Der Wetterfrosch erzählte am Freitag etwas von höheren Temperaturen und viel Sonne, die angeblich überall in Deutschland scheinen sollte. Mein Vitamin-D-Speicher lachte freudig über diese Mitteilung auf und machte sich auf Nachschub bereit. Also plante mein Freund Martin ein kleines Grillfest, das aus mindestens zehn Mitmenschen bestehen sollte. Nach einer Diskussion und einigen Beleidigungen meinerseits, einigten wir uns auf vier Personen. Alles darüber wäre mir zu viel gewesen, sodass ich sie ohnehin nur vergraulen würde, wenn sie nicht bereits vorher abgesagt hätten.
Als ich am Samstag zur Küche gehend im Vorbeilaufen den Stift, der sinngemäß einen Wanderpokal darstellte und in den unterschiedlichsten Ecken zu finden war, vom Tisch an mich nahm, blieb ich in meinem Zielraum stehen und sah mich um. Was brauchte ich? Mein Blick zur Pinnwand gleitend, überflogen meine Iriden die ineinander gefächerte dämliche Ansammlung von Postkarten aus dem Irgendwo und Nirgendwo. Weshalb mussten diese unnützen Papierdinger gehortet werden? Ich nahm mir vor, sie bald zu entsorgen. Obwohl … immerhin würde es für jeden Besuch so aussehen, als hätten wir reichlich Freunde, die in südlichen Ländern ihren wohlverdienten Urlaub genossen. Ich ließ die sinnlosen Urlaubsgrüße unberührt, dachte an einen Salat, den ich hätte machen können und schnappte mir einen der losen Papierzettel vom Stapel. Nach weiteren Überlegungen, welche Zutaten meine Gäste nicht gleich umbringen würden, sobald ich diese verarbeitet hätte, ließ ich Martin wissen, dass ich mit der Liste fertig war. Der Blick, den er mir zuwarf, sprach Bände und ich musste unweigerlich schmunzeln, zeigte es aber nicht. Den Gefallen würde ich ihm nicht tun, also wanderte nur eine meiner Augenbrauen in die Höhe, während ich abwartend mit einem Fuß auf den gefliesten Boden tippelte.
Mein Freund brummte wie ein Bär, als er sich erhob und ich fragte mich, von welchem Elternteil er das wohl hätte. Als wir bereits draußen am Auto waren, fiel mir ein, dass ich doch noch einmal auf die Toilette gehen sollte. Verdammter Kaffee. Ein weiterer Stopp am Spiegel, um mich auch zu vergewissern, dass ich ausgehtauglich war, wobei es mir eigentlich doch egal war. Momentan rannten doch sowieso alle wie Zombies mit aufgeplatzten Kopfkissen auf dem Kopf durch die Straßen, da alle Frisöre geschlossen hatten. Als wir bei dem großen Supermarkt angekommen waren, hätte ich beinahe hämisch aufgelacht.
In Einerreihe und mit einem Wägelchen in der Hand standen die von mir angesprochenen verwahrlosten Untoten in einer mindestens zwei Kilometer langen Schlange vor dem Eingang. Okay, das war vielleicht etwas übertrieben, aber gefühlte zweihundert Meter waren es ganz bestimmt. Es fehlte nur noch das obligatorische Hinweisschild wie in den Freizeitparks mit der Aufschrift: ab hier noch zehn Minuten. Meine Mundwinkel wanderten nach unten Richtung Marianengraben und meine Laune sank in die selbigen Tiefen. Mein Freund wollte schon einen anderen Markt ansteuern, doch hielt ich ihn davon ab und redete ihm gut zu, dass wir nicht viel bräuchten. Wenn ich mich jetzt noch beeilte, dann würde ich noch eine vor uns schleichende Oma einholen und mich in der Schlange eher anstellen können. Meine Mundwinkel zuckten leicht bei der Vorstellung, dass die Langzeittote mich ausschimpfen würde. Ob Martin meine Absicht bemerkte, glaubte ich nicht. Mit dem Wagen zum Laden stürmend, überholte ich tatsächlich das grauhaarige Medizinwunder und erntete auch gleich eine wilde Schimpftirade. Hinter mir hörte ich das brummende Lachen meines Freundes, der nach einer weiteren Zurechtweisung der Alten jedoch verstummte und stillschweigend neben mir zu Stehen kam. Er meinte, dass ich unmöglich sei, aber das ignorierte ich geflissentlich. Wozu sollte ich mir auch darüber Gedanken machen? Nachdem ich das imaginäre Schild passiert hatte, lachte meine dunkle Seite auf, nachdem die Tür vor mir zugeschlagen wurde. Zu früh gefreut. Nach einer trockenen Bemerkung einer schlaksigen Gestalt in einem Einteiler vor mir, hieß es nun wieder warten, bis der nächste Kunde den Laden verlassen würde. Und ich wartete. Unauffällig ließ ich meinen Blick zu meinen Hintermännern wandern und traf auf die giftig dreinblickende Alte, deren Blick so viel verhieß, dass ich auf der Stelle in der Hölle hätte schmoren sollen. Auch in Ordnung. Immerhin war es dort gemütlich warm. Außerdem hatte ich Höhenangst und meine Vorstellung, auf irgendwelchen Wolken zu laufen, gefiel mir ganz und gar nicht. Ob ich über der Wolkendecke als Engel einen Sonnenbrand bekommen würde? Ich schenkte der scheintoten Giftspritze mein schönstes Lächeln, bevor ich von Martin in die Seite geknufft wurde, mit der Bemerkung, dass ich doch endlich hereingehen solle.
