Heftig zitternd erwachte ich. Scheiße, schon wieder einer dieser Träume! Konnten sie nicht endlich verschwinden und mich in Frieden lassen?
Ich fuhr mir mit der Hand durch die Haare und stand schwankend auf.
»Verdammt, wach endlich richtig auf!«, schrie ich mich innerlich an, doch es übertönte nur kurzzeitig die Stimme in meinem Kopf, die noch immer liebevoll meinen Namen flüsterte und damit meinen Körper erzittern ließ.
Ich erhob mich, verlor dabei fast das Gleichgewicht, konnte mich jedoch gerade noch abfangen. Das Bad, ich musste dringend ins Bad! Dort konnte ich abschließen und niemand würde mir folgen können. Und dann unter die Dusche. Dort konnte ich aufwachen.
Scheiße, wohin? Ich kannte mich hier nicht aus.
Plötzlich griff eine Hand nach meinem Arm und hielt mich fest. Eine Stimme murmelte verschlafen: »Wo willst du denn hin, Süßer?«
Nein! Nein, fass mich nicht an! Nein! »Ich will nicht!«
Ich schaffte es, mich loszureißen und rannte auf die nächstbeste Tür zu.
Weg, ich musste weg! Er durfte mir nicht mehr wehtun. Nie wieder!
Eilig schloss ich die Tür hinter mir.
Das Bad, ich hatte es geschafft! Nur noch abschließen. Wo, wo war der Schlüssel? Er steckte nicht in der Tür. Nein! Nein, er hatte ihn weggetan!
Ich warf mich gegen die Tür. Ich durfte ihn nicht hereinlassen.
Von außen wurde gegen die Tür geklopft. »Hey, alles gut? Brauchst du Hilfe?«
Hilfe? Ja, Hilfe war gut! Er musste mich wieder hier rausholen. Er wusste, wie das ging, er hatte das schon einmal getan. »Mat! Er muss herkommen.«
»Hey, komm raus da.« Die Türklinke wurde heruntergedrückt.
Panisch stemmte mich mit meinem gesamten Gewicht gegen die Tür. »Nein! Lass mich in Ruhe! Hol Mat!«
Ich hörte, wie er sich von der Tür entfernte.
Ich atmete erleichtert auf. Mat würde mich holen kommen, da war ich sicher. Er würde mich wieder hier rausholen.
Ich kauerte mich mit dem Rücken an die Tür und schlang die Arme um meine Beine.
Einen Moment später wurde die Klinke erneut heruntergedrückt.
Panisch kreischte ich: »Nein!«
»Ich find keinen Mat in deinem Handy.« Die Tür schob mich etwas auf dem Boden herum.
»Zombie!« Ich drückte mich mit aller Kraft dagegen.
Was sollte das? Er wusste doch, dass ich Mat unter seinem Spitznamen gespeichert hatte. Sicher wollte er mich ablenken, damit er doch noch hinein konnte. Aber das ließ ich nicht zu.
»Ist ja gut. Alter, was hast du denn eingeschmissen?«, hörte ich die Stimme auf der anderen Seite. Ich hörte ihn etwas auf einem Handy tippen, dann war es still.
Ich ließ die Tür einen Spalt offen. Ich wollte sichergehen, dass er wirklich Mat anrief. Dann hörte ich ihn wieder sprechen. Es klang wirklich so, als hätte er Mat erreicht. Nach einem kurzen Gespräch nannte er ihm eine Adresse.
Sobald ich sicher war, dass Zombie kommen würde, drückte ich die Tür wieder zu. Jetzt würde alles wieder gut werden. Mat würde mich hier rausholen.
Nach einer gefühlten Ewigkeit hörte ich es klingeln.
Endlich! Endlich kam ich hier weg. Noch immer zitterte ich unkontrolliert. Das würde sicher aufhören, sobald dieser Mann auf der anderen Seite der Tür nicht mehr da war.
Nach einer Weile kamen Schritte näher und blieben vor der Tür stehen. Ich hörte Mat auf der anderen Seite: »Hey, Samsa, bist du da drin? Kann ich reinkommen?«
Ich rutschte soweit von der Tür weg, damit er sie öffnen konnte. »Nur du!«
Die Tür öffnete sich, ein Lichtschein traf mich kurz und ließ mich die Augen zusammenkneifen, dann wurde die Tür wieder geschlossen. »Was machst du hier?«
»Er will mir wieder wehtun!«, berichtete ich mit deutlicher Panik in der Stimme.
