»Was machst du da?«
Martin beobachtete seinen Freund dabei, wie der die eigene Winterjacke, Stiefel und die dick gefütterten Schuhe in einen Karton packte. Was zum Teufel tat er da? Und warum standen die Sommerschuhe und Flipflops auf der Fußmatte? War bei Darius jetzt der Sommer ausgebrochen?
»Ich packe die dicken Sachen auf den Dachboden, warum?« Ohne seine Tätigkeit zu unterbrechen, stopfte Darius auch noch seinen rot-weiß gestreiften Schal in die Kiste und klappte die Laschen um. »So! Fertig.« Das war doch leichter als gedacht, fand er. Er erhob sich und hievte den Karton mit beiden Armen an seine Brust.
»Wie jetzt? Du packst das jetzt schon weg? Schatz, wir haben gerade mal März, nicht Mai oder Juni. Willst du dir den Hintern abfrieren?« Martin stand der Unglaube im Gesicht geschrieben. Wie stellte sich Darius das nur vor? Bei fünf Grad in einer dünnen Sommerjacke durch die Kälte laufen? Das war doch jetzt nicht sein Ernst.
Darius erklomm bereits die erste Treppenstufe und hielt inne, den Karton auf dem Buchenholzgeländer abgestützt. »Siehste doch. Am Ende des Winters kommen meine Klamotten weg, basta. So kalt is’ es doch auch gar nicht mehr. Du kannst ja gerne noch deine Daunenjacke und Schal tragen … ich nicht.« Mit diesen Worten riss er den Karton wieder an sich und verschwand mit lauten Schritten im ersten Obergeschoss. Zurück blieb ein ratlos dreinblickender Martin, der noch immer die Stufen fixierte. War das gerade wirklich passiert? Der Wetterbericht hatte doch für die nächsten Tage fallende Temperaturen und starke Winde vorrausgesagt. Da würde sich Darius aber noch umgucken, wenn der bei Wind und Wetter in T-Shirt und Stoffjacke unterwegs sein würde. Martin schüttelte mit dem Kopf und riss sich damit aus den Gedanken. Ein Grinsen legte sich auf seine Lippen.
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»Was ist? Dir ist doch wohl nicht kalt, oder?«, frotzelte Martin und warf seinem Freund, der neben ihm her lief, immer wieder einen amüsierten Blick zu. Der Blonde zitterte wie Espenlaub, wenn Martin ihn nicht direkt ansah. Aber er konnte es aus dem Augenwinkel erkennen, manchmal auch hören, wenn Darius’ Zähne klapperten. Selbst schuld.
Beide Jungs waren gerade in der Stadt unterwegs, da Martin noch zum Supermarkt und Bürgerbüro wollte. Der Personalausweis musste dringend verlängert werden, da er das bereits seit Wochen aus Zeitmangel aufgeschoben hatte.
»Wie kommst du da denn drauf? Junge, ich bin ein Mann aus Stahl … die frieren nicht. Kennst mich doch.«
»Und genau deswegen frage ich auch«, erwiderte Martin und warf einen Blick auf die Frostbeule neben sich. Dass die Lippen seines Freundes bereits eine leichte Blaufärbung aufwiesen, ließ Martin unkommentiert. Spätestens wenn sein Freund krank im Bett läge, würde der ganz schnell die Wintersachen wieder vom Dachboden holen wollen. Das war so sicher, wie das Amen in der Kirche.
Immerhin trug Darius einen dicken Pullover unter seiner beigen Stoffjacke, aber die blauen Leinenschuhe hielten ganz sicher nicht die Kälte ab. Immerhin waren es nur sechs Grad, es nieselte und ein paar Windböen fegten durch die Gassen der Innenstadt.
»Was?!«, fuhr Darius seinen Freund genervt an. Beide Augen lagen auf dem Schwarzhaarigen, der sich das Lachen nicht mehr verkneifen konnte und losprustete. »Was geierst du denn jetzt so blöd? Hab ich ’n Kotlett an der Backe, oder was?«
»Nee«, sagte Martin lachend, »aber du musst dir schon eingestehen, dass deine Aktion nach hinten losgegangen ist. Sieh dich an … dir ist arschkalt.« Es war abzusehen, dass es genauso ablaufen würde. Kein normaler Mensch wäre so vor die Tür getreten, wie es Darius getan hatte. Die alleinige Vorstellung, dass Darius mit Flipflops durch die Stadt lief, bescherte dem Schwarzhaarigen einen weiteren Lachanfall.
»Alter … wenn du jetzt nicht aufhörst … ich schwöre dir …« Der Blonde schubste Martin an der Schulter von sich weg und sah diesen mit verengten Augen an. »Du bist unmöglich!«
»Das ist mein Spruch, aber heute darfst du ihn gerne verwenden, Schatz«, gluckste Martin und verminderte den Abstand zu seinem Freund, damit er ihm einen Arm um die Schulter legen konnte.
»Lass das!« Darius schüttelte Martins Arm von sich.
»Komm, da vorne ist ein Bekleidungsladen. Ich habe keine Lust, dass du morgen jammernd auf der Couch liegst und ich mich um dich kümmern muss.«
»Ich brauche keine Klamott…«
»Doch! Und jetzt halte einmal deine Klappe und gesteh’ dir selbst ein, dass es noch zu früh war. Nachher holst du brav wieder alles von oben runter. Nochmal gehe ich nicht mit dir in diesem Klamotten raus!« Martin sah es schon kommen, dass sein Freund tausend Tode sterben würde und um Hilfe gebettelt hätte, während er sich um alles kümmern müsste, damit es seinem Freund auch an nichts mangeln würde. Darauf konnte er nun wirklich verzichten, besonders dann, wenn es Darius eigene Schuld war und der sich nichts sagen ließ.
So steuerten die beiden das nächste Modegeschäft an und Darius bekam eine dicke Winterjacke verpasst – gegen seinen Willen. Immer wieder wehrte sich der Blonde dagegen, jedoch behielt Martin die Oberhand und duldete kein weiteres Wort mehr.