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Also wenn das die Hölle war, dann würde ich doch das Ticket nach oben nehmen. Es war das reinste Massaker in den Gängen gewesen. Die gefühlt tausend Jahre alte Zombiefrau, deren Gesicht wie ein eingefallenes Soufflé bei jeder Bewegung mir zuzuwinken schien, hatte ich noch mehrmals zwischen den Regalen gesehen. Und nachdem sie sich vor mich gedrängelt hatte, um das letzte Paket Toilettenpapier zu ergattern, war alles ganz schnell gegangen. Die Leute hatten uns angesehen, als hätten sie sich inmitten eines Amoklaufes befunden. Gesiegt hatte ich. Logisch, oder?
Den Laden durften wir anschließend nicht mehr betreten, aber das war auch nicht weiter schlimm. Die Kassiererin, deren Winkeärmchen mich zu sehr abgelenkt und fasziniert hatten, hatte mich aufgefordert, schneller einzupacken. Sie musste aus einer Geisterbahn entlaufen sein, anders konnte ich mir nicht erklären, warum sie komplett hinter Glas gesetzt wurde. Ich fragte mich, ob es hier einen Hinweis gab, dass ich sie nicht füttern solle.
Mein sonst friedlicher Mann, der jetzt gar nicht mehr so ruhig war, redete lautstark auf mich ein, wie ich denn so eine Aktion hätte machen können. Ich zuckte darauf nur mit den Schultern und grinste. Sein nahezu hilfloses Stöhnen vernahm ich, hakte es aber als eine Zustimmung seinerseits ab, dass das völlig in Ordnung war. Immerhin hatte ich die gesamte Einkaufsliste abgearbeitet und nicht er.
Zu Hause angekommen, bereiteten wir alles vor. Ich kümmerte mich in der Küche um den Salat, streng nach Kochbuch, während Martin laut fluchend sich den Daumen am Klapptisch auf der Terrasse eingeklemmt zu haben schien, glaubte ich seinen Verwünschungen gegenüber dem unschuldigen Möbelstück. Mit einem schadenfrohen Lachen, das ich meinem vor Schmerz verzerrt dreinblickenden Gatten schenkte, als der mit schnellen Schritten und am Daumen lutschend zu mir an die Arbeitsplatte kam, um seinen Finger in dem kalten Wasser in der Spüle zu kühlen, ließ ich ihn wissen, dass ich seine Aktion grandios fand. Das war wieder so typisch für ihn, eine seiner besonderen Gaben, die ich schon immer an ihm zu schätzen gewusst hatte. Meine eigene blutende Schnittwunde am Zeigefinger versteckte ich gekonnt hinter der Kartoffel, die in meiner Hand lag. Ich war schließlich nicht die Ein-Mann-Show hier in diesem Haus.
Als ich mit fertigem Salat und Serviettenhalter auf die Terrasse trat, lugten unsere Gäste, Raphael und Vincent, gerade winkend um die Paneele. Diese Bewegung erinnerte mich augenblicklich an das alte Gesichtssoufflé. Ich ignorierte die beiden gekonnt und blickte gen Himmel. Aber was meine entzückenden Iriden sahen, war weit gefehlt von dem, was der Wetterheini von sich gegeben hatte. Wo war die Sonne abgeblieben? Ich bekam eine Gänsehaut, als aus dem Nichts eine eiskalte Windböe auf mich traf. Ich beschloss, mich umzuziehen und meine kurzen Klamotten gegen etwas Längeres zu tauschen.