»Wer?«
»Er!« Mat sollte mich hier rausholen und keine überflüssigen Fragen stellen!
»Darf ich Licht anmachen?«, fragte er vorsichtig, wartete jedoch nicht auf eine Antwort.
Es brannte in meinen völlig verquollenen Augen, sodass ich sie zusammenkniff.
Mat hatte einen kleinen Koffer dabei, den er neben mir abstellte, dann legte er ein Handtuch aus einem der Regale um mich. Besorgt fragte er: »Kannst du aufstehen? Dann komm mal vom Boden hoch, du verkühltst dich noch.«
Mit Mats Hilfe setzte ich mich auf den geschlossenen Klodeckel.
Langsam hob er meinen Kopf in Richtung der Lampe, öffnete meine Augenlider. Ich versuchte das helle Licht wegzublinzeln, doch er hielt mich eisern fest, drehte mich noch weiter ins Licht. »Hast du was genommen?«
»Was?! Nein!« Was sollte die Frage? Glaubte nicht einmal er mir noch?
»Gut. Aber du hast getrunken?«
Ich nickte. Ja, vermutlich.
Zum Glück ließ er meinen Kopf wieder los. Sofort senkte ich ihn und schloss die Augen. So entkam ich dem gleißenden Licht.
Eine Hand legte sich auf meine Schulter. »Weißt du, wo du bist?«
»Zu Hause«, antwortete ich prompt. Was sollten diese Fragen? Er sollte mich nicht mehr hier lassen! Ich musste weg! Sofort war das Zittern wieder da. »Ich muss weg!«
»Samsa, sieh mich an«, forderte er ruhig. Erneut drehte er mein Gesicht so, dass ich ihn ansehen musste. »Atmete tief durch, beruhig dich.«
Was sollte das denn jetzt? Ich wollte doch nur weg!
Doch seine Augen durchbohrten mich, ließen keinen Widerspruch zu.
Ich atmete in dem Rhythmus, den er mir vorgab. Ein, aus, ganz langsam, viel langsamer, als ich es bisher getan hatte. Allmählich wich die Beklemmung in meiner Brust, von der ich erst jetzt merkte, dass sie da gewesen war.
»Gut. Jetzt schau dich um. Wo bist du?«
Was sollte dieser ... Ich stockte, als er einen Schritt zur Seite tat. Warum war die Tür nicht gegenüber dem Klo, sondern neben mir? Warum gab es hier eine Badewanne?
Zombie wiederholte seine Frage.
Verwirrt sah ich ihn an, dann rannen wieder Tränen aus meinen Augen. »Ich ... Ich weiß nicht ...«
Mat seufzte fast schon erleichtert, dann setzte er sich auf den Badewannenrand und reichte mir ein Taschentuch. Während ich meine Tränen trocknete, beobachtete er mich, ließ mich in Ruhe wieder zu Bewusstsein kommen.
»Geht wieder? Kann ich dich kurz allein lassen? Dann hol ich eben deine Sachen.« Vorsichtig nickte ich. Zumindest hoffte ich es.
Beschämt zog ich das Handtuch fester um mich, während Mat kurz das Bad verließ. Jetzt, wo er es ansprach, wurde mir bewusst, dass ich völlig nackt ins Bad geflüchtet war.
Auf der anderen Seite der Tür hörte ich den anderen Mann fragen, was los sei. Mat antwortete jedoch nur mit einem knappen »Panikattacke«.
Nachdem er wieder zurück war, hielt Mat mir meine Sachen entgegen und sah mich skeptisch an. »Bekommst du das allein hin?«
Unsicher zuckte ich mit den Schultern, immerhin zitterte ich noch immer wie Espenlaub. Langsam nahm ich die Unterhose vom Stapel und versuchte, sie mir über die Beine zu ziehen. Vergeblich.
Mat seufzte, legte die Sachen neben uns auf die Badewanne und half mir so weit nötig beim Anziehen. Eigentlich hätte es mir peinlich sein müssen, doch gerade hatte ich ganz andere Sorgen. Lieber ließ ich mir beim Anziehen helfen, als weiter nackt vor ihm zu sitzen.
