er jeden Augenblick einschlafen.
»Wasn?«
»Dein Vater hätte dir das nicht so einfach durchgehen lassen«, ließ sie ihren Sohn wissen, »früher hast du dich doch auch gefreut, wenn du ein Osternest bekommen hast. Und heute …« Über Darius Benehmen konnte sie nur mit dem Kopf schütteln und richtete ihre nächsten Worte an ihren Sitznachbarn. »Weißt du, Martin, ich lasse mir etwas einfallen«, flüsterte sie mit vorgehaltener Hand und wandte sich an ihre Tochter. »Elena, kommst du mal bitte mit?«
»Warum?«
»Plan B«, sagte die Mutter verschwörerisch und erhob sich von ihrem Stuhl. Sie war sich sicher, dass ihre Tochter von ihrem Plan begeistert sein würde.
»Jetzt schon?«, erkundigte Elena sich kichernd und stand ebenfalls auf.
Darius ging das Gespräch am Allerwertesten vorbei. Sollten sie doch irgendetwas aushecken; er würde es so oder so nicht tun.
»Eigentlich schon zu spät, wenn man bedenkt, was mein Junge zur Weihnachtszeit gemacht hat.«
»Ach, Brüderchen, ich freue mich jetzt schon. Was auch immer es sein wird, aber ich bin mir sicher, dass du bluten wirst.« Auf die Schulter ihres Bruders klopfend, grinste sie breit und lief hinter Erika her.
Beide verschwanden tuschelnd in die Küche.
»Du bist echt ’ne Petze, weißt du das?« Darius rührte sich keinen Millimeter und taxierte seinen Freund, der mit verschränkten Armen auf seinem Stuhl saß und Löcher in die Lust starrte.
»Das hat mit petzen nichts zu tun. Du zwingst mich förmlich dazu. Aber eins verspreche ich dir: nächstes Mal fahre ich alleine. Dann kannst du hier versauern.«
»Abgemacht. Dann kann ich …«
»… was im Haushalt tun. Wer sich nicht benehmen kann, der muss halt fühlen.« Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche. Noch einmal würde sich Martin nicht in eine so missliche Lage bringen lassen. Er fragte sich nur, was die beiden in der Küche wohl beredeten. Sicherlich würde es ihm Erika selbst erzählen, so, wie sie es immer getan hatte.
*Fortsetzung folgt demnächst.
Ich wünsche Euch allen frohe Ostern.