Nach nur zehn Minuten machte ich einen weiteren Wechsel gegen wasserabweisende Outdoor-Bekleidung. Weitere Minuten vergingen und ich verlor die Geduld, zog mich in das wohlige Wohnzimmer zurück und schickte vernichtende Blicke und stumme Schimpftiraden gen Himmel. Das war der Augenblick, als ich an die angepappten Postkarten aus irgendwo im Süden zurückdachte, die mich aus der Küche hämisch auszulachen schienen. Grimmig, jedoch nach außen hin lächelnd, zeigte ich den Urlaubsgrüßen meinen wohlgeformten Mittelfinger und entsorgte sie kurzerhand. Ich brauchte dringend eine Auszeit. Das sagte auch mein Liebster, der sich im selbigen Augenblick von hinten an mich schmiegte und mir mit seiner brummenden Stimme in mein Ohr flüsterte, dass ich doch einmal ein netteres Gesicht machen sollte. Er bekam dieselbe Geste, die ich den Karten, die ich innerlich auslachte, eben erst gegeben hatte. Der Tag war gelaufen und ich schnappte mir aus reiner Höflichkeit eines der gefüllten Schnapsgläser von dem Terrassentisch, trank es und beschloss, einfach das ganze Tablett mit den drei weiteren Gläsern in das Innere des Hauses zu nehmen. Eins für das Wetter, eins für das missratene Grillfest und für das letzte fiel mir kein Grund ein. Ich
trank es aber trotzdem, sehr zum Leidwesen unserer dumm aus der Wäsche guckenden Gäste.
Laut Thermometer waren es gerade mal neun Grad, hieß also, dass dieser Wetterfuzzi auch die dicken weißen Zahlen über der Deutschlandkarte nicht beherrschte. Einen Moment lang überlegte ich, ob sich seine Sätze vielleicht auf südliche Länder bezogen hatten, verwarf aber den Gedanken, als eine plötzliche Aufbruchsstimmung entstand und sich mein Freund, gefolgt von unseren Freunden sich an mir vorbei in das Wohnzimmer drückten und sich wie nasse animalische Kläffer schüttelten. Auch so ein Ding.
Na ja, jetzt saßen wir alle auf dem Sofa und aßen Pizza, die wir uns liefern lassen hatten. Interessant waren die Kartons, der eindeutig ein stiefelförmiges Land abbildete. Sie schmeckte mir aus Trotz nicht mehr. Italienische Küche war doof, genau wie das Land und alle anderen, die Sonnenschein hätten, auch. Ich spürte meinen Mittelfinger zucken, hielt ihn aber davon ab, einen Showtanz vor meinen Gästen zu veranstalten, während meine Gedanken über diesen beschissenen Tag lautmalerisch zu starten begannen und durch die Hand meines Freundes erstickt wurden. Schon einmal eine Handinnenfläche mit der Zunge gekitzelt? Jedenfalls funktionierte mein Plan und ich ließ meinen Besuch wissen, wie dämlich diese Grillaktion und der Tag doch waren und dass sie mir die gottverdammte Flasche endlich geben sollten, damit ich meinen Frust herunterspülen konnte. Ich bekam sie, halbvoll. Nach drei Schlucken versuchte mein neben mir sitzender Freund die Pulle abzunehmen. Warum grinste der so dämlich? Ich gewann. Die Flasche war leer und ich ließ mich rücklings in die Lehne sinken. Sechs Augen sahen mich an, als hätte ich ihnen gerade erzählt, dass das Fleisch auf ihrer Pizza aus Fledermäusen gemacht wurde. Genau das sagte ich ihnen auch. Fanden sie aber nicht so lustig. Im inneren Monolog zwischen Gut und Böse, wog ich ab, ob ich noch einen draufsetzen sollte. Böse gewann, mein Mann leider auch. Er hielt mir, nachdem die ersten Worte meine Lippen verlassen hatten, wieder den Mund zu. Ernsthaft? Das gleiche Spiel von vorne?
Nach einer hitzigen Diskussion über meinen Konsum von alkoholhaltigen Getränken, verabschiedeten sich Raphael und Vincent mit einem aufgesetzten Lächeln und meinten doch glatt, dass wir das noch einmal machen sollten, jedoch wenn das Wetter besser wäre. Nachdem die beiden mit schnellen Schritten durch die Tür verschwunden waren, entfloh mir ein kehliges Lachen voller Sarkasmus und ich meinte zu Martin, dass ich ganz deren Meinung war.