»Du hast dir noch immer keine Hilfe gesucht, oder?«
Im ersten Moment überrumpelte mich die Frage. Ich hatte nicht damit gerechnet, dass er plötzlich mit mir reden würde.
Gerne hätte ich ihm eine genervte Antwort an den Kopf geworfen, doch im Moment fehlte mir dazu die Kraft. Also schüttelte ich so energisch wie möglich den Kopf.
Genervt seufzte er. »Dann brauchst du aber auch nicht erwarten, dass ich dir ständig helfe! Glaubst du, ich hab nichts Besseres zu tun, als mitten in der Nacht durch halb Boston zu fahren, um dich heulend aus dem Bad irgendeines Lovers zu zerren?«
Erschrocken riss ich die Augen auf. Scheiße, er hatte recht, dass da draußen war ein Kerl! Scheiße, ich war nackt gewesen! Das hieß ... Nein, nein, nicht schon wieder!
»Isaac, scheiße, beruhig dich! Atme langsam!« Er klatschte leicht auf meine Wange, riss mich dadurch aus meinen Gedanken.
Ich schaffte es, meinen Atem herunterzufahren, doch das Zittern blieb. Ich hatte es schon wieder getan!
»Zieh dich fertig an, ich bring dich nach Hause. Wo wohnst du?«
»Lance. 509 Park Drive. Südcampus«, brachte ich unzusammenhängend heraus, während ich versuchte, aufzustehen, um meine Hose über den Hintern zu ziehen. Zombie stützte mich, da meine Beine noch immer kaum Halt boten.
»Gut, das können wir laufen. Wenn du dazu in der Lage bist?«
Ich nickte knapp und schloss den Knopf. Irgendwie würde das sicher schon gehen. Ich wollte einfach nur hier weg.
»Schön, dann nüchterst du auch noch etwas aus.«
Zum Schuhe und Socken anziehen setzte ich mich wieder. Dann verließ ich auf Mat gestützt das Bad und die Wohnung. Den Kerl sah ich gar nicht erst an, das war mir zu peinlich. Außerdem wollte ich gar nicht wissen, wie er aussah.
»Hier?«, fragte Mat irgendwann.
Verwundert sah ich auf. Ich hatte mich einfach nur von ihm führen lassen, gar nicht auf den Weg geachtet, und war nun erstaunt, das Haus zu sehen, in dem Lance und ich wohnten. Ich nickte nur.
»Hast du einen Schlüssel?«
Ich kramte danach und drückte ihm diesen dann in die Hand. Ich würde die Tür eh nicht öffnen können, ich war froh, dass ich auf Mat gestützt halbwegs geradeaus laufen konnte.
Er probierte kurz herum, dann öffnete sich die Haustür und kurz darauf auch die Zwischentür. Unschlüssig stand er im Flur, sah auf die Türen der Apartments und die Treppe. »Wohin?«
Ich deutete nach rechts, den kurzen Flur entlang, wo rechts eine Tür abging und direkt geradeaus unser Apartment lag. »Gradaus. Einundzwanzig.«
Diesmal fand er auf Anhieb den richtigen Schlüssel und ließ uns beide ein. Kurz sah er sich um, dann ging er nach links. Das Schlafzimmer war nicht schwer zu finden, immerhin hing ein großes Bild von Lance und mir an der Tür. Cohen und Andrej hatten das witzig gefunden und wir trauten uns nicht, es abzunehmen und uns ihren Zorn zuzuziehen.
Ich versuchte, in der Wohnung möglichst leise zu sein, schaffte es aber gerade einmal ein paar Meter, bevor ich mich an der Badtür stieß, die jemand offengelassen hatte. Leise fluchte ich. Dann endlich hatten wir es ins Zimmer geschafft. Zombie bugsierte mich zum Bett, wo ich mich einfach nur fallen ließ.
»Du bist toll«, säuselte ich. Warum war mir das eigentlich noch nie aufgefallen?
»Oh Gott, du bist noch immer hacke dicht«, stöhnte er. »Los, zieh dir wenigstens die Schuhe aus!«
»Nööö. Mach du doch.« Übermütig grinste ich ihn an, was er wohl wegen der Dunkelheit nicht sehen konnte.
