»Bringst du uns noch ein Bier mit?«, rief Toby seinem Freund nach, als dieser in die Küche ging, um Snacks zu holen. Im Fernsehen lief The Fast and the Furious: Tokyo Drift und wir hatten es uns gemütlich gemacht.
Roger kam mit dem Gewünschten zurück und stellte jeweils ein Bier vor uns ab. Dann ließ er sich in die Arme seines Freundes fallen, die sich sogleich um ihn schlossen.
Ich zog nur eine Augenbraue hoch und beobachtete sie. Anfänglich hatte ich das ja ganz süß gefunden, wenn sie beim Fernsehen so miteinander kuschelten und sich hin und wieder neckten oder Zärtlichkeiten austauschten, aber mittlerweile nervte es mich. Doch das war ihnen egal, sie ließen sich von mir gar nicht stören. Nur ab und zu quatschten oder witzelten sie kurz mit mir. Ansonsten waren sie mal wieder in ihrer eigenen Welt.
Als der Film sich dem Ende neigte, löste Roger sich aus der Umarmung und räumte den kleinen Couchtisch ab, während Toby sich erhob und ins Schlafzimmer ging. Nach einer Weile kam er wieder und machte sich daran, die Couch auszuziehen.
Ich rührte mich in der ganzen Zeit nicht, sondern beobachtete sie nur missgelaunt. Ihnen meinen Unmut entgegenzuschreien, hätte nichts gebracht. Wenn sie nicht wollten, dass ich bei ihnen schlief, dann konnte ich daran nichts ändern.
Nachdem mein provisorisches Nachtlager fertig war, gaben mir beide einen Kuss auf die Wange und verschwanden ins Schlafzimmer. Mit einem leisen Grummeln sah ich ihnen nach und legte mich dann hin. Das war einfach nur ätzend. Warum kam ich überhaupt noch zu ihnen? Das ging nun schon einige Wochen so und es frustrierte mich.
Seit meiner kleinen Auseinandersetzung mit Toby hatte ich weder bei ihnen im Bett geschlafen, noch mit einem von ihnen gekuschelt. Dabei hätte ich mir nichts sehnlicher gewünscht, als ihnen wieder nahe zu sein. Dieser Morgen war so schön gewesen. Hätte es den Streit nicht gegeben, hätte das auf den ganzen Tag zugetroffen. Und nun hielten sie mich vollständig von sich fern. Bis auf solch kurze Zärtlichkeiten wie die Gute-Nacht-Küsse gab es keinerlei Körperkontakt.
Dennoch wollte ich sie nicht vor den Kopf stoßen und nicht mehr kommen. Immerhin hatte ich eine Abmachung mit ihnen. Solange ich nicht mein Idealgewicht erreicht hatte, kam ich noch immer einmal die Woche nach dem Training zu ihnen. Bisher hatte mir das auch nichts ausgemacht, aber die letzten Wochen frustrierten mich. Mehr als einmal hatte ich schon ernsthaft darüber nachgedacht, nicht mehr zu ihnen zu gehen. Doch dann war ich wieder bei irgendeinem Kerl aufgewacht und hatte einsehen müssen, dass ich ihre Hilfe brauchte. Das letzte Mal hatte ich sogar kurz das Gefühl gehabt, bei ihnen zu sein, und mich schon gefreut. Doch dieses Hochgefühl war schnell der Ernüchterung gewichen, als ich bemerkte, dass es nur irgendein Kerl war, der von der Statur her Roger ähnelte.
Genervt warf ich mich auf der Couch hin und her. Ich machte mir überhaupt keine Illusionen, mir war vollkommen bewusst, dass ihre Abweisung mit dem Streit zu tun hatte. Dennoch verstand ich es nicht. Ich konnte mich nicht erinnern, Toby im Rahmen dessen beleidigt oder über die Maßen angefahren zu haben. Außerdem hatte ich ihm sogar, sobald ich von dem One-Night-Stand nach Hause gekommen war, eine Entschuldigung per SMS zukommen lassen, die er entsprechend am nächsten Morgen erwidert hatte. Als ich ihn ein paar Tage später beim Training getroffen hatte, hatte er auch versichert, dass alles gut sei. Doch glauben konnte ich ihm das nicht.
Noch ein paar Mal wechselte ich die Position, versuchte vergeblich, einzuschlafen, dann wurde es mir zu blöd. Ich wollte Antworten!
Mit einem Ruck war ich runter von der Couch und mit nur wenigen, großen Schritten an der angelehnten Wohnzimmertür. Entschlossen schritt ich den Flur entlang und stand dann vor der geschlossenen Schlafzimmertür. Resignierend stellte ich fest, dass ich in der Vorwoche genauso weit gekommen war.
Mir saß noch immer der Schreck im Nacken, was das letzte Mal passiert war, als ich unsere Abmachung, geschlossene Türen betreffend, ignoriert hatte. Noch einmal würde ich nicht das Glück haben, dass Roger es nicht mitbekam. Eine Weile haderte ich mit mir selbst, dann fasste ich allen Mut und klopfte.
