*Die Geschichte ist eine Fortsetzung aus der letzten Challenge "Himmelblau"*
Noch immer saß Raphael regungslos auf seinem Stuhl und taxierte den vor ihm stehenden blonden Mann, der ihm zur Begrüßung die Hand entgegenstreckte. Ein Schauer lief Raphael über den Rücken, als er zögerlich auf die Geste einging und die Wärme des Anderen zu spüren bekam. Dabei bemerkte Raphael auch das dezente Aftershave – eine Mischung aus einer frischen Brise und einem Hauch Vanille –, das in seinem Inneren ein unbeschreibliches Kribbeln auslöste und ihm die Sinne vernebelte.
»Raphael«, stellte er sich mit heiserer Stimme knapp vor und räusperte sich mehrmals. Ausgerechnet jetzt passierte es wieder, dass ihm die Stimme versagte. Es war zum Mäusemelken. Beschämt senkte er den Blick auf die aus Geflecht und Glas bestehende Tischplatte.
»Darf ich mich zu dir setzen, Raphael?« Mark deutete unsicher auf einen der freien Stühle, die um den runden Tisch standen und strich sich eine verirrte Haarsträhne aus dem Gesicht.
»So, einmal das Wasser mit Eis und Zitrone«, unterbrach die Kellnerin die beiden Jungs mit flötender Stimme, »wir haben auch Stühle, junger Mann. Kostet nichts mehr, sie zu benutzen.« Augenzwinkernd sah sie Mark an und deutete mit der Nasenspitze auf die Sitzgelegenheiten.
Die plötzliche Bewegung vor Raphaels Gesicht, riss ihn aus seiner Starre. Erf folgte mit seinen Augen dem Wasserglas und entzog ruckartig, als hätte er sich verbrannt, seine Hand aus Marks festen Griff. »Ähm … danke«, stotterte Raphael und griff augenblicklich zu dem Trinkgefäß, aus dem er hastig trank und sich dabei verschluckte. Ein Hustenanfall war die Folge.
Mark, der noch immer wie bestellt und nicht abgeholt vor dem Tisch stand, stellte seine Frage, ob er sich setzen dürfte, erneut und erntete ein leichtes Nicken von seinem Gegenüber, das in den letzten Nachwehen der Hustenattacke lag.
»Und was kann ich ihnen noch bringen?« Den Stift bereits parat in der Hand haltend, richtete die Bedienung ihre Aufmerksamkeit an Mark, der sich auf einen der Stühle niederließ und seine Tasche auf einen freien Sitz ablegte. Unsicherheit lag in seinem Blick.
»Ein Latte Macchiato mit Karamell, bitte.«
»Sehr gerne.« Mit diesen Worten rauschte die südländische Schönheit davon und Raphael sah erstaunt über die Getränkewahl zu Mark. Das konnte doch nicht wahr sein. Genau das Getränk wollte sich Raphael auch bestellt haben, doch die Anwesenheit des hübschen Marks hatte ihn zu einer kühleren Alternative bewogen.
Nun saßen beide Jungs ohne weiteren Störfaktor am Tisch und jeder hing seinen Gedanken nach, während sie sich gegenseitig verstohlen musterten. Es war Mark, der die Stille zuerst unterbrach und sich mit den Ellenbogen auf der Tischplatte stützte, den Blick interessiert auf Raphael gerichtet. »Also, Raphael … ich hoffe, ich störe dich nicht. Wartest du auf jemanden?« Mark erinnerte sich, dass der Junge Mann mehrmals auf die Uhr gesehen und sich gelegentlich umgeschaut hatte.
»Ja, ich bin mit einer Freundin verabredet«, brachte Raphael fehlerfrei hervor und suchte den Blick des Anderen. Aus dieser Perspektive schienen Marks hellblaue Iriden für Raphael noch viel mehr auszustrahlen, als sie es zuvor in der Ferne getan hatten. Wie ein weites Meer, tiefgründig und unerforscht.
Es legte sich ein rosa Schimmer auf Raphaels Wangen und verlegen drehte er den Kopf zur Seite, um dem Blick des Anderen auszuweichen. Das Gefühl von abertausenden Schmetterlingen, die unaufhörlich ihre Runden flogen, breitete sich in Raphaels Bauch aus und augenblicklich verfluchte er dieses Gefühl. Immer wenn ihm das passierte, war er nicht mehr imstande, etwas Sinnvolles von sich zu geben. Es war, als würden die kleinen Falter ihn daran hindern, logisch zu denken oder zu handeln.
»Ach so. Ähm … also …« Mark hatte Probleme, einen Anfang des Gespräches zu finden, denn auch er litt unter ganz ähnlichen Symptomen, die ihn die Worte vergessen ließen. Genau in diesem Moment wurde er von der Servicekraft unterbrochen.
»Ich hätte hier einen Latte Macchiato mit selbstgemachten Karamell. Darf ich ihnen diesen anbieten?« Mit einer übertrieben gespielten Geste, stellte sie die Kaffeespezialität vor Mark auf den Tisch, ohne eine Antwort abzuwarten. Ein Schmunzeln legte sich auf ihre Lippen, als sie Marks überraschten Blick sah.
»Wow, der sieht gut aus«, lobte Mark und betrachtete die drei akkurat getrennten Schichten aus Milch, Espresso und Karamellsirup.
»Vielen Dank. Wir machen den nach alter Tradition. Das können die wenigsten … «, sagte Maria und flüsterte den letzten Satz mit vorgehaltener Hand, während sie verschwörerisch zwinkerte. Das Unbehagen der beiden Jungs war ihr eben schon aufgefallen, da kam ihr spontan ein Gedanke. Raphael, den sie als Gast schon mehrmals Begrüßen durfte, hatte gelegentlich auch gelesen.
»Ach, welches Buch haben sie eigentlich gelesen? Der Einband sah sehr vielversprechend aus.« Maria liebte ihre Arbeit und hatte viel Übung darin, auch im Lesen ihrer Gäste. Wenn sie bemerkte, dass zwischen zwei Gästen eine Romanze hätte entstehen können, dann half sie dem gemeinsamen Glück mit ein bisschen Fingerspitzengefühl etwas auf die Sprünge.
»Ach, das ist ein Psychothriller. Eigentlich ist der für abends besser geeignet, aber ich kann den einfach nicht aus der Hand legen. Moment …« Mark holte die Lektüre aus der Tasche und reichte ihn der Bedienung. >Maria<, las er nebenbei auf dem silbrigen Namensschild, das auf der schwarzen Bluse der Kellnerin für Jedermann ersichtlich war. Es passte zu der Südländerin, fand Mark.
Raphael lauschte interessiert den beiden und trank einen weiteren Schluck Wasser, um die trockene, geschundene Kehle erneut zu benetzen. Die blutrote Schrift auf dem schwarzen Einband musternd, erhellte sich seine Miene, als er den Titel wiedererkannte. »Der ist gut. Den habe ich vor ein paar Wochen gelesen«, sagte Raphael begeistert und wandte sich an Mark. Die anfängliche Aufregung schien plötzlich wie weggeblasen, als wäre ein imaginärer Knoten geplatzt. Doch das beflügelnde Gefühl in seinem Bauch war noch immer präsent und unweigerlich hoben sich seine Mundwinkel an. »An welcher Stelle bist du, Mark?«
Mit einem zufriedenen Lächeln und eine fröhliche Melodie summend, machte Maria kehrt und ließ den beiden jungen Männer nun alle Zeit der Welt, sich kennenzulernen.