Es war bereits dunkel in dem kleinen Uhrmacherladen, nur im hinteren Bereich blitzte noch ein schwacher Lichtschein unter der Tür zur Werkstatt hindurch. In unregelmäßigen Abständen huschten Schatten durch das Licht und jeder, der an dem Geschäft vorbei lief, wusste genau, dass der junge Uhrmacher noch tätig war. Es hatte sich über die Jahre herumgesprochen, dass Jan auch nach Feierabend gerne noch etwas arbeitete. Schließlich hatte er um diese Uhrzeit keine Laufkundschaft mehr und konnte sich ganz gezielt auf seinem Stuhl niederlassen und sich ein weiteres Uhrwerk zur Brust nehmen. Oftmals handelte es sich um antike Erbstücke der Großeltern, die an die nächste Generation weitervererbt wurden. Von der Kleinuhr bis hin zur Gutsherrenstanduhr war alles vertreten. Manchmal kamen Leute mit Spieluhren oder Grammophonen in seinen Laden, auch das bekam er wieder hin und zauberte seinen Kunden jedes Mal ein Lächeln in das Gesicht, wenn die ihre Stücke wieder abholten. Aber manchmal gab es auch Probleme mit den alten Zeitmessern. Durch mangelnde Wartung oder ausbleibender Pflege lag oft einiges im Argen. So auch das Uhrwerk einer Standuhr, an dem Jan gerade arbeitete. Immer wieder betrachtete er kritisch mit dem Okular im Auge die Abläufe des Räderwerks, setzte an manchen Stellen noch einen Klecks Öl oder korrigierte die Abläufe des Schlagwerks, in dem er kleine Hebel und Scheiben versetzte. In jeder Ecke war ein Ticken und ein Schlagen zu hören, das in seine Ohren Musik war, während das gemächliche Ticken einen jeden Raum mit Leben füllte.
Die Stirn lag in Falten, die sich zunehmend vertieften. Gleich wäre er fertig und würde endlich nach Hause gehen können. Dachte er zumindest. Irgendetwas schien nicht zu funktionieren. Nach mehrmaliger Korrektur stand das Räderwerk noch immer still und der blonde Mann war sichtlich genervt.
»Lauf, du Scheißding!«, motzte er die magischen Worte, die jeder Uhrmacher verwendete, wenn nichts mehr half. Es folgte noch ein kleiner Hieb und siehe da, das Uhrwerk lief an. Zufrieden zog er seinen weißen Kittel aus, legte ihn über den Stuhl und verließ die Werkstatt. Und morgen würde dasselbe Spiel von vorne beginnen.
*In der Audiodatei hört ihr einige meiner eigenen Uhren schlagen, die ich für dieses Kapitel aufgenommen habe. Überwiegend sind es (Stand-) Uhren um 1900. Die älteste, eine Zaanse Klok, stammt aus dem Jahre 1720 und wurde an der Zaan, nördlich von Amsterdam, gefertigt.