»Treib’s nicht zu weit!« Obwohl es bestimmt bedrohlich klingen sollte, musste ich kichern. Ich wusste, dass er niemals wirklich böse war.
»Isaac? Was ist los? Hast du wieder schlecht geträumt?«, murmelte Lance verschlafen und drehte sich in seinem Bett herum.
»Na toll, jetzt hast du ihn geweckt«, motzte ich Zombie an. Warum musste er auch so laut sein?
»Ich?«, fragte Mat aufgebracht. »Wer schreit denn hier rum?«
»Zombie?«, fragte Lance überrascht und schaltete seine Nachttischlampe ein.
Davon geblendet murrte ich und vergrub das Gesicht im Kissen. Hatten die alle ein Rad ab? Warum mussten sie es immer alle hell machen? Das tat doch weh!
»Hey Rotschopf. Schön, dass du wach bist, dann kannst du dich ja um die kleine Schnapsdrossel kümmern.«
»Was machst du denn hier?«
»Das frag ich mich auch. Ich hab vorhin einen Anruf von einem fremden Kerl bekommen, dass Samsa sich im Bad eingeschlossen hätte und wollte, dass ich vorbeikomme. Der Typ meinte, Samsa könnte etwas genommen haben. Aber scheinbar hat er einfach nur zu viel getrunken und wusste nicht mehr, wo er war«, erklärte Mat die Situation. Dann ging er zu Lance herüber und flüsterte etwas, wohl in der Hoffnung, ich würde ihn nicht hören. Doch ich verstand genug, um zu wissen, dass er ihm sagte, ich müsste eine Therapie machen.
»Ich brauch keine scheiß Therapie!«, schrie ich. Er sollte aufhören so eine Scheiße zu erzählen! Und sie dann auch noch Lance in den Kopf zu setzen.
»Alter, schrei nicht so! Und ob du die brauchst«, meckerte Lance, kam dabei zu mir und half mir, mich halbwegs auszuziehen. Dabei wandte er sich an Zombie: »Er wacht ständig nachts auf, hat Alb...«
»Geht ihn nichts an«, motzte ich. Warum erzählte Lance ihm das?
»Tut es schon, wenn du mich dafür um drei Uhr nachts aus dem Bett klingelst. Nachdem wir uns fast zwei Jahre nicht gesehen haben. Warum rufst du nicht Lance an?«, wollte Zombie von mir wissen.
»Ich dachte, er wäre er«, gab ich zu und begann bei dem Gedanken wieder zu zittern. Ich wollte ihn nie wieder sehen!
»Was hattest du überhaupt bei dem Kerl zu suchen?«, fragte Lance überrascht.
Eisern biss ich mir auf die Lippen. Nein, er würde nicht erfahren, was ich tat, wenn ich betrunken war! Das würde nur Probleme verursachen.
Mat gab einen überraschten Laut von sich. »Hast du auch getrunken? Was macht der Käfer wohl um die Zeit bei einem Kerl? Oder willst du seit neuestem Details hören?«
»Nein, bloß nicht! Aber das kann nicht sein, Isaac hat schon ewig keinen Kerl mehr angerührt. Er redet nicht mal mit ihnen«, verlieh mein bester Freund seiner Verwunderung Ausdruck.
»Kommt er öfter morgens angetrunken wieder? Dann weißt du, wo er war«, erklärte Mat, als hätte ich es ihm erzählt.
Woher wusste er das schon wieder? Und warum musste er Lance das auf die Nase binden?
Zu gern hätte ich ihn unterbrochen, doch ich kämpfte gegen den Schlaf, der seine Fänge nach mir ausstreckte. Ich konnte nicht einmal mehr die Augen offen halten.
Mat kam näher, stupste mir gegen die Schulter. »Hey, Trunkenbold, du sollst deinen besten Freund nicht anlügen. Er will dir auch nur helfen. Warum tust du das?«
Warum redete er überhaupt noch mit mir? Ich wollte doch nur schlafen. Vielleicht ließ er mich in Ruhe, wenn ich antwortete. Ich nahm die letzten Kraftreserven zusammen, um einen halbwegs vernünftigen Satz herauszubekommen. »... nur Frauen, keine Männer ... sie er ...«