Ich hörte Geräusche von innen, dann wurde die Tür geöffnet. Roger stand nur in Unterhose vor mir. »Musst du nochmal ins Bad?«
»Ehm, nein, ich ... Kann ich reinkommen?«
Roger warf einen kurzen Blick hinter sich, dann trat er beiseite. Er ging zurück zum Bett und setzte sich neben Toby, der sich aufgerichtet hatte und mit dem Rücken am Kopfende lehnte. Beide beobachteten mich mit neugierigem Blick.
Ich deutete vage auf das Fußende. »Darf ich?«
Nachdem beide genickt hatten, setzte ich mich im Schneidersitz hin. Noch immer nahmen sie nicht die Blicke von mir, doch ich wusste nicht, wo ich anfangen sollte. Der Mut hatte mich verlassen.
Nach einer Weile seufzte Toby genervt. »Was willst du nun? Wir würden gerne irgendwann schlafen.«
»Ich wollte nur ... ach nichts, vergesst es.« Ich erhob mich und schlich mit gesenktem Kopf zurück ins Wohnzimmer. Was hatte ich eigentlich erwartet? Natürlich war mitten in der Nacht nicht der geeignete Zeitpunkt für so ein Gespräch.
Ich warf mich auf die Couch und vergrub mein Gesicht im Kissen. Auch wenn ich gern darauf eingeschlagen hätte, der Geruch beruhigte mich.
Ich merkte nicht, dass jemand zu mir ins Wohnzimmer gekommen war, bis sich eine Hand vorsichtig auf meinen Rücken legte. Als ich nicht darauf reagierte, wanderte sie in meinen Nacken und streichelte mich dort. »Kleiner, was ist los?«
Am liebsten hätte ich nicht darauf reagiert, sondern einfach weiter die Zärtlichkeiten genossen, immerhin waren es die ersten seit fast einem Monat. Zumindest die einzigen von einer Person, die mir wirklich etwas bedeutete. Doch ich wusste, lange würde er nicht bleiben, wenn ich nicht reagierte.
Also drehte ich mich um. Kurz blinzelte ich, da ich nicht damit gerechnet hatte, dass das Licht an war, dann sah ich Roger ins Gesicht. Er saß auf der Kante und blickte auf mich herab.
Als er die Hand, die bei meinem Umdrehen neben mir gelandet war, wegziehen wollte, ergriff ich sie und legte sie leicht auf meine Rippen. »Kannst du weitermachen?«
Doch Roger schüttelte den Kopf und nahm sie weg. Nur kurz strich er mir über die Wange. »Ich denke nicht, dass das eine gute Idee ist.«
»Warum nicht?« Wenn er mich nicht streicheln wollte, konnte ich mich auch aufsetzen und mir die Decke über den Körper ziehen. Mir wurde sowieso langsam kalt.
»Weil es dich nicht weiterbringt. Und uns auch nicht. Du verlangst von uns, dass wir für dich da sind, aber wenn wir das wirklich wollen, dann lehnst du uns ab.«
»Tu ich nicht!«
Roger lächelte sanft. »Vielleicht nicht bewusst. Toby hat mir von eurem Gespräch im Zug berichtet und ich gebe ihm vollkommen recht.«
»Na schön für euch, wenn ihr euch einig seid! Und wer fragt mich, was ich davon halte?« Wütend funkelte ich ihn an.
Doch er lächelte nur weiter. »Ich weiß, dass es dir nicht passt, dass wir gerne wissen wollen, was genau passiert ist. Aber versuch uns doch mal zu verstehen. Wir haben keine Chance, vorher zu wissen, was eine Panikattacke bei dir auslösen könnte. Jedes Mal müssen wir befürchten, irgendetwas zu tun, was dir Angst macht.«
»Und da habt ihr beschlossen, dass es besser wäre, mich einfach gar nicht mehr anzufassen?« Erst jetzt fiel mir auf, dass Rogers Lächeln nichts Freundliches hatte, sondern traurig wirkte. Das wurde noch deutlicher, als er nickte. Bitter lachte ich auf. »Damit seid ihr nicht besser als er.«
Roger starrte mich einen Moment fassungslos an. Mehrmal öffnete er den Mund, dann schloss er ihn wieder, ohne einen Ton herausgebracht zu haben. Nach einer gefühlten Ewigkeit schüttelte er leicht den Kopf und schaffte es doch, endlich Worte zu finden. Dabei klang er mehr als nur ein wenig verletzt, auch wenn er sich bemühte, das zu übergehen. »Warum?«
»Weil er das auch getan hat. Wenn ich nicht gemacht hab, was er wollte, dann hat er einfach aufgehört, mich anzufassen. Er hat weder mit mir gesprochen, wenn es nicht nötig war, noch hat er mich wirklich beachtet.«
Er haderte kurz, dann legte er den Arm um mich und zog mich an sich.
Doch ich riss mich von ihm los und rutschte ein Stück weg. Wütend fauchte ich ihm entgegen: »Ach ja, ich vergaß: Wenn ich das gewünschte Verhalten zeige, dann kann man mich ja wieder gern haben und mir ein wenig Zucker zustecken!«
Roger seufzte und zum ersten Mal sah ich, dass er den Kopf senkte, bevor er sprach. »Es tut mir leid. Ich wollte nicht, dass das so rüberkommt. Mir ist nur klargeworden, dass du recht hast, das ist nicht der richtige Weg. Wir sollten nicht versuchen, dich zu zwingen. Uns war nur nicht klar, dass es für dich ein Zwang ist.«
Eine Weile saßen wir schweigend nebeneinander und starrten auf unsere Beine. Ich wusste nicht, was in Rogers Kopf vor sich ging, aber ich haderte mit mir, versuchte herauszufinden, ob ich seinen Worten glauben schenken konnte. Mein Blick wanderte kurz zu ihm. Er sah überhaupt nicht wie Roger aus. So zusammengekauert und den Kopf gesenkt, kannte ich ihn nicht. Er war doch sonst so eine Frohnatur, auch wenn er mir gerne mal die ein oder andere Standpauke hielt. Es musste ihn wirklich belasten. Also beschloss ich, dass es ihm tatsächlich nicht bewusst gewesen war, was er mit seinem Verhalten anrichtete. Vorsichtig ließ ich mich gegen ihn sinken, bis sich unsere Schultern berührten.
Er sah auf und in seinem Blick stand Verwunderung.
Ich versuchte mich an einem Lächeln. »Ist okay. Es war keine Absicht. Können wir einfach so weitermachen wie bisher?«
Rogers Augenbrauen zogen sich kraus. »Das tut dir wirklich gut, oder?«
Ich nickte und rutschte etwas näher zu ihm. »Ja, es hilft mir wirklich.«
»Bist du dir da sicher?« Nach kurzem Zögern legte er den Arm um mich und zog mich an seine Brust.
»Mhm.« Ich schmiegte mich gegen ihn und genoss die Aufmerksamkeit. »Ich hab auch keine Angst mehr, wenn ich bei einem Kerl aufwache.«
Er gab einen leisen, amüsierten Laut von sich. »Ich weiß nicht, ob ich es gut finden soll, wenn wir dir dabei helfen, dich betrunken von irgendwelchen Typen ficken zu lassen.«
»Ich wusste gar nicht, dass ihr auf Treue besteht.« Feixend streckte ich Roger die Zunge heraus.
Er lachte und drückte mich dann von sich, nur um sich einen Moment später rittlings auf meine Beine zu setzen. Er überragte mich so noch ein Stück mehr und sah amüsiert zu mir hinunter. Seine Augen funkelten, als er mich betrachtete. »Du kleiner Frechdachs.«
Statt etwas darauf zu erwidern, streckte ich ihm erneut die Zunge heraus.
Spielerisch schnappte er mit den Zähnen danach. »Wenn du sie nicht in deinem Mund behalten willst, dann solltest du sie wenigstens für etwas Sinnvolles einsetzen.«
»Würde ich gern, aber ihr lasst mich ja nicht«, flüsterte ich und wandte den Blick ab. Gern hätte ich seiner Aufforderung Folge geleistet und ihn geküsst.
Daher war ich auch überrascht, als er meinen Kopf leicht hob, bis ich ihn wieder ansah, und mich dann gemächlich küsste. Entweder konnte er Gedanken lesen oder mein Anliegen war so offensichtlich gewesen. Wie von ihm gewünscht, setzte ich meine Zunge dabei ein.
Erst als uns beiden langsam die Luft ausging, ließ er meine Lippen los. Noch immer funkelten seine Augen. »Mach dir deswegen keine Gedanken, okay?«
Ich seufzte. Das klang bei ihm so einfach. Dennoch nickte ich. Ich wollte nicht, dass er ein schlechtes Gewissen bekam. Es reichte, dass ich eines hatte, nachdem er meinem Verlangen nachgegeben hatte. Gerade hatte er mir immerhin noch erklärt, dass er und Toby sich mir vorerst nicht nähern wollten.
Roger rutschte von mir herunter und stand auf. Etwas traurig sah ich zu ihm auf. Doch er lächelte nur. »Ich bin gleich wieder da.«
Verwundert und neugierig sah ich ihm nach. Was hatte er vor? Nach einem kurzen Moment hörte ich eine Tür, die sich schloss. Vermutlich war das die Schlafzimmertür. Das machte mich noch unsicherer.
Wartend saß ich gefühlte zwanzig Minuten auf der Couch, bis mir die Augen zufielen. Offenbar hatte Roger mich vergessen.
Mit einem Seufzen ließ ich mich fallen und kuschelte mich in Decke und Kopfkissen.